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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Früehlings-Sunneschei.

(Alemannisch.)


Wohl isch’s oft trüeb und isch oft chalt,
Der Sturmwind hüült, der Rege fallt;
Doch noch der schtrengschte Winterszit
Isch g’wiß der Früehling nimme wit,
Und für e jedes Blüemli chlei
Bringt er e warme Sunneschei!

Und isch din Herz voll Sorg und Angscht,
Und wenn de füßgescht, wenn de bangscht
Und meinsch’, ’s chönn nimme besser cho,
Sei still, der Früehling isch jo noh,
Und für e jedes Herz voll Qual
Bringt er e warme Sunnestrahl.

 F. Vochazer.




Wie ich zu dem Helden von „Sturmfluth“ kam.

Von Friedrich Spielhagen.

Es war nach Tisch an einem Augusttage des Jahres 1874. Wir saßen – eine Gesellschaft von Herren und Damen – kaffeetrinkend in der Veranda des Kurhauses von Heringsdorf. Ein wunderlieblicher Tag: hier und da an dem tiefblauen Himmel ein weißes Wölkchen; hier und da auf der tiefblauen, von einer leichten Brise kaum gefurchten See ein weißes Segel von Vergnügungs- oder Fischerbooten; am fernsten Horizonte ein letzter verschwindender grauer Streifen Rauches aus dem Schlote eines Dampfers, der von Swinemünde nach Schweden ging. Von dem blauen Himmel und dem blauen Meere hoben sich die weißen Säulen, welche das Dach der Veranda trugen, prächtig ab – es gehörte kein großer Aufwand von Phantasie dazu, um sich nach Italien versetzt zu glauben.

Besonders nicht für mich, der ich im Frühling und Frühsommer des vergangenen Jahres Italien und Sicilien bis hinab nach Syrakus durchstreift und erst gestern von meinem Verleger die ersten Exemplare meines „Skizzenbuches“ erhalten hatte, das unter anderem auch die ausführliche Schilderung meines Aufenthaltes im Lande der Citronen und Goldorangen enthält. Eines dieser Exemplare lag, halb versteckt unter Seiden- und Wollsträhnen, in dem Nähkörbchen einer Dame, der gegenüber ich, etwas abseits von der übrigen Gesellschaft, an einem dicht an die Balustrade der Veranda gerückten kleinen Marmortischchen saß. Das Buch war auf durchaus legitime Weise in das Nähkörbchen gekommen. Oder was wäre legitimer, als daß ein Dichter sich beeilt, der schönsten Dame des Kreises, in welchem er sich augenblicklich bewegt, ein Exemplar seines neuesten Buches zu überreichen, selbstverständlich mit Hinzufügung eines handschriftlichen, für die Empfängerin nicht ganz unverbindlichen Sonetts. Zu meiner sporadischen Gelehrsamkeit gehörte die Notiz, daß bei den Phöniziern die Göttin des Liebreizes und der Anmuth „Ana“ hieß. Ich hatte es für geboten erachtet, mit nicht mißzuverstehender Deutlichkeit an diese philologische Thatsache zu erinnern in einem Gedichte, welches „An Anna“ überschrieben war.

Die schöne Frau hatte die kurze Sommernacht drangesetzt, um das „Skizzenbuch“ trotz seines immerhin stattlichen Umfanges von der ersten bis zur letzten Seite zu lesen. Ich sah darin selbstverständlich nur das Interesse, welches sie für die neuere Litteratur im allgemeinen nahm, trotzdem sie jetzt die Güte hatte, mir im besonderen über die Art und Weise, wie ich Dinge und Menschen anschaue, und dergleichen mehr viel Schmeichelhaftes zu sagen.

„Wie glücklich,“ äußerte sie in dem weichen Ton ihrer Stimme, die immer wie lieblichste Musik an mein Ohr klang; „wie glücklich müssen Sie sein! Wir anderen! Nun, wir sehen das alles, fühlen das alles ja auch. Aber mit der Zeit verflattert, verweht es und schwebt nur noch als bleicher Schatten in der Erinnerung. Sie können es bannen durch den Zauber des Wortes für Sie selbst und für die anderen, die nun so an Ihrem Glücke theilnehmen dürfen.“

„Wenn dieses Glück nur nicht so theuer erkauft wäre, gnädige Frau!“

„Wie meinen Sie das?“

„Ich meine, es fährt sich sehr behaglich auf der Eisenbahn in einem Coupé erster Klasse, während der Zug auf den glatten Schienen auf hohen Dämmen, durch tiefe Einschnitte, über kühne Brücken rollt mit all den hübschen Ausblicken nach rechts und links; aber von wie vielen heißen Stirnen mußte der Schweiß in Strömen rinnen, bis dem Fahrgast seine angenehme Situation ermöglicht wurde!“

„Im Gegentheil!“ sagte die schöne Frau eifrig. „Wer in der Welt könnte auf dieser Fahrt eine höhere Lust empfinden als der Meister selbst, der die Bahn gebaut hat!“

„In einem gewissen Sinne fraglos,“ erwiderte ich; „nur ist dabei ein Uebelstand. Es ist nämlich zehn gegen eins zu wetten, daß der betreffende Meister sich bereits wieder mit dem Projekte einer neuen Bahn trägt und er, den Kopf voll von dem Zukunftswerke, nicht Aug’ und Sinn mehr für das alte hat.“

Die schönen braunen Augen hoben sich mit schnellem Aufblick von der Arbeit zu mir.

„Sie haben wieder etwas unter der Feder – natürlich!“

„Unter der Feder? – leider nein! Ich werde aber allerdings schon seit geraumer Zeit von einer Idee zu einem Roman verfolgt, die mich nicht losläßt – ich darf wohl sagen: Tag und Nacht! Denn ich kann nicht in der Nacht erwachen, ohne daß sie sofort vor mir steht – wie – wie einer jener Schemen, die sich an Odysseus herandrängten, als er im Hades das Blut des schwarzen Widders in die Grube fließen ließ.“

„Nun, und –“

„Und denken Sie, dieser Schemen will nicht von dem Blute trinken, und bevor er nicht getrunken hat, kommt kein Wort über seine bleichen Lippen.“

„Wenn ich Sie verstehen soll – und ich möchte Sie gar gern verstehen – müssen Sie sich entschließen, in weniger dunklen Räthseln zu sprechen. Sie sagen, Sie haben die Idee zu einem Roman. Ich denke, das ist die Hauptsache?“

„Im Grunde, ja, und trotzdem eine Klinge, zu der der Griff fehlt und mit der man infolgedessen schlechterdings nichts anfangen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_268.jpg&oldid=- (Version vom 17.5.2021)