Seite:Die Gartenlaube (1893) 203.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

eigenen Kraft und seines eigenen Daseins von ihm, auf Nimmerwiederkehr. –

Finster eilte Runeck durch die Eingangshalle, sein Schritt war so stürmisch, als stünde der Boden unter seinen Füßen in Flammen. Man sah, wie viel diese Stunde ihn gekostet hatte, in der er sich von allem losriß, was ihm lieb war, wie lieb, das fühlte er ganz erst jetzt, wo er es verlor. „Du hättest Herr sein können in Odensberg!“ In dem einen Worte lag die Größe des Opfers, das er gebracht hatte … und wem gebracht? Er kannte längst nicht mehr jene freudige Begeisterung, die nicht fragt und nicht zweifelt. Jedoch Entschluß und Handeln stand jetzt nicht mehr in seiner freien Wahl wie einst; er hatte nicht mehr zu wollen – er mußte.

Da rauschte dicht vor ihm ein seidenes Frauengewand, er blickte auf und sah sich der Baroneß Wildenrod gegenüber. Einen Augenblick stand er wie angewurzelt, dann wollte er mit einer tiefen Verbeugung vorüber. Aber Cäcilie trat dicht an ihn heran und sagte leise: „Herr Runeck!“

„Gnädiges Fräulein?“

„Ich muß Sie sprechen.“

„Mich?“ Egbert glaubte nicht recht gehört zu haben, aber sie wiederholte im gleichen Tone:

„Allein sprechen – ich bitte Sie darum.“

„Wie Sie befehlen!“

Sie schritt voran, er folgte ihr in den Salon. Es war niemand dort, und selbst wenn jemand erschien, konnte das Zusammensein für ein zufälliges gelten. Cäcilie war an den Kamin getreten, als wollte sie vor dem Sonnenschein flüchten, der hell und goldig durch die hohen Fenster hereindrang. Es vergingen einige Minuten, ehe sie sprach. Auch Runeck schwieg; sein Blick glitt langsam über ihr Antlitz, das so ganz anders erschien als früher.

Erich hatte recht, die strahlend heitere Braut von einst war seltsam verändert. Sie war nicht mehr das berückende Geschöpf, dessen ganzes Wesen von Uebermuth und Lebensfreude sprühte – ein bleiches bebendes Mädchen lehnte an dem Marmorpfeiler des Kamins, die Augen gesenkt, einen schmerzlichen Zug um den Mund, und suchte nach Worten, die nicht über die Lippen wollten.

„Ich habe Ihnen schreiben wollen, Herr Runeck,“ begann sie endlich, „Da hörte ich, daß Sie heute im Herrenhause seien, und beschloß, Sie persönlich zu sprechen. Es bedarf noch einer Erklärung zwischen uns.“

Sie hielt inne und schien eine Antwort zu erwarten, als Egbert sich aber nur stumm verneigte, fuhr sie mit sichtlicher Anstrengung fort: „Ich muß Sie an unser Zusammentreffen am Albenstein erinnern, Sie werden es so wenig vergessen haben, wie ich die Worte, die Drohungen vergessen habe, die Sie mir zuschleuderten. Diese sind mir damals dunkel geblieben und sind es mir heute noch, aber ich weiß seit jener Stunde, daß Sie meinem Bruder und mir als ein unversöhnlicher Feind gegenüberstehen –“

„Ihnen nicht, Baroneß!“ fiel Runeck ein. „Ich war in einem schweren Irrthum begriffen, der mir damals sofort klar wurde. Ich habe um Verzeihung gebeten, freilich ohne sie zu erhalten. Meine Worte wie meine Drohungen galten einem andern.“

Cäcilie hob die Augen zu ihm empor, es stand eine flehende angstvolle Bitte darin zu lesen.

„Aber dieser andere ist mein Bruder, und was ihn trifft, trifft auch mich. Wenn Sie ihm jemals so gegenübertreten wie mir in jenem Augenblick, so wird der Ausgang ein blutiger, furchtbarer sein. Ich habe wochenlang davor gezittert, jetzt ertrage ich es nicht länger. Ich will Gewißheit haben – was denken Sie zu thun?“

„Weiß Herr von Wildenrod von jenem Auftritt am Albenstein?“

„Ja!“ Das Wort war fast unhörbar.

Runeck fragte nicht weiter, er brauchte nicht erst zu erforschen, was Wildenrod geantwortet hatte, in den verstörten Blicken Cäciliens stand das deutlich genug, und er ersparte ihr die peinvolle Frage.

„Beruhigen Sie sich,“ sagte er ernst. „Die Begegnung, die Sie fürchten, wird nicht stattfinden, denn ich verlasse schon morgen Radefeld und das Odensberger Gebiet. Und da Sie mit Erich nach dem Süden gehen, hat auch Herr von Wildenrod keine Veranlassung und keinen Vorwand mehr, nach Ihrer Vermählung hier zu bleiben. Damit fällt für mich die Nothwendigkeit fort, ihm feindlich entgegenzutreten. Vor Ihnen aber brauche ich Odensberg und das Dernburgsche Haus nicht zu schützen, das weiß ich jetzt!“

Er ahnte nicht, wie schwer seine Worte Cäcilie trafen. Sie kannte Oskars hochfliegende Pläne, sie wußte, daß er sich mit ihrer Verlobung nur den Weg zu seinen eigenen Zielen gebahnt hatte, daß das Band zwischen ihm und Maja sich doch früher oder später knüpfen werde, um ihn zum Herrn in Odensberg zu machen, aber sie schwieg mit fest zusammengepreßten Lippen, schwieg im vollen Bewußtsein des Unrechtes, das sie beging, um das kaum beschworene Unheil nicht von neuem zu entfesseln.

Es war totenstill in dem weiten Gemach, nur der einförmige Pendelschlag der großen Standuhr ließ sich vernehmen, die Sekunden, die Minuten verrannen – sie verrinnen so beängstigend schnell in der Abschiedsstunde!

Da trat Egbert einen Schritt näher und sprach mit einem bebenden Klang in der Stimme: „Ich habe Ihnen mit meinen schonungslosen Worten ein großes Unrecht angethan, so groß, daß Sie es mir nicht vergeben können. Ich mußte glauben, daß Sie mit offenen Augen inmitten der Verhältnisse standen, die Sie umgaben, ich konnte nicht ahnen, daß man Sie in völliger Unkenntniß gelassen hatte. Wollen Sie trotz alledem eine letzte Bitte, eine Warnung von mir hören?“

Das junge Mädchen neigte stumm bejahend den Kopf.

„Ihre Vermählung entreißt Sie jenen Verhältnissen und befreit Sie von der Herrschaft Ihres Bruders – so machen Sie sich auch frei von seinem Einfluß, um jeden Preis! Lassen Sie ihm keine Macht mehr über Ihr künftiges Leben, sie ist unheilvoll und bringt Verderben. Was ich früher nur ahnte, weiß ich jetzt gewiß. Der Weg des Freiherrn führt an einem Abgrund hin – wer kann sagen, wo er endigt!“

Cäcilie zuckte bei den letzten Worten zusammen. Sie dachte an die düstere Drohung Oskars, als sie sich weigerte, in Odensberg zu bleiben, und das Bild des toten Vaters tauchte vor ihr auf.

„Nicht weiter, Herr Runeck,“ sagte sie, sich gewaltsam zusammenraffend. „Sie sprechen von meinem Bruder!“

„Ja, von Ihrem Bruder,“ wiederholte er mit Nachdruck. „Und Sie widerlegen mich nicht, Sie wissen also –“

„Ich weiß nichts, will nichts wissen – o mein Gott, so haben Sie doch Erbarmen mit mir!“

Sie schlug beide Hände vor das Gesicht und wankte, als wollte sie zusammenbrechen. In demselben Augenblick war Egbert auch schon an ihrer Seite und stützte sie; wie damals am Albenstein lag das bleiche schöne Haupt mit den geschlossenen Augen an seiner Schulter.

„Cäcilie!“

Es war nur ein einziges Wort, aber es kam in heißem leidenschaftlichen Tone von den Lippen Egberts, und bei diesem Klang öffneten sich langsam die großen dunklen Augen und begegneten den seinen. Ihre Blicke ruhten ineinander eine Sekunde – eine Ewigkeit lang.

Die Uhr verkündete mit lauten hellen Schlägen die Mittagsstunde, Egbert ließ die Arme sinken und richtete sich empor.

„Machen Sie Erich glücklich!“ sagte er dumpf. „Leben Sie wohl, Cäcilie!“

In der nächste Minute hatte er das Zimmer verlassen, und Cäcilie, die heiße Stirn gegen die kalte Marmorwand des Kamins gepreßt, weinte, weinte, als sollte ihr das Herz brechen.




Die Wohnungen der zahlreichen Beamten von Odensberg bildeten fast eine kleine Stadt für sich; dort lag auch das Haus des Doktor Hagenbach, eine kleine Villa im Schweizerstil. Sie war offenbar auf eine größere Familie berechnet, aber der alternde Junggesell hatte nicht ans Heirathen gedacht und hauste schon seit Jahren einsam mit einer alten Wirthschafterin, der sich jetzt sein Neffe zugesellt hatte. Als Hauptarzt von Odensberg hatte Hagenbach am Orte selbst eine ausgedehnte Berufsthätigkeit, er wurde aber auch oft von auswärts in Anspruch genommen.

Auch heute saß in seinem Sprechzimmer ein fremder Patient, der freilich nicht das Aussehen eines Kranken hatte. Der etwa vierzigjährige Mann war mit einem sehr ansehnlichen Leibesumfang begabt, seine Hände falteten sich über einem umfangreichen Bäuchlein und die Augen verschwanden fast hinter den vollen rothglänzende Wangen. Trotzdem berichtete er eine lange

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_203.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)