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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

lange mit mir in leisen, rauh und abgestoßen klingenden Lauten seines Idioms. Von Zeit zu Zeit pflegte er zutraulich seinen Kopf an meine Wange zu schmiegen oder er spielte mit meinem Bart. Dann und wann faßte er auch leise und vorsichtig mein Ohrläppchen mit seiner Schnabelspitze.

Hermann war reinlich und putzte viel und eifrig sein lockeres Gefieder. Auch liebte er es, im Sonnenbrande in glühendem Sand zu baden.

Wenn ich ihm den Finger hinhielt, so hüpfte er jedesmal darauf und sah mich dabei zutraulich mit seitwärts geneigtem Kopfe klug an. Auch ließ er sich ganz ruhig greifen.

Im Verhältniß zu seiner Größe entwickelte er einen ungeheuren Appetit. Da ihm aber unsere eigene Kost, allein verabreicht, auf die Dauer entschieden nicht zusagte, so mußte ich die Einrichtung treffen, daß zwei meiner Negerjungen sofort bei der Ankunft im Lager je zwei lange Strohhalme voll aufgespießter Heuschrecken zu liefern hatten. Die Jungen brachten dies immer in wenigen Minuten fertig, da sie die überall sehr zahlreichen Geschöpfe schnell mittels kleiner Reisigruthen einfingen.

Diese beiden Jungen galten bald in der Karawane allgemein und allen Ernstes als die „Sklaven“ Hermanns. Sie rangierten mit der Zeit sogar beim Appell officiell als solche. Ich ließ den Scherz schließlich als Ernst gelten, nachdem ich bemerkt hatte, wie dies allen Negern außerordentlich imponierte.

Hermann schläft.

Manchmal kam mir Hermann recht chinesisch vor, wenn er z. B. junge, noch blinde Ratten verschlang, für die er eine ganz besondere Vorliebe hatte, Ebenso für ganz junge, noch nackte Vögel. Gewandt fing er die ihm zugeworfene Nahrung auf und verstand es bei Heuschrecken, sehr geschickt, allein den Schnabel gebrauchend, deren Beine zu entfernen, ehe er den Bissen in die Luft warf und mit dem Schnabel auffing. Wasser hat Hermann übrigens, wie alle diese Vögel, sein ganzes Leben hindurch nie getrunken. Die in der Nahrung enthaltene Feuchtigkeit genügte ihm vollständig.

Der Vogel galt bald im Lager allgemein als Respektsperson. Allmählich wurde er sogar von einem Sagenkreis umwoben, und auf Tagereisen voraus erzählten sich Eingeborene die unglaublichsten Märchen von ihm. Er sollte deutsch sprechen können, der Karawane als Spion vorausfliegen und sogar die Zukunft prophezeien!

Sobald ich mich anschickte, das Lager zu verlassen begab sich der Vogel sofort zu dem Zelte der Karawanenhauptleute, da er das Alleinsein nicht liebte, um mich dann bei meiner Rückkehr mit lautem Freudengeschrei zu begrüßen.

Bei aller Liebenswürdigkeit bildete sich Hermann im Gefühl seiner Wichtigkeit nach und nach doch zu einem kleinen Tyrannen aus und machte dies besonders geltend, wenn man ihn beim Spielen mit Baumwollstoffen störte, wofür er eine merkwürdige Leidenschaft hatte. Wenn derartige Stoffe, welche bekanntlich in Afrika als Tauschwaren gelten, zu irgend einem Zweck in Stücke zertheilt, auf einem Haufen in unregelmäßigen Falten am Boden lagen, so hüpfte er sofort hinzu, um Besitz davon zu ergreifen, damit zu spielen und darin zu baden. Wehe demjenigen, außer mir, der es wagte, ihn dabei zu stören! Hermann gerieth dann in helle Wuth. In seinen Zornesausbrüchen war er sehr komisch, besonders Frauen und Kindern gegenüber. Er schien dieselben überhaupt höchst widerwärtig zu finden. Sobald er deren ansichtig wurde, stürzte er sich ihnen mit unbeschreiblicher Wuth entgegen und gab seiner Feindseligkeit den lebhaftesten Ausdruck durch Sträuben der Federn, Flügelklatschen und Schnabelhiebe, so daß er die unschuldigen Geschöpfe jedesmal in die Flucht trieb, da man nicht wagte, sich seiner zu erwehren. Die kleinen Kinder der Karawane hatten denn auch vor dem winzigen Knirps eine heillose Angst. Sogar Dr. Böhm mußte ihm einmal das Feld räumen, als er seinen Zorn dadurch gereizt hatte, daß er ihn durch eine zufällige Handbewegung vom Stuhl herunterstieß. Die bis dahin ungetrübte Freundschaft zwischen beiden hatte fortan einen nicht wieder gut zu machenden Riß.

Hermann in Wuth.

Hermann überstand ganz gut alle Fährnisse der Reise, und deren waren sehr zahlreiche. Nach meines armen Freundes Böhm Tod war er mein einziger Zeltgenosse und vergalt meine Zuneigung reichlich durch sein liebenswürdiges, drolliges und anhängliches Wesen. Ungefähr zwei Jahre mochte er so mit mir Freud’ und Leid getheilt haben, als sich der unerbittliche Tod auch diese kleine Beute holte. Aus Katanga über den Tanganjika allein zurückkehrend, hielt ich mich auf der Rückreise einige Wochen in der damals noch belgischen Station Karema auf. Eines Tages bemerkte ich, wie Hermann, der wie viele Vögel gerne mit glänzenden Gegenständen spielte, eine Aquarellfarbentube im Schnabel hielt. Ein Schnabelhieb mochte dabei die dünne Zinnfolie durchbohrt haben, und nun drang die giftig grüne Farbe, welche den Inhalt ausmachte, wurmartig aus der Oeffnung. Der Vogel hielt dies wohl für ein Insekt, und im Nu war die Farbe verschlungen, ehe ich es hindern konnte. Alle Versuche, den Vogel zum Brechen zu bringen, waren erfolglos. Bald ließ das arme Thier die Flügel hängen, nahm keine Nahrung mehr zu sich, saß traurig auf meiner Schulter und schmiegte sich wie Hilfe suchend ängstlich an mein Gesicht.

In der Nacht des folgenden Tages ging’s zu Ende mit Hermann. Todesmatt hüpfte er zum letzten Mal auf meinen Finger, mich unendlich traurig anblickend faßte er nochmals wie zum Abschied mein Ohrläppchen und starb.

Ich konnte eine Thräne nicht unterdrücken, die über die wettergebräunten Wangen in meinen Bart niederrann.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 317. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_317.jpg&oldid=- (Version vom 8.2.2021)