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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Die Volkshaushaltungsschule in Leipzig.

Es dürfte kaum nöthig sein, an dieser Stelle ein Wort zu sprechen über das Bedürfniß der Gründung von Haushaltungsschulen für die Töchter des Arbeiterstandes. Alle Einsichtigen sind von der Nothwendigkeit derselben überzeugt, nur diejenigen unter den Wohlhabenden, welche die Lebensweise des Volkes nicht kennen, und einige Unverständige, welche da glauben, das Wirthschaftführen sei eine Kunst, die nicht erlernt zu werden brauche, nehmen eine gegnerische Stellung ein.

Die naturgemäße Entwicklung würde sein, die Wirthschaftslehre praktisch und theoretisch in den Lehrplan der weiblichen Fortbildungsschule aufzunehmen. Die Gemeinden sind aber größtentheils infolge anderweitiger Inanspruchnahme und infolge Ueberbürdung ihres Budgets nicht in der Lage, diesen Vorschlag auszuführen; deshalb muß vorläufig die Privatwohlthätigkeit eintreten und die Wege zu ebnen, Erfahrungen zu sammeln versuchen. Leider sind aber bis jetzt noch zu wenige Volkshaushaltungsschulen begründet worden, vielleicht einige Dutzend in ganz Deutschland, unter denen die in Leipzig bestehende sich eines schönen Erfolges erfreuen darf. Der Bericht über dieselbe soll dazu dienen, für die weitere Gründung solcher Schulen Lust und Stimmung zu wecken.

Die Leipziger Volkshaushaltungsschule, die nun seit bald anderthalb Jahren besteht, wurde am 1. November 1891 eröffnet mit einer Schülerinnenzahl von 56 Mädchen, die sich auf Morgen- und Abendkurse vertheilen. Die Lehrräumlichkeiten befinden sich in der Mühlstraße 14, Reudnitz-Leipzig; sie bestehen aus zwei großen, sehr hellen Zimmern, von denen das eine für Waschen und Nähen, das andere für Kochen und Essen bestimmt ist. In der Küche stehen außer 4 Herden, die für je 4 Kochstellen eingerichtet sind, die Schränke, deren oberer Theil zur Aufnahme des Eßgeschirrs dient, während im untern Theil das Küchengeräth, Töpfe, Schüsseln etc. untergebracht ist. An schönen großen Tischen wird zuerst die Küchenarbeit verrichtet, später gespeist, wofür sie mit hübschen Gummidecken belegt werden, damit auch die Zierlichkeit ihr Recht finde. Die Schülerinnen eines jeden Kursus sind in 2 Abtheilungen getheilt, von denen wochenweise die eine kocht, während die andre das Waschen und Plätten, sowie das Flicken erlernt; das Material für letzteres wird von den Schülerinnen selbst mitgebracht.

Die Kost bleibt vollständig im Rahmen derjenigen Nahrung, wie sie für eine Arbeiterfamilie zweckmäßig ist. Der Speisezettel, der von den Vorstandsdamen ausgearbeitet wird, nimmt auf möglichst vielseitige und kräftige Ernährung Bedacht und weist für das Halbjahr 55 verschiedene Gerichte auf, deren Zubereitung gelehrt wird und die sich durch angemessene Wiederholung dem Gedächtniß einprägen. Ueberdies wird von jeder Schülerin die Bereitungsart und der Preis des Gerichtes in ein Buch eingetragen. Der Preis darf durchschnittlich nicht über 15 Pfennig für die Portion betragen, und die Mädchen werden angewiesen, sich eine Kostenübersicht für die Woche zu machen, damit sie lernen, wie theurere und billigere Gerichte sich in diesem Zeitraum im Preis ausgleichen. In jeder Woche giebt es mindestens einmal Fleisch, aber in möglichst abwechselnder Form: vom einfach gekochten Rindfleisch bis zu Hackebraten, Fricandellen, Lungenhaché etc. Mehlspeisen, Fisch, Gemüse kommen wöchentlich je einmal vor; dabei werden, wie auch bei den Kartoffelgerichten, die verschiedensten Arten berücksichtigt. Einmal in der Woche findet das gründliche Reinmachen statt, und an diesen Tagen wird nur eine kräftige Suppe gekocht. Nach dem Essen wird natürlich täglich alles gebrauchte Geschirr sauber gereinigt und die Küche aufgeräumt.

Waschen und Plätten wird nach erprobten Grundsätzen gelehrt, indem vom Leichteren zum Schwereren übergegangen wird. Beim Handfertigkeitsunterricht wird keine mustergültige Arbeit verlangt wie in der Schule: die Flick- und Stopfarbeiten müssen aber gut und dauerhaft ausgeführt sein, wie es den Bedürfnissen des täglichen Lebens entspricht; die Kenntniß des Materials bildet dort wie hier einen Hauptpunkt des Unterrichts.

Der Vorstand, der die Schule ins Leben gerufen hat, weist die Namen angesehener Persönlichkeiten der Stadt auf und besteht aus einer Anzahl Herren für das „Auswärtige“, und aus acht Damen für das „Innere Amt“. Letztere wachen über die genaue Ausführung der festgestellten Grundsätze und wechseln in wöchentlicher Aufsicht ab. Eine Kochlehrerin sowie eine Wasch- und Nählehrerin unterrichten mit ebensoviel Hingebung wie Verständniß und legen besonderes Gewicht auf Reinlichkeit und Ordnung als auf die Grundlage der weiblichen Arbeit.

Die Betriebskosten, die ungefähr 3080 Mark im Jahre betragen, werden aufgebracht durch freiwillige Beiträge und durch den Erlös an Eintritts- und Kostgeld. Das Eintrittsgeld beträgt für den Vormittagskursus 3 Mark, für den Abendkursus 1 Mark. Für die Portion Essen entrichtet jede Schülerin wöchentlich 50 Pfennig, für die Unkosten beim Waschen und Plätten beim Eintritt 2 Mark.

Die wenn auch kurze Erfahrung in der Schule hat gezeigt, daß aus derselben gerne Dienstboten entnommen werden von solchen Herrschaften, die auf eine tüchtige Unterweisung in den Grundlagen der Haushaltungskunde Werth legen; darauf baut sich später leicht die Kenntniß der feineren Küche auf.

Es ist eine Freude, zu sehen, wie gern und fröhlich die Mädchen arbeiten, wie willig und anstellig sie beim Lernen sind. Die Abendschülerinnen, meist aus Lohnarbeiterinnen bestehend, kommen vielfach sehr müde zum Unterricht, der deshalb auf das Kochen an zwei Abenden beschränkt worden ist. Um dies auszugleichen, ist für die Mittwochabende eine Nähstunde eingerichtet worden, in der die Schülerinnen der Anstalt umsonst im Nähen, Flicken und Zuschneiden Unterweisung erhalten; gern werden hierzu auch Mädchen und Frauen jeden Alters hinzugenommen, die dann monatlich 50 Pfennig zu bezahlen haben. Die Morgenschülerinnen, die meist eben der Schule entwachsen sind, blühen förmlich auf bei guter Kost und angemessener Arbeit.

So sei dies Werk menschenfreundlicher Thätigkeit ebenso der Nacheiferung wie dem fleißigen Besuch empfohlen. Die Schuldirektoren werden sich den Dank der abgehenden Schülerinnen erwerben wie die Fabrikbesitzer den ihrer Arbeiterinnen, wenn sie dieselben, die meist zu schwach sind, in einen Dienst einzutreten, auf die Vorzüge der Anstalt aufmerksam machen. Der Segen wird nicht ausbleiben, wenn immer mehr Mädchen zu tüchtigen Hausfrauen vorgebildet werden, die auch mit geringen Mitteln es verstehen, Mann und Kindern das Haus lieb und angenehm zu machen.

Frau Lotte Windscheid.




Freie Bahn!
Von E. Werner.
(13. Fortsetzung.)


Eine Weile beobachtete Doktor Hagenbach das seltsame Gebahren seines Neffen mit steigender Verwunderung, dann aber fuhr er in seiner derben Art dazwischen. „Junge, bist Du verrückt geworden?“ rief er geärgert. Dagobert zuckte zusammen und wurde dunkelroth vor Verlegenheit. „Ich glaube, Du bist plötzlich übergeschnappt,“ fuhr sein Onkel fort und trat näher. „Was sollen denn diese Anstalten bedeuten?“

„Ich – ich lerne englische Wörter,“ erklärte Dagobert. Der Doktor schüttelte mißtrauisch den Kopf. „Englische Wörter, mit solchen herzbrechenden Seufzern? Das ist eine merkwürdige Art zu lernen.“

„Es war ein englisches Gedicht, das ich noch einmal – bitte, lieber Onkel, gieb her, das sind meine Aufsätze!“

Wie ein Stoßvogel schoß Dagobert auf den Tisch und das blaue Heft zu, aber zu spät, der Doktor hatte es bereits aufgeschlagen und begann darin zu blättern.

„Warum so aufgeregt? Du brauchst Dich ja offenbar Deiner Arbeiten nicht zu schämen und scheinst ziemlich weit gekommen zu sein. Fräulein Friedberg hat sich aber auch redliche Mühe mit Dir gegeben, und ich hoffe, Du bist ihr dankbar dafür.“

„Jawohl, sie gab sich Mühe – ich gab mir Mühe – wir gaben uns Mühe,“ stotterte Dagobert, der augenscheinlich gar nicht wußte, was er sagte, denn seine Augen waren in Todesangst auf die Hand des Onkels gerichtet, der eine Seite nach der andern umschlug, während er trocken bemerkte: „Nun, wenn Du ihr Deinen Dank in dieser Weise vorstotterst, wird sie nicht gerade sehr erbaut darüber sein – ja, was ist denn das?“

Er war auf ein lose eingelegtes Blatt gestoßen, bei dessen Anblick sein unglücklicher Neffe fast zusammenknickte.

„An Leonie!“ las Hagenbach verblüfft. „Das sind ja Verse! – ‚O zürne nicht, wenn ich zu Deinen Füßen‘ – oho, was soll denn das heißen?“

Dagobert stand da wie ein ertappter Verbrecher, während der Doktor das Gedicht durchlas, das nichts Geringeres als eine vollständige Liebeserklärung an die heimlich angebetete Lehrerin enthielt und die Ewigkeit dieser Gefühle mit den feierlichsten Schwüren betheuerte.

Es dauerte eine ganze Weile, ehe Hagenbach die Sache überhaupt begriff, so ungeheuerlich erschien sie ihm. Als er aber endlich zum Verständniß gekommen war, da brach ein Ungewitter mit ungeheurem Blitz und Donner über den armen Dagobert los. Dieser ließ sich eine Zeitlang geduldig abkanzeln, als aber das Gewitter kein Ende nehmen wollte, machte er einen Versuch zum Widerspruch.

„Onkel, ich bin Dir Dank schuldig,“ sagte er feierlich, „wo es sich jedoch um die heiligsten Empfindungen meines Herzens handelt, endet Deine Macht wie mein Gehorsam. Ja, ich liebe Leonie, ich bete sie an – und das ist kein Verbrechen“

„Aber eine Dummheit ist es!“ rief der Doktor zornig, „eine Dummheit, wie sie noch nicht dagewesen ist! Ein Junge, der kaum die Schulbank hinter sich hat, der noch nicht einmal Student

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_230.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)