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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Später wurde das Klösterlein in ein Chorstift umgewandelt, das zu Ende des zwölften Jahrhunderts weite Länderstrecken besaß, zwölf Altäre in der Runde bediente, die Seelen bis in die Ewigkeit hinein beherrschte.

Nur einmal im Jahre zerriß das Volk die angelegten Zügel. Das war um die Zeit, wo dereinst der holden Ostara höchstes Fest, die Frühlingsfeier, gehalten wurde. Wie dann der Saft in den röthlich sich färbenden Baumzweigen aufstieg, so schien das Blut der Gaugenossen rascher zu fließen; mit den kleinen Blumen, die aus der allmählich sich erwärmenden Erde herausschlüpften, erwachten uralte Erinnerungen, verpönte Mißbräuche wurden geübt, bis endlich am Osterfest die Unbändigkeit ausbrach. Vor Thau und Tag ergaben sich Jünglinge, und Mädchen dem heidnischen Quellendienst, und wenn der Abend kam, dann brachten sie das andere Element, das Feuer, zu Ehren. Mit brennenden Holzfackeln ging’s dem alten Heiligthum zu. Gott allein wußte, woher plötzlich ein Reisighaufen auf die Spitze des Berges kam und eine mächtige Flamme von ihm emporschlug.

„Stab aus!
Brennt dem Winter die Augen aus!“

tönte der rauhe Sang zum wilden Reigen. –

Wieder einmal war Ostern im Anzug und mit dem hohen Feste die Sorge des Stiftes um die ihm untergebene Herde.

Es war nicht der warme Sonnenschein allein, der die Stirn des Chorherrn Cölestin röthete, als er heimkehrte von den Arbeitern, die ein Dornenfeld ausrodeten, um einen Weinberg anzulegen. Mit großen Schritten wandelte er über den Hof, den die Häuser der Chorherren und das Schulgebäude umschlossen, alle geistlichen Brüder aufscheuchend und sich nachwinkend nach dem Gemach des Propstes.

Herr Burchard saß auf seinem hohen schön geschnitzten Stuhle und schlug beim Eintritt der erregten Chorherren das mächtige Buch zu, in dem er gelesen hatte. Auf einem Bärenfell ruhten seine Füße; denn der Steinboden hauchte noch Kühlung aus, so hell auch die Sonne in den Edelsteinen blitzte, mit denen der Einband des Buches verziert war.

„Trage keinen Zorn ob des Einbruchs in Deine Beschaulichkeit,“, sagte Cölestin, „aber Eile thut noth. Als ich bei den ersten Häusern unseres Ortes Jechaburg ankam, hockte bei Reinald, dem Vogelsteller, der zahme Star in der Fensterluke und sang ganz deutlich: ‚Stab aus!‘ Hinter ihm stand der unnütze Tagedieb, umgeben von leichtfertigen Finken und Zeisigen, und lachte. Aber als er mich erschaute, zog er den Star an seinem Schwänzlein hinein und hielt ihm den Schnabel zu.“

Thietmar, der als Oberster über die Wirtschaftsrechnungen des Chorstiftes gesetzt war, nickte bedenklich. „Die Knechte, welche den Zins an Ostereiern in den Stockhäusern einsammeln, haben erzählt, der finstere Kühnrich sitze auf seinem Wassersteg und schnitze ungeheuerliche Stäbe aus harztriefendem Kiefernholz; viel zu dünn däuchten sie ihnen, um Häuser damit zu stützen.“

Jetzt ging auch dem tapferen Michael, der eben vom Dienste in St. Margarethen zurückkam, ein Licht auf. „Darum legte Hiltebold, dem die Mühle an der Bebra eignet, Schrittsteine durch Wasser und Schlamm bis an den Bergesfuß. Sie planen, nächtlicherweile herüber an unseren Quell zu schleichen, um ihren Unfug mit Osterwasser zu treiben. Denn fest sitzt in ihren störrischen Köpfen der Glaube, der Born fließe aus dem See ab, darauf die teuflische Unholdin Ostara schwimmt.“

Eine Stille der Rathlosigkeit folgte.

Da nahm Hildebrand, der kleinste und feinste Chorherr, das Wort. „Es muß einer von uns hinauf auf den Berg gehen in die Kapelle Unserer lieben Frau und den Bruder Albrecht fragen, ob der keinen Rath weiß. Er ist gelehrt und welterfahren. Was er nicht in seinem Stifte zu Halberstadt gelernt hat –“

„Es munkelt sogar von Liebeshöfen, die sie dort errichtet haben,“ fügte mißbilligend der finstere Josephus ein.

Der Propst wehrte ab: „Klostergeschwätz!“

„– darüber ist ihm am Hofe des Landgrafen Hermann auf der Wartburg gewißlich eine Offenbarung geworden,“ vollendete Hildebrand seine Rede.

„Von den Rosenkränze spendenden Hofjungfrauen,“ seufzte leise der jüngste Chorherr.

„Höfischer Brauch,“ erläuterte Herr Burchard.

Unbewegt fuhr Hildebrand fort: „Und wo er als Chorherr die Augen hätte schließen müssen, da durfte er sie als Minnesänger aufschlagen.“

„Er hat es gewißlich gethan,“ murrte Josephus. „Denn ob es nicht eine selbst auferlegte Buße ist, daß er darauf besteht den Dienst droben bei der Kapelle zu versehen, als Klausner in der engem Zelle daneben zu hausen –“

Der Dekan lächelte spöttisch. „Wie in einer Bußzelle sieht es nicht bei ihm aus.“

Der Propst aber sprach kühl: „Wenn weltliche Erfahrung uns einen guten Rath schöpfen könnte, wäre es thöricht, ihn Nicht zu nützen. Bruder Cölestin, da Dein löblicher Eifer diesen Handel angefangen hat, so bringe ihn auch zu Ende! Hebe Deinen Fuß auf und besteige den Berg!“

Cölestin verneigte sich und maß mit bestürztem Blick die steile felsige Wand, die hinter der hohen Umfriedigungsmauer des Stiftes emporstieg, von der warmen Frühlingssonne überglüht. –

Einen weiten breiten Scheitel trug der Berg. Feine Rasenspitzchen, die frisch emporsproßten, überzogen ihn wie mit grünem Sammet, über welchen Maßliebchen gestreut waren. Der nach aufbrechenden Laubknospen duftende Wald säumte ihn nur an einer Seite; an allen andern fiel er steil ab in die von dem ersten lichten Grün überflogenen Thäler. An den Fuß schmiegten sich traulich die Strohdächer fest umfriedeter Dörfer, und in weiter Ferne schloß den Blick nach Mitternacht der finstere Brocken des Harzgebirges und gegen Mittag der immer zuerst und zuletzt weiß bemützte Schneekopf des Thüringer Waldes.

In der Mitte der sonnigen Rasenfläche erhob sich die Kapelle „Unserer lieben Frau“ mit einem Kreuz auf dem First, einem Glöcklein auf dem Dach. Die hölzernen Läden der Rundbogenfenster waren der Frühlingsluft geöffnet; im leisen Zugwind schwankte die ewige Lampe vor dem Muttergottesbild.

Auch in der kleinen Klause, die sich an das Kirchlein schmiegte, waren Thür und Fenster aufgethan. Die rauhen Steinfliesen des Fußbodens waren mit Wachholderzweiglein bestreut; das schmale Polsterbett in einer Wandnische verschwand fast hinter einem farbenleuchtenden persischen Teppich, der kleine Weihwasserkessel an der Wand war kunstvoll getriebene Metallarbeit, das Kruzifix darüber feine Elfenbeinschnitzerei. In der Ecke lehnte eine reich vergoldete Harfe. Der ungefüge Tisch stand in der Mitte des engen Gemaches. Darauf lagen Griffel, Federn, Pinsel, standen Büchsen mit Tinte und Farbenmuscheln.

Davor saß ein junger schlanker Mann in der Tracht der Chorherren, dem wallenden Linnengewand über rothem Unterkleid. Dicke braune Locken, in welche die Tonsur nur leicht eingeschoren war, umkräuselten die schön gewölbte Stirn; die wie zur Beredsamkeit geformten Lippen öffneten sich über Reihen feingeformter Zähne. Die Hand, welche über das Pergament glitt, war zart und schmal.

Er wußte, warum er in der Einsamkeit hauste. Er wollte sein Versprechen erfüllen, das er dem Landgrafen Hermann gegeben hatte, da er als sein Gast auf der Wartburg weilte. Die „Wandlungen“ des Ovidius wollte er in deutsche Reime übertragen. Ein lockendes Werk, denn noch keiner der eifrig übersetzenden Sänger hatte sich daran versucht.

Aber er kam heute nicht vorwärts. Mit durstigen Lippen athmete er die vom Lenzeshauch erfüllte Luft ein; er lauschte auf

den aus dem Walde herüberkommenden Gesang der Vöglein.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_189.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)