Seite:Die Gartenlaube (1893) 202.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Da war die Bestätigung dessen, was er nicht hatte glauben wollen, er brauchte nicht erst zu fragen.

„Du meinst die bevorstehenden Wahlen,“ sagte er mit eisiger Ruhe. „Es heißt, daß die Sozialisten diesmal einen eigenen Kandidaten für unseren Bezirk aufstellen wollen, und Du bist vermuthlich entschlossen, für ihn zu stimmen. Da begreife ich allerdings, daß Du Deine Entlassung forderst. Weder die Vertrauensstellung, die Du in Radefeld einnimmst, noch Dein Verhältniß zu mir und meiner Familie kann dabei fortbestehen. Wir täuschen beide uns nicht darüber, daß ich allein es bin, der hier bekämpft werden soll.“

Egbert stand wortlos da, das Auge auf den Boden geheftet. Man sah, wie furchtbar schwer ihm ein Geständniß wurde, das man ihm mit keinem Worte, keiner Andeutung erleichterte. Plötzlich aber richtete er sich entschlossen auf.

„Herr Dernburg, ich habe Ihnen eine Eröffnung zu machen, die Sie vielleicht mißdeuten werden, aber erfahren müssen Sie es doch. Der Kandidat, den meine Partei in Aussicht genommen hat – bin ich.“

„Läßt Du Dich wirklich herab, mir das selbst mitzutheilen?“ fragte Dernburg langsam. „Ich hielt es für unmöglich. Die beabsichtigte Ueberraschung wäre jedenfalls noch vollständiger gewesen, wenn ich es durch die Zeitungen erfahren hätte.“

„Sie wissen bereits –?“ fuhr Egbert auf.

„Was Du für gut hieltest, mir bis heute zu verschweigen. Ja, ich weiß es und wünsche Dir Glück zu Deinem Erfolge. Schüchtern bist Du nicht, Du greifst mit Deinen achtundzwanzig Jahren schon keck nach einer Ehre, zu der ich mich erst berufen fühlte, als ich mich auf die Arbeit eines ganzen Lebens stützen konnte. Du hast eben erst die Lehrjahre hinter Dir und läßt Dich schon als Volkstribun auf den Schild heben. Nun, Glück auf dazu!“

In dem Gesicht Runecks wechselten bei dem herben Spott Röthe und Blässe und seine Stimme hatte nicht die gewohnte Festigkeit, als er erwiderte: „Ich habe es gefürchtet, daß Sie die Sache so auffassen würden, und das macht mir die Lage noch peinvoller, in die ich durch diesen Beschluß meiner Partei gedrängt werde. Ich habe ihn bekämpft bis zum letzten Augenblick, aber man hat mich schließlich –“

„Gezwungen, nicht wahr?“ unterbrach ihn Dernburg mit einem bitteren Auflachen. „Du bist natürlich nur ein Opfer Deiner Ueberzeugung. Ich dachte mir im voraus, daß Du Dich damit decken würdest. Gieb Dir keine Mühe, ich weiß Bescheid!“

„Ich lüge nicht, ich denke, das wissen Sie,“ sagte Egbert finster. Dernburg erhob sich und trat dicht vor ihn hin.

„Warum kamst Du nach Odensberg zurück, wenn Du wußtest, daß der Gegensatz zwischen uns ein unversöhnlicher geworden war? Du brauchtest die Stellung nicht, die ich Dir bot. Dir stand die ganze Welt offen. Doch was frage ich! Es galt, den Kampf gegen mich vorzubereiten, den Grund zu unterwühlen, auf dem ich stehe, mich auf meinem eigenen Boden erst zu verrathen und dann zu schlagen –“

„Nein, das that ich nicht!“ fiel ihm Runeck ungestüm ins Wort. „Als ich hierher kam, dachte niemand an die Möglichkeit meiner Wahl und ich am wenigsten, Landsfeld allein kam in Betracht. Erst im vergangenen Monat tauchte der Plan auf und erst in den letzten Tagen wurde er zum Beschluß erhoben, trotz meines Widerstandes. Ich durfte nicht eher reden, es war Parteigeheimniß.“

„Wirklich! Nun die Rechnung ist sehr geschickt gemacht. Weder Landsfeld noch ein anderer hätte die mindeste Aussicht gehabt, wo es galt, mich zu verdrängen, der Versuch wäre kläglich gescheitert, das wird man eingesehen haben beim ‚Sondieren‘. Du bist ein Arbeiterkind, unter meinen Leuten aufgewachsen, aus ihrer Mitte hervorgegangen, sie sind allesamt stolz auf Dich. Wenn Du es ihnen klar machst, daß ich im Grunde ein Tyrann bin, der sie in all den Jahren bedrückt und ausgesogen hat, wenn Du ihnen das Goldene Zeitalter versprichst – das packt, das verblüfft die Leute, Dir glauben sie es vielleicht, Du sollst ja ein ausgezeichneter Redner sein. Wenn der Mann, der fast ein Sohn meines Hauses gewesen ist, sich an ihre Spitze stellt, um sie zum Kampfe gegen mich zu führen, dann muß ihre Sache doch wohl die rechte sein, dann schwören sie darauf!“

Es waren fast dieselben Worte, die der junge Ingenieur vor Monaten aus dem Munde Landsfelds gehört hatte, und sein Blick sank nieder vor den durchbohrenden Augen Dernburgs, der sich jetzt zu seiner ganzen Höhe aufrichtete, als er fortfuhr:

„Aber noch sind wir nicht soweit. Ich will doch sehen, ob meine Arbeiter es vergessen haben, daß ich dreißig Jahre lang mit ihnen und für sie gearbeitet und gesorgt habe, ob ein Band, das sich in einem Menschenalter geknüpft hat, so leicht zerrissen wird. Versuche es! Wenn irgend einem, so gelingt es Dir. Du bist in meiner Schule aufgewachsen und hast vielleicht gelernt, wie man den alten Meister schlägt.“

Egbert war totenbleich; in seinen Zügen spiegelte sich der Kampf, der in seinem Inneren wühlte. Aber jetzt hob er langsam das Auge empor. „Sie verdammen mich und würden vielleicht an meiner Stelle nicht anders handeln. Ich habe es oft genug aus Ihrem eigenen Munde gehört, daß die Disciplin das erste und oberste Gesetz eines jeden großen Unternehmens ist. Ich habe mich diesem eisernen Gesetze gebeugt, beugen müssen – was es mich gekostet hat, das weiß nur ich allein.“

„Ich verlange Gehorsam von meinen Leuten,“ sagte Dernburg kalt. „Zu Verrätherdiensten zwinge ich sie nicht.“

Egbert zuckte zusammen und es blitzte beinahe drohend in seinen Augen auf.

„Herr Dernburg, ich kann viel von Ihnen hinnehmen, zumal in dieser Stunde, aber dies Wort – dies Wort ertrage ich nicht!“

„Du wirst es wohl ertragen müssen. Was hast Du denn gethan da draußen in Radefeld?“

„Was ich verantworten kann, vor Ihnen und vor mir selber.“

„Dann hast Du eben Deine Aufgabe schlecht erfüllt und man wird Dich das büßen lassen. Doch wozu um Vergangenes rechten, es handelt sich um die Gegenwart. Du bist also Kandidat Deiner Partei und hast angenommen?“

„Da es Parteibeschluß ist – ja! Ich mußte mich ihm fügen.“

„Du mußtest!“ wiederholte Dernburg mit bitterem Spott. „Das ist jetzt Dein zweites Wort, sonst kanntest Du es kaum, da wolltest Du nur. Mich hieltest Du für einen Tyrannen, weil ich nicht ohne weiteres Deinen volksbeglückenden Ideen zustimmte, und stießest diese Hand zurück, die Dich leiten wollte. Du wolltest freie Bahn im Leben. Und jetzt beugst Du Dich einem Joch, das Dein ganzes Denken und Wollen in Fesseln schlägt, Dich zwingt, mit allem zu brechen, was Dir nahe steht, das Dich bis zum Verrath erniedrigt – fahre nicht aus, Egbert, es ist so! Du durftest nicht nach Odensberg zurückkehren, wenn Du wußtest daß eine Stunde wie die jetzige kommen müsse. Du durftest nicht bleiben, als Du erfuhrst, daß man Dich in dem Kampf gegen mich voranstellen wollte – aber Du bist zurückgekommen, bist geblieben, weil man es Dir befahl. Nenne das, wie Du willst, ich nenne es Verrätherei! Und jetzt geh’, wir sind fertig miteinander!“

Er wandte sich ab; Egbert jedoch gehorchte nicht, er kam mit einer stürmischen Bewegung näher.

„Herr Dernburg – lassen Sie mich nicht so gehen! So kann ich nicht von Ihnen scheiden – Sie sind mir ja doch ein Vater gewesen!“

Es lag in diesem Ausbruch einer lange verhaltene Qual ein wilder Schmerz, der bei dem sonst so starren verschlossenen Runeck etwas Erschütterndes hatte, aber der schwer gereizte Mann, der da vor ihm stand, sah das nicht oder wollte es nicht sehen, sondern trat zurück, und sein ganzes Wesen war eisige Abwehr, als er sagte:

„Und der Sohn hebt die Hand gegen den ‚Vater‘! Ja, ich hätte Dich gerne ‚Sohn‘ genannt, Dich am liebsten von allen! Du hättest Herr sein können in Odensberg. Sieh zu, ob Deine Genossen es Dir danken, das ungeheure Opfer, das Du ihnen gebracht hast. Und nun sind wir zu Ende – geh!“

Egbert war verstummt, er machte keinen Versuch mehr zur Verständigung, langsam wandte er sich zum Gehen; nur einen letzten schweren Blick sandte er von der Schwelle aus noch zurück, dann schloß sich hinter ihm die Thür.

Dernburg warf sich in einen Sessel und legte die Hand über die Augen. Was auch alles heute auf ihn eingestürmt war – das war das Schwerste. In Egbert hatte er die junge mächtige Kraft geliebt, die der seinigen so ähnlich war, die er an sich hatte fesseln wollen für den Rest seines Lebens, und jetzt war es ihm, als scheide mit dem jungen Manne der beste Theil seiner

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_202.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)