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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

„Sie wollen doch nicht sagen, Frau von Méninville, die Polyxene hätte ihren Vetter gar hinterrücks und böslich in das tiefe Wasser gestoßen! Das wäre ja himmelschreiend!“

„Gott verhüte, daß wir vorschnell richten, meine gnädigste Frau,“ rief die Méninville und wendete die blassen Augen gen Himmel. „Eine Untersuchung wird Licht in die Sache bringen und hoffentlich die Unschnld des Fräuleins vor aller Augen an den Tag stellen. Ihr selber muß eine solche erwünscht sein, um verleumderische Zungen, die sich regen könnten, zum Schweigen zu bringen.“

„Die Ansicht der trefflichen Dame scheint auch mir die richtige,“ bemerkte der Jesuit hier mit milder Stimme.

Eine Untersuchung! Eine Sache, welche die Gerichte in die Hand nahmen! Man mußte die Gerichtsbarkeit von damals kennen, wie sie ihr, der Fürstin, immerhin bekannt war, das Fürchterliche ihrer Umständlichkeit und Schwerfälligkeit zunächst und die schon daraus entspringenden Quälereien für jeden, welcher ihr, ob schuldig oder unschuldig, in die Hände fiel! Wenn Sabine Eleonore sich dies Edelfräulein dachte, wie sie auch nur in dem finstern Amtsgebäude sich einzufinden haben würde, unter allerhand Gesindel, mit dem die Justiz ja stets zu thun hat, wie sie vor den Herren mit den großen Perücken stehen und Fragen beantworten müßte, nicht anders denn eines vom geringen Volk – dann erschien ihr diese Herabwürdigung schon so groß, daß bei all ihrem übeln Willen gegen Polyxene beinahe etwas wie Mitleid mit dieser Unseligen sie befiel. Und dann der Schimpf, den jemand vom Adel damit erfuhr! Sabine Eleonore fühlte für diesen. Es war ihr angeboren und anerzogen, den Adel ihres Landes als etwas, was in althergebrachter enger Beziehung zu seinem Fürstenhause stand, zu betrachten. Die vom Adel waren die geborenen ersten Hofdiener und höchsten Beamten des Landes. Von dem Fürstensitze herab war ihnen seit Menschenaltern, nach französischem Muster, ihre Ehre hauptsächlich zugeflossen. So aber war diese ihre Ehre zugleich auch die des Hofes, ja der Fürsten selber. Dieser Empfindung gab die Pfalzgräfin jetzt Ausdruck. „Sie vergessen den Stand des Fräuleins, liebe Méninville,“ sagte sie, ein wenig verweisend sogar. „Diesem Stande sind wir eine Rücksicht schuldig, welche ihre Person an sich allerdings nicht fordern würde. Ein Skandalum für Stadt und Land hervorzurufen, muß uns fern liegen. Diese Materie will genau überlegt sein. Der hochwürdige Herr hier versagt uns seinen Rath hierin gewiß nicht.“

Das war eine Art Zurückweisung für Frau von Méninville und vielleicht ein Beweis dafür, daß diese trotz aller Vorsicht immer noch zu rasch zu Werke gegangen war. Aber die Fürstin nahm doch nur Anstoß an der Folge, welche die liebe Méninville ihrer furchtbaren Verdächtigung des Fräuleins hatte allsogleich geben wollen. Hatte sie die Verdächtigung selber mit dem Abscheu völligen Unglaubens zurückgewiesen? Durchaus nicht. Und damit war etwas, nein, damit war schon viel gewonnen.

Pater Gollermann hatte zwar eben noch den Gedanken einer Untersuchung – einer gerichtlichen doch wohl – des Falles gutgeheißen. Jetzt aber meinte auch er: „Pfalzgräfliche Gnaden weisen uns mit der Umsicht Ihres erhabenen Standes den richtigen Weg. Es muß alles Aufsehen vermieden werden, und man sollte daher vielleicht zunächst privatim in den Fall inquirieren. Es ließe sich dies“ – er strich sich hier wieder das Kinn, und wer ihn kannte, wußte, daß dann allemal etwas kam, was nicht ganz so unvorbedacht war, wie es den Anschein hatte – „es ließe sich dies vielleicht sogar mit einem Auftrag vereinigen, der mir vom hochwürdigen geistlichen Kolleg in Trier geworden ist und zu dessen Ausführung ich die Erlaubniß Pfalzgräflicher Hoheit heute zu erwirken hoffte.“

„Rede der hochwürdige Herr, ich bitte!“ sagte die Fürstin. Und nun theilte Pater Gollermann mit, wie dem geistlichen Oberhirten auch dieses Landes, dem Bischof von Trier zu Ohren gekommen sei, daß eine gefährliche Pest der Seelen, ein gewisser Irrglaube, den man nach seinem ersten Verbreiter Jansenismus nenne, von Holland her seine Ansteckung unter die Menschen trage und auch verschiedene Personen in birkenfeldischen Landen, sowohl bürgerlichen wie vornehmen Standes, ergriffen haben solle. Dem weiteren Umsichgreifen dieses Unheiles nun aber kräftig entgegenzutreten, werde die birkenfeldische Geistlichkeit durch ihren Bischof aufs ernstlichste ermahnt. An ihn, den Pater Gollermann, sei das bischöfliche Schreiben ergangen zur weitern Mittheilung an die Pfarrherren.

Er hielt inne und die kleine Hoheit entgegnete mit Würde: „Wir ertheilen Euch, hochwürdiger Herr, hierzu die Erlaubniß. In Gewissensfragen verlassen wir uns völlig auf Euch, dem wir auch die Sorge um unser Seelenheil anvertraut haben.“ Und dann in etwas anderm Tone: „War es nicht diese Ketzerei, die dem hochseligen König in Frankreich seine letzten Lebensjahre verbittert hat, indem er vergeblich versuchte, derselben in seinen Landen Herr zu werden?“

„Nicht so ganz vergeblich, gnädigste Frau,“ sagte der Jesuit, sich auf seinem Sitze verbeugend. „Und daran darf sich ohne Ueberhebung unser Orden einiges Verdienst zuschreiben. Es ist Eurer Hoheit ohne Zweifel bekannt, daß die Bulle ‚Unigenitus‘, welche Seine Heiligkeit in Rom, Clemens XI., vor nicht langer Zeit ausgehen ließ, sich gegen eben jene gefährlichen Neuerungen und verderblichen Irrthümer in der Kirche richtet. Der Vater Le Tellier von der Gesellschaft Jesu, der Beichtvater des Königs Ludwig, ist es hauptsächlich gewesen, durch dessen Eifer das Oberhaupt der Christenheit zum Ergreifen jener so höchst nothwendigen Maßregel man darf wohl sagen gedrängt wurde. Es bleibt mir aber noch eine Mittheilung, eben im Zusammenhange mit jenem Auftrag, dessen ich gewürdigt worden bin – eine Mittheilung, welche dem landesmütterlichen Herzen Eurer Pfalzgräflichen Gnaden nicht anders denn schmerzlich sein kann. Und um so mehr, als damit ein schon schmerzender Punkt in diesem Herzen getroffen werden wird.“

Die Pfalzgräfin sah den geistlichen Herrn unbehaglich und daher schon etwas abgünstig an. Ein schmerzender Punkt in ihrem Herzen! Das war ein bedenklicher Ausdruck; sie dachte alsbald an den Herrn von Nievern und setzte ihre hochmüthigste Miene auf. Doch sogleich ging eine Veränderung mit ihr vor, du er nunmehr anhub: „Es handelt sich da auch, wie ich fast fürchteu muß, um das Fräulein von Leyen. Sie gerade ist eine von den Personen, wenn mich nicht alle Anzeichen trügen, deren strenge Ueberwachung aus heilsamer Fürsorge für ihre Seele uns zur Pflicht gemacht wird. Sie ist mehr als nur verdächtig, auf Irrwege gerathen zu sein und der höchst verderblichen Praxis der sogenannten Quietisten sich zuzuneigen, welche von dem geistlichen Hochmuth eines Jansenius als vornehmlich angesteckt zu betrachten sein dürften.“

„Die Polyxene? Hei, wer hätte das gedacht!“ ließ sich die Pfalzgräfin in äußerster Ueberraschung entfahren. „Und ich vermeinte, sie hätte weit andere Dinge im Kopf als Sektiererei und die Religion überhaupt! Irrt sich der hochwürdige Herr auch da nicht in der Person?“

Während der Pater zu der letzten Frage in wohlmeinendem Bedauern den Kopf schüttelte, entgegnete Frau von Méninville: „Das eine braucht das andere nicht auszuschließen. Trauen Pfalzgräfliche Gnaden diesem Fräulein nicht zu, daß sie auch da hoch hinaus strebt, wo es sich um Dinge der allerheiligsten Kirche handelt, daß sie ihren klugen Verstand nur ungern in geistlichen Dingen gefangen nimmt, wie uns Laien doch ziemt, die wir, uns selber überlassen, nur irren und uns deshalb am besten unsern von Gott geordneten Hirten und ihrer Führung blindlings übergeben? – Mich deucht aber, das ist des Fräuleins Sache nicht.“

So mundgerecht gemacht, kam der Fürstin die Beschuldigung Polyxenes schon nicht mehr so unglaubwürdig vor. „Da mögt Ihr recht haben,“ sagte sie. „Der Hochmuth auf ihr bißchen Verstand oder was sonst und die Naseweisheit, die könnten ihr schon den Streich gespielt haben. Wenn nicht,“ fügte sie nach kurzer Pause mit Lebhaftigkeit hinzu, „die Schwärmerei schon in der Familie liegt. Die Mutter des Fräuleins ist eine wunderliche Frau gewesen, wie ich habe erzählen hören, von einer schier übermäßigen Frömmigkeit. Doch ist sie noch im rechten Glauben verstorben, in ziemlich jungen Jahren. Wenigstens habe ich es nicht anders vernommen.“

„Es steht zu hoffen, daß dem so war,“ sagte Pater Gollermann vorsichtig.

Sabine Eleonore heischte nun von dem geistlichen Herrn einige nähere Auskunft über dasjenige, was gegen Polyxene vorliegen sollte. Und zwar that sie dies in einem Tone, der ihm andeuten mochte, daß sie ein allzu selbständiges Vorgehen der Geistlichkeit in ihrem Lande nicht ganz günstig vermerken würde. Sie war eifersüchtig auf ihre Macht, die kleine Dame, und wer sie nach seinem Willen zu lenken gedachte, der durfte sie dies

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_327.jpg&oldid=- (Version vom 28.1.2024)