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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Von der Elbe zur Biela.

Von Th. Gampe. Mit Zeichnungen von R. Püttner.
Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.

Schloß Weesenstein.

Es ist nun einmal nicht anders, je reichere Ströme Menschenblut über ein Stück Erde dahingeflossen sind, je mehr fühlen sich spätere Geschlechter von ihm angezogen. Eine Stadt, eine Burg ohne Geschichte ist langweilig wie ein Mensch, der nichts erlebt hat, und die langweiligste Fläche kann zu einer Ebene von Marathon werden einzig durch den Reiz geschichtlicher Großthaten.

Nun, an historischem Salze wird es bei unserer heutigen Tagfahrt über das Erzgebirge hinweg, von der Elbe zur Biela, nicht fehlen, eher liegt die Gefahr eines Zuviel nahe; namentlich am Höhepunkt unserer Wanderung, wo wir den böhmischen Tieflandkessel vor uns haben. In diesem Kessel ist seit einem halben Jahrtausend so ungewöhnlich viel Geschichte zusammengebraut worden, daß wir ihn den „klassischen Boden der Schlachtfelder“ nennen könnten.

Aus der zweiten Station von Dresden ab, in Mügeln, verlassen wir die große sächsisch-böhmische Bahnlinie und benutzen die Müglitzthalbahn, eine Nebenlinie, die bei Geising sich bis dicht unter die Kammerhebungen des Erzgebirges heranschlängelt.

Diese Bahn, ferner eine wunderschöne Straße, welche eher einem Promenadenweg gleicht, und ein carnalittrother Bergfluß theilen sich in die enge, oft schluchtartige Sohle des Müglitzthales und geben eine große Reihe überaus anmuthiger und romantischer Landschaftsbilder.

Bei dem Städtchen Dohna fahren wir an der ersten geschichtlichen Stätte vorüber.

Hier saß der letzte böhmische Vasall in meißnischen Landen, der Burggraf Jeschke von Dohna. Die wenigen Trümmer seiner einstmals sehr umfangreichen Burg stellen zugleich die letzten Ueberreste der slavischen Herrlichkeit auf sächsischem Boden dar. Die deutschen Edelleute der Gegend hatten den überaus streitbaren böhmischen Standesgenossen nicht sehr lieb; und so kam es zu allerhand Reibereien, denen Jeschke nicht ohne ritterliche Tugenden trotzte. Beim großen Adelstanz 1401 auf dem Rathhaus zu Dresden war auch Jeschke erschienen, und den Meißnischen zum Trutz tanzte er über Gebühr oft mit dem schönsten Edelfräulein des Balles. Das verdroß die Meißner gar sehr und besonders den Ritter Körbitz auf Meusegast, der ein Burgnachbar des Jeschke war. Er stellte dem Jeschke ein Bein noch dazu ein geharnischtes, und der stolze slavische Edelmann lag mit seiner schlanken Tänzerin am Boden. Aufspringen und dem Körbitz „eine hineinlangen“ war das Werk eines Augenblicks; dann schlug er sich tapfer durch seine Feinde und kehrte heim auf seine Burg.

Was er aber nun that, war zuviel. Die ganze Umgebung suchte er heim mit Sengen und Brennen, er äscherte die Dörfer seiner Feinde ein, bis Markgraf Wilhelm von Meißen ins Mittel trat, mit dem Aufgebot einer ziemlich stattlichen Heeresmacht den Landfriedensbrecher bändigte und Dohna vollständig in Trümmer legte. Jeschke suchte einen letzten Schutz auf der benachbarten Burg Weesenstein, konnte sich jedoch auch hier nicht halten und entwich nach viertägiger grimmiger Gegenwehr über die Berge nach Böhmen. Damit war das letzte slavische Bollwerk in meißnischen Gauen dem Deutschthum anheimgefallen.

Schloß Weesenstein, ein echter alter Rittersitz auf einzelstehendem Fels inmitten eines tiefen Thaleinschnitts, ist heute Eigenthum der sächsischen Königsfamilie. In besonderer Gunst stand das romantische Nest bei dem König Johann, der hier abseits von der glanzvollen Tyrannei eines Thrones gelehrten und dichterischen Arbeiten nachhing. Die klassische Danteübersetzung des „Philalethes“ ist hier entstanden. Auch Friedrich Wilhelm IV von Preußen liebte die einsame Bergfeste, er sprach des öfteren als Gast bei seinem Freunde, dem König Johann, vor. Da ist ein kleiner Söller vorhanden, welcher nur wenigen Raum gewährt, dafür aber romantisch wie ein Adlernest am Felsen über der Müglitz hängt. Hier saßen die beiden Monarchen und führten stundenlang die angeregtesten Gespräche; der eine gab den bekannten „Esprits", der andere die gelehrte Tiefe und eine poetische Lebensauffassung.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_256.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)