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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Und droben an dem steilen Absturz lohte eine Flamme empor, weit hinaus grüßend alle die Getreuen, die Ostaras nicht vergessen hatten.

„Stab aus! Stab aus!
Brennt dem Winter die Augen aus!“

tönte der rauhe Sang.

Steil war der Berg. Der Athem ging den Singenden fast aus; aber zum wilden Liede mußte er reichen, ja, er stärkte sich noch mehr, als die Klimmenden von den Höhen überall, auf den Kuppen, soweit man schauen konnte, die Feuerfackeln winken sahen, sahen, wie der alte Gau der Frühlingsgöttin seine Huldigung zollte. Singend brachen sie aus dem Walde hervor, stiegen sie über den schroffen Bergrand empor.

Da wurde ihr Gang langsamer. Was war das? Die sonst um diese Zeit wie zürnend verschlossene Kapelle that sich auf; beleuchtet von der ewigen Lampe erschauten sie das Huldbild Unserer lieben Frau.

Und aus der Pforte schritten, voran die Chorknaben, ihre Rauchfässer hoch schwingend, einen feierlichen Hymnus singend, in langem Zuge die Chorherren, an der Spitze der Propst mit seinem Stabe.

Vor der Kapelle stellten sie sich auf wie treue Kriegsknechte vor der Feste, die sie vertheidigen wollen.

Mit raschen Schritten, aber kam Herr Albrecht hervor und bestieg den erhöhten Rain, welcher die kleine Kirche umfriedete.

„Tretet in einen Ring!“ “gebot er nun mit klingender Stimme. Da zogen die Feuerschlangen langsam heran, jedes Dorf für sich.

Es war ein wunderbarer Gottesdienst, zu dem sie berufen wurden. Ueber der weiten Bergfläche das dunkle Himmelsgewölbe, von funkelnden Sternen besät, im Kreise die Gemeinden mit lodernden Fackeln, bestrahlt von den Flammen des heidnischen Ostarafeuers. Vor ihnen der junge Geistliche, als trete er aus dem Kranze von grünendem Christdorn heraus, ein Bote der Kirche, die hinter ihm in sanftem Kerzenglanz mit dem milden Bilde Unserer lieben Frau sich erhob.

Aber siehe! Herr Albrecht strafte nicht, er begann das Frühlingsfest zu feiern. Mit dem Schwunge des Dichters pries er die Auferstehung der Natur, wie sie die Eisfesseln des Baches sprengt, Blumen und Kräuter aus der Erde lockt, den Vöglein die sangeslustige Zunge löst.

Die widerborstigen Gemeinden reckten ihre Ohren auf und lauschten und merkten es nicht, wie er allmählich, nun als Chorherr ihres Stiftes, sie zu dem größeren Wunder führte, zu der auferstandenen Liebe, die das Grab gesprengt, den Tod überwunden habe. Sein falkenscharfer Blick überflog den Kreis. Das demüthige Senken der Fackeln that ihm kund, daß er die zerrissenen Zügel christlicher Gesinnung wieder in der Hand hielt.

Aber weise unterließ er es, sie straffer zu ziehen. „Feiert Euer frohes Fest,“ fuhr er fort. „Gott hat Wohlgefallen an unschuldiger Freude. Wir werden sie Euch nicht verleiden. Aber wir werden Euch hinfüro in jedem Jahre hier begegnen und Gott, dem Herrn, die Ehre geben, bevor Ihr in fröhlichem Muthe Euch seiner schönen Erde freut.“

Er wollte zurücktreten. Da blendete es wie ein Blitzstrahl in seine Augen. Er sah hinüber. Das kam aus Irmeleins Handspiegel; sie hob bittend die Hände. Und da zur Rechten sahen ihn blaue Augen flehend, zur Linken schwarze fordernd an.

Er besann sich. Für Strauß, Kräuterkuchen und Bitt-Thränen wurde ein Wunder erwartet von „Unserer lieben Frau“ und Hilfe von ihm. Ein kaum merkbares Lächeln flog über seine Lippen. Er sammelte sich zu einem zweiten Theile seiner Rede.

„Aber wie wir Euch für Trotz Liebe geben, so heischen wir auch von Euch milden Sinn. Mit einem grausamen heidnischen Reime droht Ihr, dem harten Winter die Augen auszubrennen! Ist von Euren Herzen auch die harte Eisrinde gesprungen? Habt Ihr Widersetzlichkeit, Haß, Mißgunst aus Eurer Seele gebrannt? Werdet Ihr im frohen Ostertanz Euch brüderlich die Hände reichen?“

Unbeweglich stand der Ring.

„Wohlan! Wenn die Männer starrnackig sanfter Sitte sich nicht beugen wollen, so befehle ich den gehorsamen Töchtern unseres Stiftes, mit gutem Beispiel voran zu gehen. Gotelinde, wohlgethane Jungfrau, Irmelein, freundliches Kind, und Elsemuth, aufrichtige Maid, bietet den Nachbarn jenseit Eurer Dorfgehege die Hand, wie die Stimmen in Euren Herzen Euch führen.“ .

Da schritten aus den Reihen ihrer Dorfgenossen drei Mägdlein hervor, wie getrieben von einer unsichtbaren Gewalt


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_193.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)