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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Er fürchtet, daß sie sich durch irgend etwas Ungewöhnliches bedrückt fühle, und hoffte, sie würde mir eher Rede stehen als ihm. Ich that ihm gern den Gefallen, nachzuforschen, aber ich erreichte nichts. Sie blieb verschlossen auch gegen mich – Erich war ganz unglücklich darüber.“

Oskar biß sich auf die Lippen, ein Ausdruck trat in seine Züge, der Maja erschreckte. Als er jedoch ihren fragenden Blick bemerkte, lachte er kurz auf und sagte leichthin: „Ich fürchte, Erich wird mit seiner übertriebenen Zärtlichkeit sich und seiner Frau das Leben schwer machen. Zum Glück ist Cäcilie für solche Empfindsamkeiten nicht angelegt, sie wird ihn auslachen mit seiner Gespensterseherei!“

Der eben beginnende Walzer unterbrach das Gespräch der beiden. Ein junger Offizier, dem die Tochter des Hauses diesen Tanz zugesagt hatte, kam herbei, um sie abzuholen, Maja, die zum ersten Male in einem größeren Kreise tanzte, gab sich mit voller Freude diesem Vergnügen hin, aber ihr Auge kehrte doch bald wieder zu dem Orte zurück, wo der Freiherr stand oder vielmehr gestanden hatte, denn er war nicht mehr dort. Sie suchte ihn vergebens, er mußte den Saal verlassen haben.

Erich hatte seine junge Gattin nach ihrem Zimmer geleitet und sich dann in seine eigene Wohnung begeben, um den Anzug zu wechseln. Er lächelte über die peinliche Vorsicht des Arztes, der es nicht lassen konnte, ihn immer noch als Kranken zu behandeln, er hatte sich nie wohler gefühlt als heute. Aber mit der Anordnung selbst war er ganz einverstanden – nicht eine einzige Minute des Alleinseins mit seiner Frau war ihm bisher gegönnt worden. Der Reiseanzug war schnell angelegt, und nun blieb noch eine halbe Stunde für ein süßes trauliches Geplauder, das niemand störte.

Voll Ungeduld eilte der junge Ehemann hinaus, um sich zu seiner Frau zu begeben, aber am Fuße der Treppe blieb er einen Augenblick stehen und blickte durch die weit geöffneten Pforten der großen Eingangshalle.

Draußen lag die Landschaft im vollen Glanze der Abendsonne, deren goldiger Schein auch die blumenbestreute Terrasse überfluthete, und ein breiter leuchtender Strahl fiel in die Halle. Von den Werken drüben, wo die Festlichkeiten für die Arbeiter stattfanden, tönte Musik und Jubel herüber und aus den geöffneten Fenstern des Tanzsaales, wo gerade eine Pause stattfand, drang das heitere Plaudern und Lachen der Gesellschaft.

Erich athmete tief und freudig auf – es war ein schöner Tag gewesen, sein Vermählungstag. Und jetzt erst begann das Leben für ihn, jetzt winkte ihm die weite Welt, der sonnige Süden, er wurde frei von den drückenden Pflichten und durfte dort am Strande des blauen Meeres, an der Seite eines geliebten Weibes einen zauberischen Traum des Glückes träumen. Im tiefsten Herzen empfand er die Gunst des Himmels, die ihn mit allen Gaben überschüttet hatte.

Mit raschen Schritten stieg er die Treppe hinauf und wollte in den kleinen Salon eintreten, der die Zimmer Cäciliens und ihres Bruders voneinander schied, als er bemerkte, daß von innen der Riegel vorgeschoben war; auch auf sein leises Klopfen öffnete niemand. Er wurde ungeduldig und nahm einen andern Weg.

Oskars Zimmer hatte noch einen besonderen Eingang, eine kleine Tapetenthür, die selten oder nie benutzt wurde. Erich öffnete sie und durchschritt das Zimmer seines Schwagers und den anstoßenden Salon. Auf den weichen Teppichen war sein Schritt nicht hörbar und überdies war die Thür zu Cäciliens Zimmer geschlossen. Da vernahm der junge Mann Wildenrods Stimme von drinnen und blieb stehen.

Der Bruder hatte vermuthlich die junge Frau aufgesucht, um sie noch einmal allein zu sehen und ihr Lebewohl zu sagen. Das war natürlich und der jedenfalls nur kurze Abschied der Geschwister sollte nicht gestört werden. Doch was war das? Die Stimme des Freiherrn klang scharf und drohend, und jetzt ließ sich ein wildes leidenschaftliches Schluchzen vernehmen. War das Cäciliens Stimme? Seine Gattin konnte es doch nicht sein, die so angstvoll, so verzweifelt weinte! Erich erbleichte, die Ahnung eines Unheils legte sich ihm plötzlich eiskalt auf die Brust.

(Fortsetzung folgt.)




Erfinder-Lose.
Philipp Reis und das Telephon.
Von Dr. Adolf Poppe.

Als ich im August des Jahres 1891 auf einem Rundgang durch die Internationale elektrotechnische Ausstellung in Frankfurt a. M. die Halle für Telegraphie und Telephonie durchschritt, da fesselte mich vor allem die von der Reichstelegraphenverwaltung ausgestellte Sammlung jener Apparate, welche ein vollständiges und übersichtliches Bild von der Entwicklung der elektrischen Telegraphie gaben. Inmitten aller dieser glänzenden, aus den berühmtesten Werkstätten hervorgegangenen Erzeugnisse der physikalischen Technik und Feinmechanik stand ein unscheinbarer, von dem vorübergehenden Strome der Ausstellungsbesucher kaum beachteter Apparat, und sein Anblick rief in mir Erinnerungen wach an einen Vorgang aus meinem früheren Berufsleben, der mich zu dem Erfinder des Telephons in nahe Beziehung gebracht. Ich hatte in diesem bescheidenen Apparat das Originalmodell des Telephons sofort erkannt.

Neben dem Instrument lag das Buch von Silvanus P. Thompson, Professor der Physik an dem University College zu Bristol, „Philipp Reis, Inventor of the Telephone, London, 1883“. Als mir dieser Titel in goldener Schrift von dem stattlichen Einband entgegenleuchtete, da konnte ich mich eines gewissen Gefühls der Beschämung nicht erwehren, daß ein Engländer der erste hat sein müssen, welcher den bescheidenen deutschen Forscher öffentlich als den Urheber einer der glänzendsten Erfindungen des neunzehnten Jahrhunderts anerkannt hat, und zwar in einem Werke, welches als ein Muster gründlicher und gewissenhafter Forschung die Grundlage für die Geschichte des Telephons bildet. Mit dem alten bekannten Apparat stand auch, als läge nicht der Zeitraum eines Menschenalters zwischen dem Jetzt und dem Damals, das Bild des Erfinders wieder lebendig vor meiner Seele: die untersetzte kräftige Gestalt, der massive Kopf mit der intelligenten Stirn und den unregelmäßigen, aber ausdrucksvollen Gesichtszügen, aus denen ein Paar freundlicher kluger Augen blickte. Hatte ich doch mit Philipp Reis, dem zwanzigjährigen Zögling meiner polytechnischen Vorschule[1], ein Jahr lang in täglichem Verkehr gestanden!

Es war im Anfang April des Jahres 1854, als sich Philipp Reis persönlich bei mir zum Eintritt in die Anstalt meldete, indem er seinen bisherigen Bildungsgang in kurzen Umrissen darlegte. Wir wollen hier einen Blick auf die Jugendgeschichte unseres Erfinders werfen an der Hand von Mittheilungen, welche ich zum großen Theile seinem Sohne Karl Reis, Kaufmann in Homburg v. d. Höhe, verdanke.

Philipp Reis wurde am 7. Januar 1834 zu Gelnhausen, Regierungsbezirk Kassel, als Sohn eines Bäckermeisters geboren. Da seine Mutter früh starb, so lag die Erziehung des Knaben hauptsächlich in den Händen der Großmutter, die sich des Enkels auch liebevoll annahm. Schon in der Volksschule seiner Vaterstadt, welche Philipp von seinem 8. bis zu seinem 11. Lebensjahr besuchte, erkannten die Lehrer die ungewöhnliche geistige Begabung des aufgeweckten Knaben, und sie suchten seinen Vater zu bestimmen, ihn einer höheren Schule anzuvertrauen. Dieser war auch ganz damit einverstanden, aber er starb, noch ehe der Plan zur Ausführung gekommen war.

Ein Jahr später übergaben Vormund und Großmutter den Knaben der in weiten Kreisen anerkannten Garnierschen Unterrichts- und Erziehungsanstalt zu Friedrichsdorf bei Homburg v. d. H., in welcher sie ihn gut aufgehoben wußten. Hier ward er bald der Liebling der Lehrer, die sich an den naiven Aeußerungen des für sein Alter sehr kleinen Knaben höchlich ergötzten, aber auch seinem glühenden Lerneifer alle Anerkennung zollten. Philipp zeigte in diesen Jahren eine besondere Vorliebe für fremde Sprachen, insbesondere für das Französische und Englische, und


  1. Diese im Jahre 1850, vor meiner Berufung zum Direktor der Gewerbeschule, von mir zu Frankfurt a. M. gegründete Anstalt hatte es sich zur Aufgabe gemacht, junge Leute, die sich einem höheren technischen Beruf widmen wollten, für die polytechnische Hochschule vorzubereiten.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_235.jpg&oldid=- (Version vom 8.1.2022)