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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Der Oberst schloß sich an und so stiegen sie die Treppe mit dem schweren dunkeln Holzgeländer hinab. Sie hatten den Hof quer zu überschreiten und gelangten dann durch das Thürchen eines zierlichen Stakets in den Garten.

Herr von Nievern sah sich von hier noch einmal nach dem Hause um, dem langen Gebäude mit dem gewaltigen steilen Dach, aus dem zwei Reihen Fensterluken übereinander ganz wunderlich wie zahlreiche schläfrige Augen schauten, denn die Ziegelbekleidung des Daches hing in geschwungener Linie wie ein tief niederfallendes Augenlid über jedem. Alles war dunkelgetönt, zeitgeschwärzt und verwittert. Mönche, die Kugelherren genannt – von ihrer Kopfbedeckung Kogel oder Kugel, wie der alten Bräuche kundige Leute wissen wollten – hatten das Haus gebaut; das bestätigte der Herr von Gouda jetzt dem Landforstmeister, welcher eine Bemerkung über den Namen des Anwesens hingeworfen hatte. „Sie bauten es Anno 1410; die Jahreszahl ist dort in dem Schlußstein des niedrigen Gewölbbogens über der Thür zu lesen,“ fuhr Herr von Gouda fort. „Diese Kugelherren waren aber keine Müßiggänger und Schlemmer wie viele andere Mönche. Sie gehörten auch keinem der großen geistlichen Orden an, jener Pflanzen welschen Bodens. Ein Landsmann von mir, ein Niederländer, Geert Groot mit Namen, hat ihre Brüderschaft gestiftet. Sie nannten sich ‚Brüder vom gemeinsamen Leben‘ und dies Leben brachten sie unter Betreibung von allerlei nützlichen Handwerken hin, außerdem daß sie beteten, sangen, lasen und schrieben.“

Fischauktion.
Nach einem Gemälde von G. Cain.

„Brave Leutchen,“ sagte Herr von Nievern beifällig, „Und hierorts scheinen sie Müller gewesen zu sein, wenn ich mir den Namen dieser Besitzung richtig deute. Hoffentlich“ – er lächelte und kniff nachlässig die hübschen Augen halb zu, während sie noch einmal über das schläfrige Hausdach schweiften – „hoffentlich haben die Vorfahren unseres jungen Freiherrn ihnen nicht auf allzu unmanierliche Weise das Handwerk gelegt. Oder sind die Leyens nicht die direkten Nachfolger der Kapuzenleute gewesen?“

„Haus und Hof sind durch Kauf im Jahre 1663, wenn ich mich recht erinnere, aus den Händen der Ordensbrüder in die von Maximilian von Leyen gelangt,“ nickte Herr von Gouda. „Wir dürfen annehmen, es sei bei dem Handel ehrlich zugegangen. Wie Ihr richtig vermuthet, betrieben die geistlichen Herren die Mühle hier, die aber mit der Zeit verfallen ist. Es sind die Gebäude dort hinten am Graben gewesen ..“

„Ja, dort liegt noch ein gewaltiger Mühlstein, tief eingesunken in die Erde und mit Gras überwachsen,“ sagte hier Fräulein Polyxene. „Und das Wehr ist noch da, oberhalb des Gartens, und beim Mühlenbau die Schleuse. Und der Graben ist noch immer voll und tief. Es war die stete Angst der Wärterinnen, wir möchten dort zu Schaden kommen.“

„Ja, der Graben ist an einer Stelle so tief, daß selbst ein Mann darin ertrinken könnte,“ fiel hier Ludwig, der wieder hinzugetreten war, mit einiger Wichtigkeit ein, „gerade da, wo früher der Steg drüber lag. Den hat aber Polyxene fortnehmen lassen, weil es gefährlich sei.“ Er lachte lustig.

„Du meinst wohl, ich ginge seitdem nicht mehr hinüber, Polyxenchen? Mit einem Brette, das gerade langt von einem Ufer zum anderen, und einer Stange zum Stützen habe ich es schon oft genug fertig gebracht, wenn ich rasch auf die Landstraße wollte, der Frau Pfalzgräfin vier weiße Rosse und den Galawagen vorbeikommen zu sehen, oder dergleichen!“ Polyxene drohte ihm nur ruhig mit dem Finger. „Früher glaubte ich, daß es nichts Prächtigeres auf der Welt geben könnte als diese Schimmel,“ plauderte der Knabe weiter, vertraulich zu Herrn von Nievern gewendet, dessen männliche Jugend und heiter bequemes Wesen ihn anziehen mochte. „Jetzt aber denke ich weit anders.“

„Nun, und wie denkt Ihr?“ fragte der Landforstmeister lächelnd.

Auch Ludwig lachte und blinzelte vertraulich zu ihm hinüber.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_249.jpg&oldid=- (Version vom 28.8.2021)