Seite:Die Gartenlaube (1893) 215.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

wo solche fehlten, neue anzubringen; aber man hatte wenig Verständniß für seine Kulturbestrebungen, und ich konnte, wo überhaupt Straßenschilder sichtbar waren, höchst selten den Namen entziffern. – In holder Uebereinstimmung mit diesem patriarchalischen Zustand befindet sich das Postwesen. Es giebt in Korfu keine Briefträger. Was die Postdampfer bringen oder mitnehmen, wird nach der sehr einfach eingerichteten nicht weit vom Hafen gelegenen Posthalle gebracht, von wo die Beförderung zum Schiff besorgt wird, während es denjenigen, welche Sendungen erwarten, überlassen bleibt, dieselben dort abzuholen. Etwa zwei Stunden, nachdem das Nebelhorn eines Dampfers dessen Ankunft verkündigt hat, schicken die Behörden, Gastwirthe und größeren Geschäfte nach der Post und lassen sich bringen, was unter ihrer Adresse gekommen ist.

Brunnen bei Gasturi.

Wer sonst etwas erwartet, fragt gelegentlich nach. Außerdem giebt es Leute, welche ein Privatgeschäft daraus machen, die Adressaten nicht abgeholter Briefe aufzusuchen und ihnen diese gegen eine kleine Entschädigung zuzustellen. Da Korfu – seine Einwohnerzahl beträgt einschließlich der Vorstädte 25000 – die einzige größere Stadt auf der Insel ist und der geschäftliche Verkehr, welcher hauptsächlich Oel und Wein betrifft, großentheils persönlich abgemacht wird, so besteht auch wenig Bedürfniß für Postverbindungen im Innern. Nöthigenfalls weiß der Einheimische eine Gelegenheit zur Beförderung zu finden.

Betritt man die Stadt von der Landseite aus durch die Porta Reale, so hat man zur Linken das von den Juden bewohnte Viertel. Der größere Theil derselben besteht aus Handwerkern und kleineren Geschäftsleuten; von den reicheren Familien dürften nach den letzten Unruhen wenige zurückgeblieben sein. Die eigentliche Ursache der heftigen Verfolgung, welche die Juden in Korfu im Frühjahr 1891 zu erdulden hatten, ist bis heute noch nicht aufgeklärt.

Es wäre unrecht, aus jenem vereinzelten Ausbruche der Leidenschaft einen ungünstigen Schluß auf den Charakter der Bevölkerung zu ziehen. Im Gegentheil verdient für gewöhnlich das friedliche und anständige Benehmen auch der niederen Klassen gerühmt zu werden, und es herrscht hier wie im übrigen Griechenland im allgemeinen eine so große Sicherheit des Lebens und Eigenthums wie an wenigen Orten. Ich hatte die beste Gelegenheit, die Leute von ihrer guten Seite kennenzulernen, während ich die erwähnte Straßenansicht zeichnete. Außen war der Raum zu eng und der Verkehr zu lebhaft, als daß es möglich gewesen wäre, ohne allzu große Belästigung zu arbeiten. Ich setzte mich daher unter die Thür eines kleinen Tabakladens, was mir aufs bereitwilligste gestattet wurde, obgleich auch dort der Raum so beschränkt war, daß außer dem Verkäufer höchstens vier bis fünf Personen gleichzeitig Platz hatten. Meine Anwesenheit war für die ein- und ausgehenden Kunden ziemlich unbequem, aber jeder drückte sich aufs vorsichtigste an mir vorbei, und wenn draußen ein Neugieriger die Aussicht versperrte, so war mein Quartiergeber alsbald bei der Hand, ihn fortzuweisen. Bald stand ich mit dem biederen Tabakhändler und seinen nächsten Nachbarn, soweit sie das Italienische verstanden, auf freundschaftlichem Fuße; einer brachte mir seinen kunstbeflissenen Sohn und dessen Arbeiten behufs gebührender Anerkennung, welche ich ihm natürlich nicht versagte, und wenn ich irgend einen Wunsch äußerte, so war man sofort bereit ihm nachzukommen. Eigennützige Beweggründe hatten damit nichts zu thun, vielmehr fehlte mir jede Gelegenheit, mich dankbar zu erweisen.

Villa Reale.

Es war eine bunte Musterkarte der mannigfaltigsten Typen, welche dort in stetem Wechsel sich durch die Straße bewegten. Hochgewachsene Albanesen, trotz der Hitze in lange Mäntel gehüllt, und albanesische Frauen in plumper unschöner Tracht – viele des Stammes wohnen in der Vorstadt San Rocco – Frauen vom Lande, bald mit turbanartig den Kopf dicht umschließenden Tüchern, bald mehr nach italienischer Weise gekleidet, zuweilen eine Fustanella oder der schwarze Talar und die hohe Mütze eines Popen und im Gegensatz dazu ein Polizist in weißer Sommeruniform oder ein Türke in langem hellblauen Kaftan. Doch herrscht im ganzen die moderne Tracht vor oder eine willkürliche, oft eigenartige Mischung derselben mit Theilen einer Landestracht. Die elegantere Welt ist unter Tages wenig sichtbar. Um so vollzähliger zeigt sie sich gegen Abend lustwandelnd auf der Strada marina und auf der Spianata, oder vor den zahlreichen an dieser liegenden Kaffeehäusern und Konditoreien im Freien herumsitzend. Zweimal wöchentlich spielte daselbst eine Militärkapelle, an zwei anderen Abenden übernahmen zwei aus Bürgern bestehende Vereine die musikalische Unterhaltung. Das Hauptstück war jedesmal die vollständige Musik irgend einer Oper, welche mit anerkennenswerther Ausdauer ohne Unterbrechung, mitunter dreiviertel Stunden dauernd, durchgespielt wurde. Daß mir die korfiotischen Damen durch besondere Schönheit

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_215.jpg&oldid=- (Version vom 18.9.2020)