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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

eine scherzhafte Einkleidung, wie ich merke, Herr Oberst,“ sagte er. „Aber in der Hauptsache gabt Ihr mein Anliegen richtig wieder. Ich habe mich in der That davon überzeugen müssen, daß es wünschenswert wäre, wenn das ganze fürstliche Jagdgebiet wieder in der ehemaligen ununterbrochenen Ausdehnung hergestellt würde. Die gnädige Frau Pfalzgräfin hat mich daher beauftragt, Junker Ludwig, Unterhandlungen mit Euerem sehr ehrenwerthen Vormund, dem Herrn Obersten von Gouda, einzuleiten, zu dem Endzweck, eine Abfindung der Leyenschen Ansprüche auf die beregte Enklave, unter strengster Wahrung Eueres gerechten Vortheils natürlich, mein werther Junker, bewirken zu lassen.“

„Was, ich soll den Wald am Heidenkopfe hergeben?“ rief da Ludwigs helle Stimme scharf in all die diplomatische Gehaltenheit des pfalzgräflichen Kavaliers hinein.

„Hergeben ist wohl nicht das richtige Wort ... Man würde die paar Morgen Wald mit einem an anderer Stelle gelegenen Terrain vertauschen.“ Herr von Nievern sprach noch immer höflich, aber doch sehr ausdrücklich zugleich an Herrn von Gouda gewendet und mit einer leichten Falte der Ungeduld in der breiten Stirn, die dem Umstand gelten mochte, daß man ihn hier mit Kindern verhandeln lassen wollte.

Da nahm auch Polyxene das Wort. „Von uns ist niemals pfalzgräfliches Wild weggeschossen worden,“ sagte sie stolz. „Wir, Ludwig und ich, kennen den Wildstand am Heidenkopfe ziemlich genau, und noch besser kennt ihn unser Waldwart und Förster oben, der seit sechzig Jahren in dem Revier heimisch ist. Oft aber habe ich ihn sagen hören, daß sich unser Wild hinüber ins Hllbertsteinsche verläuft und dort abgeschossen wird. Ja, Oheim,“ der Oberst hatte eine Bewegung gemacht, so daß sie nun mit zu ihm sprach, „Strieger meint, ein gutes Theil der Sechzehn- und Achtzehnendergeweihe, die in Hubertstein die Wände schmücken, müßte von Rechtswegen hier hängen.“

„Ei, ei, mein gnädiges Fräulein, so scharf? Ihr geht von der Abwehr gleich zum Angriffe über,“ sagte Herr von Nievern und sah sie, sein Bärtchen streichend, mit einem Lächeln an. Diese Verhandlung wurde ja pikanter, als er erwartet hatte! „Da darf ich wohl auch einige Verstärkung meiner Position nicht verschmähen,“ fuhr er fort. „Ihre Pfalzgräflichen Gnaden beklagen sich durch mich bitterlich über das Raubzeug, welches in Euerem, nichts für ungut, ziemlich vernachlässigten Forste horstet und wohnt. Fortwährend wird, wie ich mich selber überzeugt habe, pfalzgräflicher Jagd dadurch Schaden gethan. Uns wehren und das Zeug fortschießen können wir aber nicht, da, wer Eurer Grenze zu nahe kommt, und wäre es noch so unwissentlich, Gefahr läuft, von dem alten Unhold, dessen Ihr, Fräulein, eben Erwähnung thatet, meuchlings übern Haufen geschossen zu werden.“

Er war zuletzt doch ein klein wenig warm geworden, und aus seinen hübschen Augen hatte ein-, zweimal ein Funke gesprüht. Als er von Raubzeug sprach, blickte Ludwig zu Polyxene hinüber; er dachte an die vier Luchse und ganz wohl war ihm bei der Sache nicht. Sie sah den Vetter nun auch an und sagte ruhig, aber mit leiserer Stimme, nur zu ihm gewendet: „Willst Du den Wald am Heidenkopf aufgeben, Lutz, der Deines Vaters und Großvaters Lieblingsrevier war? Und Geld dafür nehmen oder ein paar Ackerbreiten?“

„Nimmermehr!“ rief da der Knabe. „Wenn ich das thue, soll mich jeder unecht schimpfen! Ich weiß, Oheim, Ihr zwingt mich nicht.“

Was – das wurde wirklich ernst! Jetzt zuerst stellte sich dem Herrn von Nievern die entfernte Möglichkeit dar, daß er unverrichteter Sache würde vor die Pfalzgräfin treten müssen. Den Teufel auch! Aber freilich, wenn man mit Kindern und Narren zu thun hat! Der Landforstmeister schlug jetzt einen etwas andern Ton an; er selber merkte noch gar nicht, daß er innerlich schon auf die Seite dieser Jugend hier gezogen wurde; daß eine Vergewaltigung der offenbaren Jagdlust des Knaben durch den Vormund wenig nach seinem Sinn sein würde. Ziemlich steif und ernst sagte er: „Mein Auftrag ging an Sie, Herr Oberst von Gouda. Sie wissen so gut wie ich, daß geschäftliche Abmachungen mit Minorennen nicht abzuschließen sind. Die Wünsche des jungen Herrn und“ – er verbeugte sich ein wenig – „der jungen Dame in Ehren: aber ich möchte jetzt Ihre Meinung hören.“

„Meine Meinung geht dahin, mein verehrter Herr Landforstmeister,“ entgegnete Herr von Gouda mit unbewegter Miene, „daß hier anwesender Ludwig von Leyen, mein Neffe und Mündel, alt und verständig genug ist, um über seine Zustimmung zu dem gewünschten Handel befragt zu werden. Ehe ich aber dazu schreite, bitte ich mir zu eröffnen, welche Entschädigung denn unsere erlauchte Frau im Falle jener Gebietsabtretung meinem Mündel zu offerieren geruhe.“

Herr von Nievern war auf diese Frage nicht vorbereitet. Hatte er in der Hauptsache mehr Willigkeit zu finden erwartet, als er fand, so hatte er wiederum willkürlicherweise angenommen, man werde zur Erörterung der Einzelheiten des gewünschten Abkommens heute gar nicht mehr gelangen. Die waren ja auch nicht seines Amts.

Doch faßte er sich als ein gewandter Mann. „Von einem bestimmten Terrain im Umtausch gegen die abzutretende Enklave ist bis jetzt nicht die Rede gewesen,“ sagte er geschäftsmäßig, aber auch ehrlich. „Man würde dabei jedenfalls Ihre Vorschläge berücksichtigen, Herr Oberst. Auch durch eine Geldsumme kann selbstverständlich die Ablösung der Leyenschen Rechte an das Forstgebiet bewirkt werden ...“

Er stockte. Er hatte erwähnt, was erwähnt werden mußte, ihm selber als Edelmann aber wenig zusagte. Man hatte Beispiele genug, wo die solchergestalt durch Geld für alten Grundbesitz Entschädigten die erhaltene Summe achtlos hatten durch die Finger laufen lassen oder gar an derselben erst zu Lotterbuben und Verschwendern geworden waren. Dann war nachher das Geld fort und das Land auch! Nievern hatte auf den Gesichteru des Oheims und des Neffen nach der Antwort auf seinen letzten Vorschlag geforscht, und nun wanderten seine Augen auch einmal wieder zu dem Antlitz des Fräuleins hinüber. Warum auch nicht? War es doch für einen Mann in seinen Jahren jedenfalls das wohlgefälligste von den dreien.

Sie aber schien auf diesen Blick gewartet zu haben. Und – tausend, wie sie ihn anblitzte, den Herrn Landforstmeister von Nievern! Wahrhaftig, beinahe verächtlich! „Einen solchen Vorschlag thut Ihr meinem jungen Vetter, Herr von Nievern?“ sagte sie. „Er soll schnödes Geld nehmen für das Erbe von seinen Vätern her und sich arm machen, nur damit Ihr auf der Jagd der Pfalzgräfin ein paar Hirsche mehr schießen könnt? Ja, Ihr –“ hier brach etwas durch von dem Groll, den sie immer schon, ohne recht zu wissen warum, gegen diesen Mann gehegt hatte – „denn die Frau Pfalzgräfin hätte an dies alles nicht gedacht ohne Euch. Was lag ihr bisher an ihrer Jagd ... Ihr habt sie erst darauf gebracht!“

Wie scharfsinnig sie war bei aller jugendlichen Unerfahrenheit! Böse war ihr der ironisch überlegene Herr im Grunde gar nicht – welcher echte Mann wäre es denn, wenn ihn ein hübsches Mädchen angreift! Aber da sie ihn so in die Enge trieb, mußte er sich wehren. „Erlaubt zunächst eine Bemerkung, mein sehr ungnädiges Fräulein,“ sagte er. „Daß man eine Person arm macht, der man eine nicht unbeträchtliche Geldsumme zuweist – wie hier wohl der Fall sein würde – das ist eine Auffassung der Sache, die mir noch neu war. Das Geld hat einen Werth, der Euch unbekannt geblieben zu sein scheint; es vermag oft mehr in der Welt als der Besitz baufälliger, wenn auch altadeliger Häuser, elender Dörfer und verrotteten Waldes.“

Herr von Nievern konnte auch drein fahren, wo es ihm angebracht schien, und er that es dann stets mit großer Kaltblütigkeit. Diesmal jedoch war’s ihm leid, sobald er ausgesprochen hatte. Es war nicht eben großmüthig gewesen, Polyxene, das „Fräulein von Habenichts“, wie die Pfalzgräfin sie genannt hatte, daran zu erinnern, daß sie den Werth des Geldes aus Erfahrung kennenzulernen wohl wenig Gelegenheit gehabt habe.

Aber siehe da, ihre Stirn blieb klar und ihr Gesicht völlig unbefangen. Sie hatte den Stich gar nicht gefühlt. „Ich verstehe allerdings nicht viel von Geld,“ sagte sie mit Ruhe, „aber ich weiß, daß es uns ziemt, zu halten, was wir an Grundbesitz noch haben, und auch nicht tauschend damit zu spielen. Ludwig, um dessen Eigenthum es sich ja handelt, denkt wie ich. Und was, Oheim, ist nun Euere Meinung?“

„Was sagt Ludwig?“ fragte Herr von Gouda dagegen. „Laß ihn seine Sache selber führen, Polyxene!“

„O nein, sie hat ganz recht, wenn sie für mich spricht,“ rief hier Ludwig und drängte dabei unbewußt seine Schulter an die des Fräuleins, das neben ihm saß. „Gerade so, wie sie denkt, denk’ ich auch. Ich halte, was ich habe ... der Wald am Heidenkopf ist mir lieb ünd werth, ... ich möchte gar nicht leben, wenn er nicht mein wäre. Daß der Strieger ein wüster alter

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_247.jpg&oldid=- (Version vom 28.10.2020)