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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Elsa.“

Eine Ehestandstragödie in Briefen. Von Ernst Wichert.
(2. Fortsetzung.)


11.

Das wird aber doch zu toll! Heute sprach Frau Hermia – ich möchte wissen, ob sie wirklich auf diesen Namen getauft ist oder ob sie sich ihn ursprünglich für ihre Künstlerlaufbahn beigelegt hat – also heute sprach Frau Hermia wieder bei uns vor, diesmal, um nach Edwin zu fragen. Den Wagen ließ sie draußen warten, obgleich offenbar nicht ein Dreiminutenbesuch beabsichtigt war; jeder, der vorbeiging, wußte nun doch, wer sich im Hause befand. Mein Mann war nicht sofort zu sprechen, und so erfuhr ich denn, da sich kein anderer Stoff zur Unterhaltung bot, brockenweise, was im Werke sei.

Die Gnädige beschäftigt sich seit ihrem Geburtstag mit dem Plane einer großartigen Wohlthätigkeitsveranstaltung, von der ein paar Wochen lang die ganze Stadt sprechen soll. „Es muß wirklich etwas Großartiges werden,“ versicherte sie immer wieder. „Selbstverständlich ist nicht die Unterstützung von armen Leuten in der Nähe in Frage – mein Himmel! Armuth giebt’s überall und wird’s stets überall geben, das liegt so in der göttlichen Weltordnung! Brand, Hagelschlag, Ueberschwemmung, schlagende Wetter im Bergwerk – nun ja, man kann zugeben, daß da die Noth mitunter ungewöhnlich hoch steigt und wohlbegründet die öffentliche Wohlthätigkeit in Anspruch nimmt. Aber dergleichen Unglücke“ – die Gnädige selbst bildete diesen Plural – „sind schon so oft dagewesen, daß sie die erforderliche Zugkraft verloren haben; man sammelt da am besten im stillen oder schickt sein Scherflein an die Sammelstelle einer Zeitung ab. Für hungernde Weber und dergleichen Leute sich zu bemühen, die wahrscheinlich zu den unzufriedenen Staatsbürgerklassen gehören, kann sogar politisch bedenklich scheinen. Wir sind natürlich gut konservativ. Man braucht einen Zweck, der in die Augen fällt. Möglichst hoch oben! Er darf nicht abgenutzt sein. Die Gesellschaft muß sich dafür interessieren können. Wie wär’s ... Afrika ist jetzt in der Mode ... wenn man die christlichen Missionen dort mit reichlicheren Mitteln für ihr gottgefälliges Thun versorgte! Schulen für Negerkinder sind dringendstes Bedürfniß. Eine Suppenanstalt für befreite Sklaven wäre neu, darüber lassen sich Artikel schreiben – für den Ausschuß sind allerhand Spitzen zu gewinnen – der Aufruf trägt die glänzendsten Namen – bei der festlichen Veranstaltung selbst fehlt niemand, der zu den Gutgesinnten gerechnet sein will.“ Trara – trara!

Ich gönne gewiß den Negerkindern alles Glück, liebste Toni, und würde nichts einzuwenden haben, wenn in Timbuktu, oder wie das schwarze Ding heißt, eine Universität gegründet und auf dem Kilimandscharo eine Sternwarte errichtet würde. Aber diese Sorte von Wohlthätigkeit, die nur von sich reden machen will und auf die jämmerlichsten Beweggründe der lieben Mitmenschen spekuliert, ist mir von jeher ein Greuel gewesen. Ich bin überzeugt, daß Frau Hermia von Afrika noch weniger weiß als ich. Jedenfalls blamierte sie sich schon vor mir mit ihren in der Unterhaltung bei Tisch aufgelesenen Kenntnissen. Sie wurde nämlich auf diesen erhabenen Gedanken durch einen Geistlichen hingeleitet, der jetzt durch seine Predigten Aufsehen erregt, großen Zulauf aus den Kreisen der obersten Zehntausend hat und seit kurzem zu ihren Hausfreunden gehört. Er fehlte denn auch an ihrem Geburtstag nicht unter den Gästen und saß ihr zur Rechten. Er ist ein paar Jahre Missionär da um den Aequator herum gewesen und hat ihr Herz zu rühren verstanden. Was sie thut, thut sie, um sich seiner Freundschaft würdig zu erweisen. Wie dankbar wird man ihr sein!

Warum mich das so aufregt? Das will ich Dir sagen. Frau Hermia hat eine Idee, das heißt eine dunkle Vorstellung von irgend etwas, das zu dem bestimmten Zwecke gemacht werden und möglichst viel Geld einbringen soll. Aus tiefstem Nebel tauchen da lebende Bilder aus der biblischen Geschichte auf, in denen die schöne Frau mitstehen will, vermuthlich ein Fingerzeig des Herrn Pastors. Zu einem Programm fehlt noch alles. Und dazu braucht sie nun jemand, der die Arbeit übernimmt, die Idee faßbar macht, den Plan ausarbeitet, den Prolog und die Texte zu den lebenden Bildern dichtet, die passenden Musikstücke wählt, die Kostüme bestimmt, die weitläufige Korrespondenz mit Theaterdirektoren, Hoflieferanten, beleidigten Müttern und gekränkten Töchtern führt. Und dieser unentbehrliche, durch seine geistige Kraft alles ordnende, aber bescheiden im Schatten stehende Jemand soll – mein Mann sein. So hat sie sich’s ausgedacht und deshalb kam sie. Nicht einmal um zu bitten – Edwin sollte sich’s ja zu besonderer Ehre rechnen, bei solcher Gelegenheit mit den Dichtungen betraut und zum expedierenden Sekretär ernannt zu sein. Sie habe ihren Mann schon ersucht, ihm für einige Wochen die Redaktionspflichten nach Möglichkeit zu erleichtern, damit er sich ganz ihr widmen könne. Das Bureau solle in ihrem kleinen Salon eingerichtet werden, Edwin dort jede gewünschte Auskunft ertheilen. Vor allem müsse er es für seine Pflicht halten, sich mit der gesamten Schriftstellerwelt in Verbindung zu setzen, um sie durch geschickte Beeinflussung für die gute Sache zu erwärmen. Täglich müsse in allen Zeitungen von dem großen Ereigniß die Rede sein. Trara!

Das ging mir denn doch sehr empfindlich gegen den Strich. Ich fühlte, daß mir das Blut ins Gesicht strömte und die Finger nervös zuckten. Ich weiß nicht, ob Frau Hermia auf begeisterte Zustimmung gerechnet hatte – beschränkt genug ist sie dazu. Jedenfalls war sie sichtlich sehr unangenehm überrascht, als ich ihr frei heraus erklärte, nach meiner Meinung passe Edwin zu dem ihm zugedachten Amte gar nicht. Es kann sein, daß ich gesagt habe, er werde sich schwerlich dazu hergeben. Ich war eben innerlich entrüstet über die Zumuthung und fühlte das Bedürfniß, meinerseits sofort Stellung zu nehmen. Es sollte schleunigst ein Riegel vorgeschoben werden, auf den Edwin dann weisen könnte. Den Blick, mit dem sie mich strafte, werde ich nie vergessen. Aber er hinderte mich doch nicht, als Edwin eintrat und ihr die Hand küßte, sofort selbst das Wort zu ergreifen und bemerklich zu machen, daß ich der gnädigen Frau schon mein Bedauern ausgedrückt hätte, seine Fähigkeiten überschätzt zu haben. „Niemand ist zu solchen Arrangements ungeschickter als Du,“ sagte ich ihm auf den Kopf. Ich bemühte mich, einen scherzhaften Ton anzuschlagen, aber es mag mir wohl nicht sonderlich gelungen sein.

Jedenfalls wollte Frau Hermia „keine Ausrede gelten lassen“. Sie schien mich nur noch als Luft zu betrachten und sprach eifrig auf Edwin ein, nicht als ob sie nöthig gehabt hätte, seinen Beistand zu erbitten, sondern zu seiner näheren Information, den Beistand als selbstverständlich vorausgesetzt. Sie ergriff dabei wiederholt seine Hand und lächelte ihm mit beleidigender Vertraulichkeit zu. Die gemeinsame Beschäftigung mit diesen Dingen werde sehr amüsant werden, versicherte sie.

Und Edwin?

Edwin blieb ganz ruhig, hörte aufmerksam zu, nickte von Zeit zu Zeit wie zustimmend, verbeugte sich, wenn auf seine Mitwirkung die Rede kam, als ob ihm etwas Schmeichelhaftes gesagt würde, und bat zuletzt um eine kurze Bedenkzeit, sich’s erst einmal zurechtzulegen, was für Vorschläge er würde machen können. Er gebe nicht gern ein Versprechen, bevor er genau wisse, daß er’s auch werde halten können. Frau Hermia hatte dagegen nichts einzuwenden; sie schien ihrer Sache gewiß zu sein. „Denken Sie nur auf eine recht schöne Rolle für mich,“ sagte sie, sich verabschiedend. Ueber mich sah sie mit einem lächelnden Blick hinweg, der etwa bedeuten wollte: da siehst Du Närrin nun, daß Du Dich ganz umsonst ereifert hast.

Kaum hatte sie die Thür hinter sich geschlossen, als ich losbrach: „Das darfst Du Dir unter keinen Umstanden anthun Edwin!“

„Was?“ fragte er, als ob er mich gar nicht begriffe.

„Diese eitle Frau,“ rief ich, „will nicht nur Dein Talent mißbrauchen, sondern Dich auch zu Handlangerdiensten benutzen, die Deiner unwürdig sind.“

„Aber so lasse mir doch Zeit,“ bat er mit empörender Ruhe, „selbst zu prüfen und mit mir einig zu werden!“

„Als ob da noch zu prüfen, zu überlegen wäre! Das ganze Unternehmen –“ Ich schilderte es von meinem Standpunkt aus und trug etwas grelle Farben auf.

Er lachte. „Du magst ja in der Sache selbst recht haben,“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_174.jpg&oldid=- (Version vom 10.8.2020)