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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

den Fortschritten der Industrie die Durchschlagskraft der Handfeuerwaffen eine größere wurde, sank als letzter Ueberrest auch der Küraß zu einem ornamentalen Ausrüstungsstück herab.

Aber es war nicht die zunehmende Durchschlagskraft der Geschosse allein, welche die Ritter zwang, ihre Panzer abzulegen. Wie man die ursprünglichste Schutzwaffe, den Schild, ablegte und durch den Panzer ersetzte, um dem Kämpfenden eine größere Freiheit der Bewegung zu sichern so trennte man sich auch aus demselben Grunde von dem Panzer. Die Kriegsgeschichte lehrt, daß der Angriff, die Offensive die Grundbedingung des Sieges ist, und nach dieser Richtung hin hat sich bis jetzt das Heer- und Kriegswesen Europas entwickelt. Panzer, selbst wenn sie nur sechs Pfund wiegen sollten, würden die Fußtruppen wesentlich belasten und deren Bewegungsfähigkeit wesentlich vermindern Die so schwer bewehrte Truppe würde dem leichter beweglichen Feinde erliegen. Was heute annehmbar wäre, das sind Panzer, die bei größter Leichtigkeit auch die kleinkalibrigen Geschosse fernhalten würden, aber sie sind eben nicht vorhanden. Die wahre Geschichte des Panzers hat für die Kulturmenschheit ihren Abschluß erreicht, was wir von Zeit zu Zeit hören, das sind aufgebauschte Panzergeschichten.

Panzergeschichten – und zwar mitunter solche recht ergötzlicher Art – sind in Hülle und Fülle auch aus der guten alten Zeit bekannt. Wir haben gesehen, daß selbst die Rüstungen schwerster Art nicht immer das Leben des Kriegers zu schützen vermochten. Da fand man andere Mittel, welche das Kriegerherz zu wappnen geeignet waren; man schöpfte aus dem unergründlichen Born des menschlichen Aberglaubens.

Durch das Bild der Muttergottes und fromme Sprüche suchte man den Schwertklingen wunderbare Kräfte zu verschaffen, und zu allen Zeiten gab es Geheimmittel und Amulette, die den Krieger unverletzlich machen, seinen Waffen Ueberlegenheit über andere verschaffen sollten. Ein im Jahre 1676 erschienenes Büchlein „Neu reformirt- und vermehrter Helden-Schatz“ war bemüht, den Soldaten alle die abergläubischen Mittel bekannt zu geben, durch welche Waffen fest und allen anderen überlegen gemacht werden sollten. Wir lassen einige derselben folgen, bemerken aber, daß der Verfasser unseres Büchleins ausdrücklich vor „Abgöttischen Wundsegen und andern unchristlichen Teuffelischen Zauberischen Mitteln“ warnt, „wie man denn,“ meint er, „gute Nachricht hat, daß solche vielmals gebraucht werden“. Vor diesem räth er, „hüte sich ein jedweder wie vor dem Teuffel selbst“.

Die Waffentüchtigkeit und Gewandtheit Kaiser Maximilians I., des „letzten Ritters“, wird dem „Aqua magnanimitatis“ zugeschrieben, das der ritterliche Fürst anwandte. Dieses wunderbare Wasser wurde durch Destillieren von Ameisen mit Honig und Branntwein unter Zusatz von Zimmetrinde gewonnen. „Man kann auch Eberwurzelöl darzu thun, und wann man es gebrauchen muß, so schmieret man die Hände und Rappier und trinket zehn oder zwölf Tropfen. Und wann er hernach mit zehen oder mehr Personen zu thun hätte, so vermögen sie ganz nichts wider diesen auszurichten, denn es benimmt dem Gegentheil (dem Widersacher) alle seine Kraft.“

Und von einer Waffensalbe berichtet unser Büchlein, die aus Schmeer von einem Eber, Bärenschmalz von einem Männchen, gedörrten Regenwürmern, Moos von Menschenschädeln und anderen schönen Ingredienzien gefertigt wurde. Sie sollte der Waffe Kraft nicht nur zum Wundenschlagen, sondern auch zum Heilen der Wunden, die sie geschlagen, verleihen. Die Waffe selbst wurde zu letzterem Zweck ganz in der Weise behandelt, wie es bei dem Verwundeten nothwendig gewesen wäre: sie wurde gesalbt und verbunden. Damit die Heilung rascher vorwärts schreite, mußte sich derjenige, der den Verband besorgte, so halten, als wäre er der Verwundete selbst. „Und wisse, so Du die Waffen in die Kälte oder den Wind henkest, so machst Du den Patienten Schmerzen.“

Unstreitig war es aber besser, keine Wunden zu erhalten, und auch hierfür weiß unser Büchlein guten Rath; man brauchte sich nur „fest“ zu machen. Es konnte dies auf zweierlei Weise geschehen. Nach dem ersten Rezepte sollte man zu Weihnachten nachts um 12 Uhr in kleine Küchlein, die aus Mehl und Wasser gemacht waren, ein Zettelchen von Jungfrauenpergament stecken, auf dem die Buchstaben I. N. R. I. geschrieben standen, Diese Küchlein sollte man dann heimlich auf einen Altar legen, drei Messen, je eine am Ostertag, am Himmelfahrtstag und am Pfingsttag, darüber lesen lassen und eines am Morgen des Tages zu sich nehmen, an dem man sich mit dem Feinde schlagen mußte. Vor und nach dem Genusse des Küchleins mußte man einige fromme lateinische Sprüche dazu sprechen. „So bistu alles sicher vier und zwanzig Stunden, das wiederhole so oft Dir es geliebet.“

Das zweite Mittel ist wesentlich einfacher. Man sollte sich den Schädel eines Gehängten oder „Geradbrechten“, auf dem Moos gewachsen, suchen; den anderen Tag sollte man den Schädel so legen, daß man sich Moos davon nehmen könnte; am Freitag vor Sonnenaufgang sollte man ihn wieder aufsuchen und folgende Worte sprechen: „Ich N. N. Bitte heute zu dieser Frist – Dich meinen Herren Jesum Christ, der reinen Magd Mariae Sohn – Du wollest mir beystahn auff diesem Plan – und mir helfen binden aller meiner Feinde Händ – und wollest mir helfen zerreißen – ihr Stachel und all ihr Eisen – Jesu Mariae Sohn – hilf mir von diesem Plan; in Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes; Amen.“ Sodann hatte man das Moos abzuschaben, in ein Tüchlein zu binden und es in das Wams einnähen zu lassen. „Trag es also bei Dir, so kann man Dich weder mit schiessen, hauen oder stechen verwunden.“ Andere glaubten, daß der Spruch nicht nothwendig sei und daß man sich durch Verschlucken einer Portion des Mooses in der Größe einer Erbse fest machen könne – allerdings nur vier Stunden lang!

Auf die Mittheilung der vielen Hunderte anderer Rezepte, welche auf den 576 Seiten des Büchleins gesammelt sind, müssen wir natürlich verzichten. Auch der Verfasser, Joh. Staricius, Musikus, gekrönter Poet und öffentlicher Notar, der sich in Nürnberg auch mit Chemie befaßte, hat sich eine Beschränkung auferlegt und lange nicht alles mitgetheilt, was er wußte; und zwar that er dies, was uns freut berichten zu können, aus Patriotismus. Er schreibt: „Hier köndte ich Dir, Du vielgeehrter tugendliebender Kriegsmann, noch viel schöner, verborgener, geheimer Kunststück eröffnen zu Deinem Heyl, meinem Ruhm und dem geliebten Vaterland zu Trost. Weilen aber durch dergleichen Publikation dem Feind sobald gratificirt und dem gemeinen Vaterland geschadet, als dem Freund gefrommet und gemeinem Wohlstand gedienet werden könnte, als lasse ich es bei dem gemeinen Aphorismo vor dismal auch bewenden.“

J.-B.




Freie Bahn
Roman von E. Werner.
(16. Fortsetzung.)


Ruhelos durchwanderte Dernburg das Gemach. Da fiel sein Blick auf Maja, die fast mit Scheu ins Zimmer getreten war und sich sofort zu ihrer Schwägerin Cäcilie gesellt hatte, und er blieb stehen. „Meine arme Kleine ist heute ganz verschüchtert,“ sagte er mitleidig, „Ja, die böse Politik! Die nimmt uns Männer so in Anspruch, daß wir für nichts anderes mehr Sinn haben. Komm zu mir, Maja!“

Maja eilte zu dem Vater und schmiegte sich an ihn. Ihre Stimme klang sehr zaghaft, als sie erwiderte: „Ach, Papa, ich verstehe so wenig von politischen Dingen. Ich schäme mich bisweilen recht sehr darüber.“

Dernburg lächelte und strich zärtlich über das lichte Haar seines Lieblings. „Du sollst Dein junges Köpfchen auch nicht damit anstrengen, mein Kind. Das kannst Du getrost Oskar und mir überlassen.“

„Ich werde es aber doch wohl lernen müssen,“ sagte Maja mit einem schweren Seufzer. „Cäcilie hat es ja auch gelernt. O, Papa, ich bin eifersüchtig auf Cilly. Die hast Du jetzt ganz allein ins Herz geschlossen, mit ihr besprichst Du alles, während ich immer als kleines dummes Ding beiseite geschoben werde.“

„Wie abscheulich von mir!“ entgegnete Dernburg scherzend indem er einen zärtlichen Blick zu seiner Schwiegertochter hinüber warf. Diese lächelte, aber es war ein trauriges freudloses Lächeln.

„Ich begreife wirklich nicht, weshalb Ihr alle in solcher Unruhe und Aufregung seid,“ fuhr das junge Mädchen schmollend fort. „Der Papa wird ja doch gewählt wie immer!“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_288.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)