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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Selbsterkenntniß? Ob ich recht ober unrecht habe, logisch denke oder alle Begriffe auf den Kopf stelle – es treibt mich etwas vom Innersten her, und das ist das Mächtige. Ich muß! Das ist nicht zu begreifen, nur zu fühlen. Ich versuche, mir diesen Zwang verständlich zu machen. Gelingt’s, um so besser! Aber es bleibt immer dabei: ich muß, heißt – ich kann nicht anders.

Und weil ich nicht anders kann ... ... ... ... ... ...

Nachschrift. Ich wurde durch Edwin unterbrochen. Er wollte mir seine Verse vorlesen. Da machte sich das Gefühl unaufhaltsam Bahn. Ich schüttelte den Kopf und sah ihn mit einem flammenden Blicke an und sagte: „Wenn Du mich liebst, Edwin, verbrenne diese Blätter, streue die Asche in alle Winde, schreibe der Frau des Chefs, Du hättest Dich anders entschlossen, könntest, wolltest nicht ... gieb der Absage eine Form, wie sie Dir beliebt, wie sie am wenigsten verletzend erscheint, aber laß sie noch heute abgehen! Jeder Tag des Zögerns, ich fühl’s, thürmt die Scheidewand zwischen uns höher, und zuletzt wird kein guter Wille mehr sie einreißen können.“

Er sah mich erst sehr verwundert an und schien dann über den Ausdruck meines Gefühls zu erschrecken. „Aber so begreife doch,“ stammelte er, „daß Du mir etwas geradezu Unsinniges zumuthest. Wenn ich hätte ahnen können ... aber diese Erwägung ist jetzt nutzlos. Ich habe ein Versprechen gegeben und muß es als Ehrenmann halten. Bräche ich Frau Hermia mein Wort, sie wurde an keine Ausrede glauben; ganz vergeblich würde ich mich bemühen, ihr zu verbergen, weshalb es geschieht. Soll ich mich Deiner Laune wegen vor ihr, vor dem ganzen Kreise lächerlich machen? ‚Die Frau erlaubt’s ihm nicht!‘ Und wenn ich darüber hinwegsehen wollte, glaubst Du, daß Deine verhaßte Gegnerin ungestraft mit sich ein solches Spiel treiben lassen würde? Sie hat großen Einfluß auf ihren Mann, von dem ich abhänge. Unsere Existenz wäre bedroht. Nimm’s ganz so ernst! Wie hast Du Dich nur in diese Thorheit so tief hineinreden können?“

„Ich nehm’s ganz so ernst, Edwin,“ antwortete ich, ohne meine Haltung zu verändern. „Aber es steht jetzt nicht mehr in Frage, welche Nachtheile wir erleiden. Für mich giebt’s nur einen Verlust: zu wissen, daß Du mich nicht liebst. Und ich weiß, Du liebst mich nicht, wenn Du mir dies versagst. Sprich nicht dagegen, ich bin durch Gründe nicht umzustimmen. Du sollst mir etwas zu Liebe thun, es giebt für mich gar keine andere Rücksicht. Sei überzeugt: wie ich mich auch dagegen wehre, Du verlierst mich auf ewig, wenn Du Dich diesmal nicht beugst. Dieses eine Mal!“

Edwin lächelte ungläubig und schüttelte den Kopf. Er reichte mir die Hand und sagte: „Sei verständig, Liebchen!“

„Ich kann nicht!“ entgegnete ich, drehte mich um und verließ ihn.




15.

Du hast für nöthig befunden, liebste Freundin, Deinem letzten Brief große Eile zu geben. Ich habe ihn wirklich durch einen Expressen erhalten und bin so den andern Empfängern derselben Post um ein paar Stunden voraus. Es sind das gerade die Stunden um das Frühstück herum, wo Mann und Frau auch außerhalb der Flitterwochen zusammen auf dem Sofa zu sitzen und bei der Tasse Kaffee die wichtigsten Vorbesprechungen für den Tag zu halten pflegen. Es ist sehr häßlich. wenn dieses Plauderstündchen verödet, Mann und Frau zwar ihre gewohnten Plätze einnehmen und in gewohnter Weise für ihr leibliches Wohl sorgen, aber steif wie die Götzen dasitzen und das Sprechen verlernt zu haben scheinen – puh! Das hast Du freundlich bedacht und vielleicht das Weitere auch, daß dieses Stündchen, wie kein anderes, geeignet ist, einen siegreichen Kampf mit dem garstigen Schmollteufel zu bestehen und ihn gründlich auszutreiben. Deshalb sollte Deine Standrede so früh kommen und mich zur Besinnung bringen, bevor das braune Naß duftete. Nicht nur hindern wolltest Du, daß der Zwiespalt sich schärfte, sondern in mir eine wohlthätige Friedensstimmung vorbereiten. Ich verstehe die gute Absicht, ich bin Dir dankbar, ich habe wirklich Gericht über mich gehalten, aber ...

Du giebst mir Unrecht, Du warnst. Ja, wenn mir’s an Einsicht fehlte! Das Leiden ist doch, daß ich einmal bin, wie ich bin. Und wenn ich äuf einem Irrweg wäre, der zum Abgrund führt, und es ständen rechts und links Warnungstafeln – ich habe das ganz sichere Gefühl, daß ich nicht aus eigener Kraft zurückkann. Es giebt nur die eine einzige Möglichkeit der Rettung daß sein Arm mich faßt und sein Mund mir sagt: die Liebe ist stärker als alle Vernunft. Siehst Du, Toni, ich kann wirklich nicht zurück. Seinetwegen! Wenn ich diesmal nachgeben müßte, wär’s aus mit meiner Herzensneigung für alle Zeit. Ich könnte nicht mehr los von dem Gedanken, daß die Probe versagt habe. Ueber allen Sonnenschein meines Lebens würde sich dieser finstere Schatten breiten und mein Auge trüben. Ich könnte der reichsten Gaben nicht mehr froh werden; jede goldigste Frucht wäre mir von einem Wurm angefressen. Alles, was liebenswürdig an mir ist, müßte eintrocknen, alles Abstoßende mehr und mehr eckig auswachsen. Ich würde mir bald selbst unausstehlich sein. Und was hätte Edwin dann von seiner Frau? Nein, nein! ich kann nicht zurück.

Das habe ich ihm nun offen heraus gesagt. Sehr ernst, sehr streng. Er sollte wissen, daß da gar nichts zu ändern ist, und sich nicht unnütz mit trügerischen Hoffnungen hinhalten. Das war am wenigsten grausam. Nun ich entschlossen bin, meinen Willen durchzusetzen, durfte er nicht im Zweifel bleiben, daß jedes Hinzögern ihm den zuletzt doch nothwendigen Schritt erschwerte. Ach Gott, ich möchte ihm ja so gern goldene Brücken bauen. Aber ich weiß jetzt: er betritt sie nicht. Sie wären ihm ein Beweis, daß ich selbst mich schwach fühle, zum Rückzuge noch zu bewegen sei, wenn er fest bleibe. Ich muß mich stark zeigen, damit er sich leichter überzeugt, dies eine Mal schwach sein zu müssen. Ich liebe ihn ja so sehr!

Hermia oder ich!

Da steht’s und ist nicht mehr auszulöschen. Das ist die Schlußformel, in die sich das ganze Tohuwabohu von Erwägungen und Empfindungen verdichtet. Hermia oder ich! Das heißt ...

Sie sagt doch nicht, was sie sagen will. Sie sagt mindestens noch etwas anderes, als was sie sagen soll. Du wirst rufen, nun ist es heraus: Eifersucht, nichts als Eifersucht! Und ich kann Dir doch mit reinstem Gewissen zuschwören, nie hat sie mich so wenig gepeinigt. Es wäre mir eine Wohlthat, wenn ich mich auf dieser Schwäche ertappen könnte. Denn ich würde mich rasch auslachen. Nein, Frau Hermia ist nicht die Frau, an die Edwin auch nur einen Blutstropfen seines Herzens verlieren könnte. Ich kann mich nicht einmal zu der Befürchtung reizen, daß er ein wenig verliebt in sie sei. Ich gestehe, ich hab’s versucht, aber es gelingt nicht. Was ich ihm bin und was Frau Hermia ihm ist, steht so getrennt, daß es für mich unter diesem Gesichtspunkt nie zusammenrücken kann. Und doch bedeutet dieses: sie oder ich! etwas. In zwei Personen verkörpern sich zwei Machteinflüsse, die einander nicht dulden können. Hermia vertritt hier das, was im Gesellschaftsleben unter dem Zwange gefälliger Rücksichtnahme rücksichtslos den Tribut des Talents für selbstsüchtige Zwecke fordert. Warum soll es von seinem Reichthum nicht abgeben – wenn es sein kann, verschwenderisch abgeben? Nur darf die Persönlichkeit nicht darunter leiden. Das muß Edwin verstehen. Und wenn nun die Frau, die ihn liebt und die er liebt, der naturgemäß zunächst diese Persönlichkeit am Herzen liegt – berechtigt oder unberechtigt – im besonderen Falle Einspruch erhebt, soll da nicht die höhere Rücksicht gelten, die er ihr schuldet? Das ist mir ein Glaubenssatz. Und darum sage ich: Hermia oder ich. Diese Hermia kann im Laufe der Zeit tausend Gestalten annehmen, ich bleibe immer dieselbe. Wem gehört Edwin, wenn es darauf ankommt? Mir oder diesem Phantom, das sich noch tausendmal seiner zu bemächtigen suchen wird. Einmal muß ich Sieger bleiben; es ist dann nicht mehr gefährlich.

Weiß ich nur, daß er mich liebt –!

Ich habe ihm das alles gesagt. Er kann nicht zweifeln, daß eine Sinnesänderung bei mir unmöglich ist. Er ist wiederholt aufgesprungen und im Zimmer umhergelaufen, aber angehört hat er mich. Und dann –

Ja, dann war’s doch wieder nichts. „Ueberzeugt das Dich selbst?“ fragte er. „Schwerlich. Du willst Deinen Willen haben, leidenschaftlich – nichts weiter. Und wenn Du ihn gehabt hättest, würde ich Dir nicht mehr sein, der ich Dir bin, würde es nie wieder werden können. Bezwinge Dich!“

Was sagst Du zu solcher Verstocktheit und Hartnäckigkeit, Toni? Ich lasse aber nicht nach.

(Schluß folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_179.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2020)