Seite:Die Gartenlaube (1893) 272.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Freie Bahn!
Von E. Werner.
(15. Fortsetzung.)


Im Hausflur des „Goldenen Lamms“ traf Doktor Hagenbach nochmals mit Runeck und Landsfeld zusammen, die sich von ihren Genossen losgemacht hatten und eben den Wirth fragten, ob er nicht ein besonderes Zimmer für sie habe, da sie etwas besprechen wollten.

Diesmal grüßte Egbert und blieb zögernd stehen, als sei er im Zweifel, ob er den Doktor anreden solle oder nicht. Dabei flog ein fast scheuer Blick nach der Treppe hinüber, wo Landsfeld stand.

„Nun?“ fragte dieser scharf; das Wort klang mehr wie ein Befehl als wie eine Aufforderung.

Das entschied; der junge Ingenieur warf trotzig den Kopf zurück und trat auf den Arzt zu. „Auf ein Wort, Herr Doktor! Wie steht es in Odensberg – im Herrenhaus meine ich?“

Hagenbach hatte den Gruß sehr kühl erwidert und antwortete zurückhaltend: „Wie es in einem Trauerhaus stehen kann, wo der Tod so jäh und plötzlich eingekehrt ist – Sie werden erfahren haben, wie der junge Herr starb.“

„Ja, ich weiß es,“ sagte Egbert mit einer Stimme, der man die unterdrückte Bewegung anhörte. „Wie trägt es Herr Dernburg?“

„Schwerer, als er zeigen will. Doch er ist eine eiserne Natur, die aufrecht bleibt bei jedem Schlage, und er hat auch nicht viel Zeit, seinem Schmerze sich hinzugeben. Die Verhältnisse in und um Odensberg nehmen ihn mehr als je in Anspruch, Sie werden das ja besser wissen als ich, Herr Runeck!“

Der Hieb des Doktors glitt vollständig ab an der düsteren Ruhe Egberts, der gelassen weiter fragte: „Und Maja? Sie hat den Bruder sehr lieb gehabt.“

„Fräulein Maja ist jung. In ihrem Alter weint man sich aus und tröstet sich dann. Dagegen leidet Frau Dernburg so tief unter dem Verlust, wie ich es kaum für möglich hielt.“

„Die junge Witwe?“ fragte Egbert leise.

„Ja, sie war in den ersten Tagen so fassungslos, daß ich ernste Besorgnisse hegte, und auch jetzt noch ist sie wie gebrochen. Ich hätte ihr diese leidenschaftliche Empfindung nicht zugetraut.“

Runecks Lippen zuckten, aber er erwiderte nichts auf die letzte Bemerkung. „Grüßen Sie Fräulein Maja – sie wird vielleicht meinen Gruß noch annehmen,“ sagte er dann rasch. „Leben Sie wohl, Herr Doktor!“

Damit wandte er sich nach der Treppe, wo Landsfeld stehen geblieben war, und begab sich mit diesem hinauf, während Hagenbach seinen Kutscher rief und dann in den Wagen stieg.

Herr Willmann machte noch vom Hausflur aus eine tiefe Verbeugung. Im nächsten Augenblick eilte er, so schnell es ihm seine Leibesfülle erlaubte, den beiden anderen nach. Und er zitterte durchaus nicht, als er vor dem gefürchteten Landsfeld stand, sondern bückte sich gemüthsruhig ebenso tief wie vorhin vor dem Doktor und ersuchte die geehrten Gäste, doch gefälligst in das Herrenstübchen einzutreten, dort seien sie ganz ungestört; er werde dafür sorgen, daß niemand hineinkomme. Ob die Herren sonst noch Wünsche und Befehle hätten, Küche und Keller, ja das ganze Haus stehe den Herren zu Diensten.

„Nein, wir brauchen für jetzt nichts,“ sagte Landsfeld nachlässig. „Sorgen Sie nur dafür, Herr Wirth, daß heute abend nichts mangelt. Der Andrang wird sehr groß werden.“

Der dicke Lammwirth erschöpfte sich in Versicherungen, daß alles aufs beste hergerichtet sei, und dann begab er sich seelenvergnügt in seinen großen Saal, um noch persönlich einige Anordnungen zu treffen. Herr Pankratius Willmann besaß im höchsten Grade die Kunst, zwei Herren zu dienen.

Die beiden Gäste waren inzwischen eingetreten. Egbert hatte sich niedergesetzt und stützte den Kopf in die Hand. Er sah bleich und überwacht aus, in seinem Gesicht stand ein herber bitterer Zug, der ihm sonst fremd gewesen war. Viel Freude schien der neue Wahlkandidat nicht an der Ehre zu haben, die man ihm zu theil werden ließ. Landsfeld schloß die Thür und trat zu Runeck.

„Hast Du nun endlich Zeit für uns?“ fragte er mit Schärfe.

„Ich dächte, die hätte ich immer,“ war die kurze Antwort.

„Es scheint doch nicht so. Du ließest mich wie einen Schuljungen an der Treppe stehen, während Du Dich mit dem Doktor unterhieltest.“

„Du brauchtest ja nicht zuzuhören. Weshalb bist Du nicht vorausgegangen?“

„Weil es mir Spaß machte, zu sehen, wie Du noch immer nicht loskannst von denen, die Dich längst in Acht und Bann gethan haben, indessen Du Dich höchst sentimental nach ihrem Befinden erkundigst!“

„Was geht das Dich an?“ sagte Egbert schroff. „Das ist meine Sache.“

„Nicht so ganz, mein Junge. Du bist unser Wahlkandidat, und da hast Du entschieden und endgültig mit allen Beziehungen im feindlichen Lager zu brechen. Du hast jetzt vor allen Dingen für Deine Popularität zu sorgen und machst Dich mißliebig, ja verdächtig durch solche Geschichten, merke Dir das!“

Runeck zuckte verächtlich die Schultern. „Ich danke Dir für Deinen guten Rath, ich weiß aber selbst, was ich zu thun habe.“

„Ei, ei – Du sprichst in sehr hohem Tone!“ spottete Landsfeld. „Du siehst Dich wohl schon als allmächtigen Führer der Partei, als Hauptperson im Reichstag? Hast überhaupt eine ganz gefährliche Ader vom ‚Herrn‘ in Dir. Darin ähnelst Du merkwürdig dem Alten in Odensberg, wirst es wohl auch von ihm gelernt haben. Aber daß das bei uns nicht geht, mein Junge, das solltest Du nachgerade wissen. Wenn Du so fortfährst, so gebe ich Dir mein Wort darauf, daß Du Dich unmöglich machst.“

Egbert erhob sich plötzlich und trat mit gefurchter Stirn dicht vor Landsfeld hin. „Wozu das alles? Sag’ es lieber gerade heraus, daß Du mir die Stellung mißgönnst, zu der die Partei mich berufen hat. Du hattest Dir Rechnung darauf gemacht und vergiebst es mir nicht, daß ich Dir vorgezogen wurde. Und Du weißt es doch am besten, daß diese Stellung mir aufgedrängt wurde. Ich hätte sie Dir gern überlassen – nur zu gern!“

„Was ich wollte oder erwartete, kommt hier nicht in Betracht,“ antwortete Landsfeld kalt. „Ich habe keine Aussicht, bei einer Wahl durchzudringen, Du hast sie, also muß ich Dir das Feld räumen, und das thue ich ohne Widerspruch. Ich kenne die Disciplin und halte sie – wenn andere das nur auch thäten!“

Runeck schien die letzte Bemerkung nicht zu hören, er war an das Fenster getreten und blickte hinaus. „Wie steht es in Odensberg?“ fragte er abbrechend.

„Gut, wenigstens besser, als wir zu hoffen wagten. Der Alte“ – Landsfeld gebrauchte mit Vorliebe diese Bezeichnung für Dernburg, weil er wußte, daß sie seinen Gefährten verletzte – „der Alte dünkt sich freilich noch unangreifbar in seiner Hochburg, die Augen werden ihm wohl erst am Wahltag aufgehen. Wir haben aber auch tüchtig gearbeitet, und das war hier wahrhaftig nicht leicht. Jetzt ist es an Dir! Von Deiner heutigen Rede hängt viel, vielleicht alles ab. Ein Theil der Odensberger steht noch fest zu Dernburg, die anderen schwanken, und die sollst Du heute packen und zu uns herüberziehen. Du verstehst das ja ausgezeichnet, hast es wenigstens früher verstanden.“

„Ich werde meine Pflicht thun,“ sagte Egbert finster, ohne sich umzuwenden. „Allein ich zweifle an dem Erfolg.“

„Weshalb? Höre, Du scheinst mir flügellahm geworden zu sein, seit wir Dich gegen den Alten in Odensberg ausspielen. Was Du da in den letzten Wochen in Berlin gesprochen hast, war ziemlich matt und langweilig. Sonst sprühtest Du von Feuer und Begeisterung und rissest jeden mit fort, jetzt, wo alles auf dem Spiele steht, bist Du nicht kalt, nicht warm. Hast Du denn an diesem Dernburg einen ebensogroßen Narren gefressen wie er an Dir? Ich glaube, er hat den Tod seines

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_272.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2021)