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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

„So, das muß recht rührend gewesen sein!“ brummte Hagenbach, zum Glücke so leise, daß Leonie ihn nicht verstand; sie fuhr mit bebender Stimme fort: „Engelbert ging dann als Reisebegleiter nach Aegypten, doch kam es über ihn wie eine Offenbarung und er beschloß, sein künftiges Leben der Bekehrung der armen Heiden zu weihen. Er gab mir großmüthig mein Wort zurück, ich nahm das jedoch nicht an, sondern erklärte mich bereit seinen schweren aufopferungsvollen Beruf mit ihm zu theilen. Es sollte nicht sein! Er schrieb mir noch einmal vor seinem Abgang in das Innere Afrikas, und dann“ – ihre Stimme brach im Schluchzen – „dann hörte ich nichts mehr von ihm.“

Hagenbach theilte diesen Schmerz durchaus nicht, er empfand vielmehr eine außerordentliche Genugthuung darüber, daß der besagte Bräutigam und Heidenbekehrer wirklich tot und verschollen war. Die Erzählung besänftigte seinen Unmuth, sie nahm der Abweisung, die er erhalten, alles Verletzende. Er gerieth in eine versöhnliche Stimmung, die sich sogar auf seinen Nebenbuhler erstreckte.

„Friede seiner Asche!“ sagte er, „Aber Sie werden doch einmal aufhören, ihn zu beweinen, und ihn nicht zeitlebens betrauern. Das mag in den Wertherzeit Mode gewesen sein, am Ende des neunzehnten Jahrhunderts weint die Braut dem Entschlafenen die üblichen Thränen nach und nimmt dann einen anderen – wenn nämlich einer da ist. In unserem Falle ist er da und wiederholt seinen Antrag. Also, Leonie, wollen Sie mich? Ja oder nein?“

„Nein!“ sagte Leonie, sich empört ausrichtend. „Wenn ich noch nicht wüßte, was ich in der zarten anbetenden Liebe meines Engelbert besessen habe, so würde es mir Ihre Werbung zeigen. Vielleicht wären Sie einer anderen Dame doch nicht in solch – formloser Weise genaht, aber das verblühte einsame Mädchen, die arme abhängige Erzieherin muß es ja als ein Glück betrachten, wenn ihr eine ‚gute Versorgung‘ geboten wird. Wozu da noch Umstände machen? Ich denke aber doch zu hoch von der Ehe, um sie nur aus diesem Gesichtspunkte zu betrachten. Lieber will ich meine Armuth und meine Abhängigkeit behalten, als die Frau eines Mannes werden, der es nicht einmal als Freier der Mühe werth hält, mir die nöthige Rücksicht zu erweisen. – Und nun haben wir uns wohl nichts mehr zu sagen, Herr Doktor.“ Sie machte ihm eine Verbeugung und ging aus dem Zimmer.

Hagenbach stand da und sah ihr verblüfft nach. „Das nennt man abgekanzelt werden!“ sagte er, „und ich habe mir das ganz ruhig gefallen lassen. Uebrigens sah sie in dieser Entrüstung mit den purpurrothen Wangen und den blitzenden Augen durchaus nicht schlecht aus. Ich habe gar nicht gewußt, daß sie so hübsch ist. – Ja, diese verwünschten Junggesellengewohnheiten! Man verkommt ganz dabei.“

Er nahm seinen Hut und machte Anstalt zum Gehen, da fiel sein Blick wieder auf das Bild des vielbeweinten Nebenbuhlers und sein ganzer Zorn wandte sich gegen die unschuldige Photographie.

„Dieser Jammermensch! Dieser Hungerleider! Dieser – Engelbert!“ Er legte das ganze Maß seiner Verachtung in den Namen. „Und darum schlägt sie einen Mann wie mich aus, der ihr Lebensstellung und Vermögen bietet. Es ist ein Unsinn, eine Verrücktheit!“ Er hielt inne und schlug auf den Schreibtisch, daß der arme Engelbert samt seiner Trauerschleife erzitterte. „Und doch gefällt mir das an ihr und darum werde ich sie heirathen, sie mag wollen oder nicht!“




In Odensberg flatterten die Fahnen, krachten die Böllerschüsse von den umliegenden Höhen, und Ehrenpforten, Laubgewinde und Blumen grüßten überall das junge Ehepaar, das soeben von der Trauung zurückkehrte.

Die Vermählung hatte in der etwas entlegenen Patronatskirche stattgefunden, wo einst auch Dernburg mit seiner Gattin vor den Altar getreten war; jetzt kam der Hochzeitszug zurück, eine lange Reihe von Wagen, an der Spitze die Equipage der Neuvermählten. Die Werke feierten heute selbstverständlich, sämtliche Arbeiter bildeten Spalier auf dem Wege zum Herrenhaus, und der goldene Sonnenschein des schönen Spätsommertages erhöhte noch die Festfreude und den Festjubel, die in ganz Odensberg herrschten.

Jetzt fuhr der Brautwagen durch die große Ehrenpforte, die sich mit ihren Fahnen und Laubgewinden prachtvoll ausnahm, und hielt an der Terrasse; Erich hob seine Gattin heraus. Der Fuß der jungen Frau schritt buchstäblich auf Blumen dahin, die man in überreicher Fülle auf ihren Weg gestreut hatte. Die Eingangshalle war in einen duftenden blühenden Garten verwandelt, und auch die weitgeöffneten Festräume des Hauses empfingen blumendurchduftet die neue Herrin.

Dernburg folgte mit seiner Schwester am Arme, eine tiefe Bewegung sprach aus seinen Zügen, als er den Sohn und die Schwiegertochter umarmte. Er hatte ein schweres Opfer gebracht, als er in die Trennung und den dauernden Aufenthalt des jungen Paares im Süden willigte, aber die grenzenlose Glückseligkeit, die aus dem Gesicht Erichs leuchtete, vergalt es dem Vater doch einigermaßen. Dann fiel dessen Blick auf Maja, die jetzt an Wildenrods Seite eintrat. Er musterte die hohe stolze Erscheinung des Mannes, der wie geschaffen schien, dereinst die herrschende Stellung in Odensberg einzunehmen. Er sah das holde Gesichtchen seines Lieblings ebenso verklärt von Freude und Glück, und da wich der Schatten auch von seiner Stirn. Das Schicksal bot ihm vollen Ersatz für das, was er aufgeben mußte!

Maja flog in die Arme ihres Bruders und küßte dann mit hingebender Zärtlichkeit die schöne Schwägerin. Auch Oskar umarmte das junge Paar, aber als er sich zu Cäcilie niederbeugte, richtete er einen finsteren Blick auf sie, besorgt und drohend, und sie mußte das wohl fühlen, sie zuckte leise zusammen und machte sich mit einer hastigen Bewegung los aus seinen Armen.

Es blieb der Familie nicht viel Zeit zum Alleinsein, denn inzwischen waren auch die anderen Wagen vorgefahren und die Hochzeitsgesellschaft versammelte sich. Die Neuvermählten wurden von allen Seiten beglückwünscht und bildeten bald den Mittelpunkt des glänzenden Kreises, der sich hier zusammengefunden hatte. Es fehlte keine der hervorragenden Persönlichkeiten der Umgegend, mit alleiniger Ausnahme des Majoratsherrn Grafen Eckardstein, der die Einladung abgelehnt hatte.

Der junge Ehemann schwamm in Seligkeit. An diesem Tage, der den heißesten Wunsch seines Herzens erfüllte und sein Glück besiegelte, schien ihm auch die Gesundheit zurückgekommen zu sein. Er sah nicht mehr kränklich und gebeugt aus. Mit heiß gerötheten Wangen und leuchtenden Augen nahm er lächelnd die Glückwünsche entgegen und zeigte eine Heiterkeit und Lebendigkeit, die sonst gar nicht in seinem Wesen lag. Dabei verwandte er die Augen kaum von seiner jungen Frau, als könnte er selbst auf Minuten ihren Anblick nicht entbehren.

Und diese Bewunderung war verzeihlich genug. Cäcilie sah hinreißend schön aus in ihrem bräutlichen Schmucke. Das weiße Atlasgewand, der kostbare Spitzenschleier und die Diamanten, die an Hals und Armen funkelten, das Brautgeschenk Erichs, hoben den eigenartigen Reiz ihrer Erscheinung noch mehr. Nur das schöne Antlitz erschien seltsam bleich unter dem Myrthenkranz. Auch sie neigte lächelnd den Kopf gegen jeden der Gratulanten, der zu ihr trat, und sprach die üblichen Dankesworte, aber es lag etwas Starres, Kaltes in diesem Lächeln und die Stimme war völlig klanglos. Zum Glück fiel das niemand besonders auf, man gestand heute der Braut gerne das Recht zu, blaß und ernst zu sein.

Der Direktor der Odensberger Werke und Doktor Hagenbach, die gleichfalls zu den Gästen gehörten, standen etwas abseits am Fenster. Der erstere hatte die Leitung der festlichen Veranstaltungen übernommen, mit denen die Arbeiterschaft den Sohn ihres Chefs an seinem Ehrentag begrüßte. Es war alles über Erwarten gelungen, die Ehrenpforten, die Ausschmückung des Weges zur Kirche, die Abordnungen und Glückwünsche in Versen und Prosa, die zum Theil schon gestern stattgefunden hatten. Die Hauptsache jedoch kam noch – der große Festzug der Arbeiter, der sich eben draußen ordnete. Der Direktor befand sich in gelinder Aufregung, weil es sich um seine Glanznummer handelte, und sprach leise und angelegentlich auf den Doktor ein, dieser aber hörte zerstreut zu und blickte öfter zu dem jungen Paare hinüber, das noch immer von einem Kreise von Freunden umgeben war.

„Ich wollte, Sie hätten den Festzug auf gestern angesetzt,“ sagte er leise. „Der Vorbeimarsch wird weit über eine Stunde dauern, und so lange muß das Brautpaar auf der Terrasse aushalten. Es wird zuviel für Erich. Die Trauung, der Festzug, dann das große Diner und schließlich die Abreise. – Ich war überhaupt von Anfang an gegen diese großen und rauschenden Festlichkeiten, doch ich wurde von allen Seiten überstimmt, selbst Herr Dernburg wünschte eine möglichst glänzende Feier.“

„Bei der Hochzeit seines einzigen Sohnes ist das ganz in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_232.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)