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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Waldmensch ist, damit mögt Ihr recht haben, Herr von Nievern,“ fuhr er fort, sich jetzt zutraulicher an den Landforstmeister wendend. „Aber er weiß Bescheid im Forste wie keiner, und wenn wir ihn von dort wegtreiben wollten, so wäre das sein Tod. Den Schlupfwinkel des Luchses weiß er auch – ja, Oheim, und nun müßt Ihr leiden, daß wir zur Nacht hinausgehen und ihn abschießen. Ihr hört ja, Herr von Nievern beklagt sich darüber ... Und heute nacht hat er erst den Rehbock geholt, den wir Euch für den Tisch schießen wollten ... Polyxene gewahrte seine Fährte zuerst. Wir meinten, es sei nur einer ... vielleicht treiben wir ihrer mehr auf,“ fügte er mit schlauer Zurückhaltung hinzu. Beinahe wäre ihm entfahren, daß Strieger von vieren dieser gefährlichen Wildräuber gesprochen hatte. Aber das brauchte ja der Herr da nicht zu wissen!

Dieser lächelte jetzt gutmüthig über den Eifer des Jungen. „Mir scheint, daß ich meine Antwort für die Frau Pfalzgräfin habe, Herr Oberst,“ sagte er dann, sich auf seinem Sitze zurechtrückend wie einer, der demnächst aufzustehen gedenkt.

Dixit ipse,“ sagte Herr von Gouda darauf, mit dem Kopfe nach dem Knaben deutend. „Er selber hat gesprochen; ich will ihm in dieser Sache nicht entgegen sein. Wir wollen es – und möge unsere allergnädigste Frau Pfalzgräfin das weiter nicht übel vermerken – mit dem Walde beim alten lassen, Herr Landforstmeister. Ich kann die Verantwortlichkeit, eine so wesentliche Aenderung im Besitzstand meines Mündels zugelassen zu haben, nicht auf mich nehmen. Ist er erst einmal mündig, so mag er es damit halten, wie er will.“ Hier fing Herr von Nievern einen Blick heiteren Einverständnisses zwischen Ludwig und seiner Base auf. „Ja, dann kann die Pfalzgräfin erst recht warten, bis sie meinen Forst bekommt,“ war darin zu lesen.

Darauf erhob sich der Kavalier rasch. Ohne gerade üble Laune zu zeigen, ließ er merken, daß er einen anderen Ausgang der kleinen Unterhandlung lieber gesehen hätte. Als alle standen, trat er dicht an Herrn von Gouda heran, neben dessen etwas häringsartiger Figur die seine sich sehr stattlich ausnahm. Und jetzt wendete er sich so ausdrücklich nur an den Vormund, daß Polyxene ihren jungen Vetter, der arglos hatte hinzutreten wollen, sacht am Aermel zurückzog. „Fern sei es von mir, Sie nun noch in Ihrem Entschlusse wankend machen zu wollen, mein Herr Oberst,“ sagte Nievern. „Ich hoffe, Sie haben auch überlegt, daß ein wenig mehr Entgegenkommen in dieser Sache der pfalzgräflichen Hoheit geschmeichelt und in ihr ein günstiges Vorurtheil für den Junker von Leyen zuwege gebracht haben würde. Im Vertrauen gesagt, unsere erlauchte Frau hat früheren kleinen Mißhelligkeiten, die es zwischen ihrem verstorbenen Gemahl und dem letzten Freiherrn, Josias, dem Großvater Eures Mündels, gesetzt zu haben scheint, ein bewunderungswürdig gutes Gedächtniß bewahrt.“

Hatte er in wirklicher guter Meinung geglaubt, dem Herrn von Gouda da einen sehr beachtenswerthen Wink gegeben zu haben, so mußte er gewahren, daß die erhoffte Wirkung ausblieb. „Der Freiherr Josias, mein seliger Schwager, war bekanntermaßen ein starrköpfiger Mann, ehrlichen Gemüthes aber,“ sagte der Oberst mit seiner trockensten Miene. „Hat er irgend bei Hofe angestoßen – und vielleicht ebensowohl vermöge dieser zweiten Eigenschaft als durch jene erste – so soll man uns das billigerweise nicht nachtragen. Und was die Zukunft betrifft, so muß ich es meinem Neffen und Mündel da überlassen, wie er mit unserer allergnädigsten Herrschaft fertig wird. Sie ist ja, glücklicherweise, ein Frauenzimmer. Und wächst er sich zu dem heraus, was er jetzt verheißt, nun, so wird er in seiner Person schon einen ganz guten Fürsprecher bei Ihrer Pfalzgräflichen Hoheit haben. Oder wie dünkt Euch, Herr Landforstmeister? Man will wissen, daß sie für stattliche Kavaliere eine kleine faiblesse habe – in allen Ehren, natürlich.“

Das war so deutlich auf den Angesprochenen selber gemünzt, daß dieser kaum wußte, ob er die Anspielung noch als einen Scherz oder als eine Beleidigung auffassen sollte. Indem er nun aber dem Manne vor sich sekundenlang funkelnd in das hagere Gesicht blickte, entschied er sich für das erstere, trotz des unerschütterlichen Ernstes auf diesem Antlitz. Gerade die trockene Gravität des Obersten war das Lächerliche an der Sache; was brauchte man diesen Ritter von der traurigen Gestalt – Herr von Nievern kannte den anmuthigen Roman des spanischen Poeten Cervantes sehr wohl – ernsthaft zu nehmen? Er blieb ein halber Narr, daher er denn freilich mit der Freiheit eines solchen seine Zunge brauchte.

So lachte Herr von Nievern nur gutlaunig auf und meinte: „Nun, ich wünsche dem jungen Herrn da alles Glück bei Hofe, und ich verspreche, daß ich ihm meinerseits seinen kleinen Eigenwillen von heute nicht nachtragen werde. Wer weiß, wie er später über denselben denkt, und ob nicht der Tag kommt, wo ein Lächeln unserer Gebieterin fertig bringt, was meine geringe Redegabe heute nicht vermocht hat.“

„Nicht, so lange ich da bin, um ihm zu sagen, was die Ehre des Leyenschen Namens von ihm heischt!“ Das war Polyxene. Die jungen Verwandten waren mit verschlungenen Armen wieder näher getreten; kein Wort, das gefallen war, war dem Mädchen entgangen, und dabei hatte die rosige Farbe ihres Gesichts mit Blässe gewechselt. Auch jetzt, da sie sprach, sah sie bleicher aus als sonst und ihre Augen schienen dunkler.

Herr von Nievern musterte sie, leicht erstaunt über den abermaligen Angriff. „Kein Zweifel mehr, daß mein Antrag an Euch seine schärfste Gegnerin hier gefunden hat, mein Fräulein,“ sagte er. „Ich versage Eurem uneigennützigen Antheil an Eures Vetters Angelegenheiten meine Bewunderung nicht –“ er behielt sie im Auge; keine Wimper zuckte in dem stolzen offenen Antlitz bei den prüfenden Worten – „aber verkennt meine gute Meinung nicht, wenn ich Euch rathe, anderen gegenüber mit diesem Antheil, insofern er die Wünsche unserer allergnädigsten Fürstin kreuzt, etwas mehr zurückzuhalten.“

Sie sah ihn groß an, als verstehe sie ihn nicht. Und er perstand sich selber kaum; seit wann lag es ihm ob, arme adlige Fräulein zu warnen vor den Folgen schlecht angebrachten Freimuthes? Wenn diese hochfahrende Jugend da sich bei Hofe in Ungnade bringen wollte, bei der lange nachtragenden, nein, wie alle beschränkten Naturen eigentlich nie verzeihenden Pfalzgräfin, so war das ihre Sache.

„Der Herr möge meinetwegen keine Sorge haben,“ entgegnete jetzt Polyxene stolz, aber nicht unfreundlich; „ich schreie meine Meinung nicht unnöthig aus. Daß sie die Frau Pfalzgräfin durch Euch erfährt, kann und will ich freilich nicht hindern. Gewiß, Ihre Hoheit ist viel zu fürstlichen Sinnes, um uns zu verargen, wenn wir an dem Unseren hangen und zu Veränderungen nicht willig sind.“

„Hoffen wir es,“ sagte Herr von Nievern. „Wir“; „am Unseren“! Ein sonderbares Mädchen, das sich – und offenbar in aller Harmlosigkeit – so mit dem Vetter für eins hielt; sie, deren Habe federleicht wog, mit ihm, dem Besitzenden!

„Darf ich den Herrn Landforstmeister ersuchen, zu verweilen und als Tischgast mit uns vorlieb zu nehmen, jetzt, da er sich seines Geschäftes entledigt hat?“ hob jetzt der Oberst wieder an, mit ernsthaftester Höflichkeit. Und nun machte auch Polyxene unwillkürlich einen Schritt nach Nievern hin, wie um die Einladung zu unterstützen. Sie schämte sich plötzlich vor sich selber. Was war ihr nur in den Sinn gekommen, ihrer geringen Hinneigung zu dem Kavalier heute so offen nachzugeben! Sie hätte das gern wieder gut gemacht, denn der Verstoß gegen die gute Lebensart beschwerte 1hr Gemüth. Aber Herr von Nievern lehnte die Einladung ohne Zögern und mit höflicher Bestimmtheit ab. „Gestärkt hatte ich mich ja schon nach meinem Morgenritt, wenn anders das nöthig gewesen wäre,“ sagte er mit lächelndem Blicke, nach der Flasche und den Gläsern deutend. „Jetzt ist es hohe Zeit, daß ich in die Stadt zurückkehre. Gestattet mir, mich zu beurlauben.“ Dabei hatte er den Hut vom Stuhle neben der Thür aufgegriffen und hielt ihn in der Hand, so daß die langwallende Feder den Erdboben berührte, während er den hübschen Kopf vor dem Obersten und seinem Neffen und dann ritterlich noch etwas tiefer vor der Dame neigte.

Aber hier brach durch die gewohnten Formen etwas von der absonderlichen Freiheit durch, welche die Bewohner der Herrenmühle sich gegen das bloße Ceremonienwesen wahrten. „Verweilt doch wenigstens, bis Euer Pferd vorgeführt ist,“ schlug Herr von Gouda vor, und nun rief Lutz lebhaft: „Das Pferd? Auf welchem seid Ihr gekommen, Herr von Nievern? Auf dem dunkelbraunen Engländer? Ich gehe, zu bestellen, daß er herausgebracht wird!“ und damit war er leichtfüßig hinaus.

„Vielleicht beliebt es Euch, so lange im Garten zu wandeln, Herr von Nievern,“ sagte Polyxene, immer in dem Bestreben, etwas von ihrer bisherigen Rauhheit wieder gut zu machen. „Der Oheim hat sehenswerthe holländische Tulpen darin gezogen.“

„Mit Vergnügen folge ich Euch, mein Fräulein,“ erwiderte

Herr von Nievern artig und ließ der Schlanken den Vortritt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_248.jpg&oldid=- (Version vom 29.10.2020)