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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)



BLÄTTER UND BLÜTHEN.

Das Aufspringen der Blüthen. Das Wachsthum der Pflanzen geht allmählich vor sich; man kann nicht das Gras wachsen sehen. Rascher vollzieht sich der Uebergang aus der Blumenknospe zur vollen Blüthe, obwohl auch dieser Vorgang für unser raschlebiges Geschlecht viel zu lange dauert, so daß die wenigsten vor einer aufspringenden Knospe so lange stehen bleiben, bis sich die Blume ganz entfaltet hat.

Nun giebt es Pflanzen, die selbst den Ungeduldigsten befriedigen dürften, und sie fehlen nicht in unseren Gärten. Wer kennt nicht das Geißblatt oder „Jelängerjelieber“, den Schlingstrauch mit blaugrüner Belaubung, der um unsere Lauben rankt und sich mit anfangs röthlichen und später gelblichen Blumen schmückt, die einen starken Wohlgeruch aushauchen? Die Knospen des Geißblattes pflegen gegen sechs Uhr abends aufzuspringen und die Blüthe dauert drei Tage, allerlei Kerbthiere zur süßen Tafel einladend. Ihre Zeit fällt in die Monate Mai und Juni. Wenn wir also an einem schönen Frühsommerabend uns an eine, von Geißblatt umrankte Laube begeben, so finden wir an ihr oft Blüthenknospen, die jeden Augenblick aufspringen müssen, und es wird uns nicht schwer fallen, den wichtigen Vorgang im Pflanzenleben, die Eröffnung des Zugangs zum Blüthengrund, zu beobachten.

Mit einem Mal kommt Leben in die Knospe. Ihr Oeffnen beginnt mit dem Herabschlagen des unteren Blattes der Blumenkrone; unmittelbar darauf biegen sich die seitlichen und oberen Blumenblätter zurück und die Träger der Staubgefäße spreizen sich wie die Finger einer Hand auseinander. Alle diese Bewegungen können wir deutlich sehen, denn von dem ersten Aufspringen der Knospe bis zu der vollen Entfaltung der Blüthe vergeht nur die kurze Zeit von zwei Minuten!

Aus der Neuen Welt sind zu uns viele Arten der Nachtkerze eingewandert, von denen einige als Ziergewächse von Juni bis Oktober unsere Gärten schmücken. Eine derselben, die Osnotkers, Zrunckillors, eignet sich vielleicht noch besser als das Geißblatt zur Beobachtung des Erblühens. Ihre Blumen öffnen sich gleichfalls des Abends, um nach einem kurzen, kaum 24 Stunden langen Dasein dahinzuwelken. Bei dieser Pflanze „springen“ die Knospen in des Wortes vollster Bedeutung auf; denn die Blumenblätter schieben sich ganz plötzlich auseinander und breiten sich binnen einer halben Minute zur völlig entfalteten Blume aus!

Man kann dieses schöne Schauspiel auch an einigen anderen Pflanzen beobachten; wir haben jedoch nur die beiden genannten hervorgehoben, da sie in den meisten Gärten anzutreffen sind oder sich leicht anpflanzen lassen. *      

Die zusammenstellbaren Rundreisehefte im ersten Jahrzehnt. Billige Ferienreisen! So ging im Frühling des Jahres 1884 ein Frohlocken durch die erholungsbedürftige Welt, als der Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen die Einrichtung der „kombinierbaren Rundreisebillette“ mit ermäßigten Sätzen ins Leben rief. Ausgabe nur während der Sommerzeit, geschlossene Rundreise von mindestens 600 km, 35 Tage Gültigkeit, kein Freigepäck – denn leicht sein soll das Ränzel des Wanderers – das waren damals die wichtigsten Bestimmungen. Der Erfolg war ein ungeahnter. Auf dem Gebiete der vereinigten 59 Verwaltungen Deutschlands, Oesterreich-Ungarns, Rumäniens, der Niederlande und Luxemburgs mit ihren 45516 km Bahnlinien wurden gleich im ersten Jahre 61590 Personen mit den neuen Fahrheften befördert und dafür 3332165 Mark eingenommen!

Stetig hat sich seitdem die Einrichtung weiter entwickelt. Das Reisegebiet wurde auf Belgien, die Schweiz, Dänemark, Schweden und Norwegen ausgedehnt und umfaßt gegenwärtig 147 Verwaltungen mit einem Netz von 76547 km Länge. Man hat die Rundreise aufgegeben und bloß die Rückkehr nach dem Ausgangsorte bedungen, die Ausgabe ist auf das ganze Jahr und die Gültigkeit auf 45 Tage ausgedehnt, ja bei Reisen von 2001 km und darüber sogar auf 60 Tage verlängert worden, und die Benutzung ist dementsprechend gestiegen. Im Jahre 1891 sind 548888 Hefte ausgegeben und dafür 27764556 Mark eingenommen worden. Bemerkenswerth ist hierbei die vorwiegende Benutzung der II. Klasse – im Gegensatz zu den sonst im Reiseverkehr gemachten Erfahrungen.

So darf man nach nahezu zehnjährigem Bestande den Rundreiseverkehr als ein neues Glied in der Entwicklung des Verkehrs bezeichnen, dessen weitere Ausgestaltung nur erwünscht sein kann.

Brot und Zähne. Es ist schon oft darauf hingewiesen worden, daß die Sitte, grobes Brot zu essen, namentlich bei der Landbevölkerung viel zum Gesunderhalten der Zähne beiträgt. Man führte diese günstige Wirkung vor allem darauf zurück, daß das grobe Brot beim Kauen mechanisch die Zähne reinige. Der berühmte englische Arzt Sir James Crichton Browne weist in einer Arbeit über den Zahnverfall bei der heutigen Menschheit darauf hin, daß neben anderen bekannten Einflüssen, wie der unzweckmäßigen oder vernachlässigten Zahnpflege, auch unsere Gewohnheit, ungeschrotetes Brot zu essen, schuld an diesem Uebel sei. Zur Bildung des Zahnbeins sowie des Zahnschmelzes ist Fluor erforderlich, ein Element, das in Verbindung mit Calcium den bekannten Flußspath bildet. Das Fluor ist nun in unseren Nahrungsmitteln verhältnismäßig selten, wohl aber kommt es in der Hülse des Brotkornes vor. Trennen wir demnach die Kleie völlig vom Mehle, so entziehen wir dem Körper einen Stoff, der zur Festigung der Knochen und Zähne sehr viel beiträgt. Für die Werthschätzung des Brotes in seinen verschiedenen Gestalten ist die Kenntniß dieser Thatsache sicher von hohem Werthe. *      

Brehms Thierleben. Die Neubearbeitung dieses großartigen Werkes volksthümlicher wissenschaftlicher Schriftstellerei liegt nunmehr abgeschlossen vor. Wenn sie auf der einen Seite berufen ist, das Lebenswerk des unvergeßlichen Alfred Edmund Brehm einer neuen, fortgeschrittenen Generation zu vermitteln und damit das Andenken an den verdienstvollen Forscher, dem auch die „Gartenlaube“ so viele schöne Beiträge verdankt, auf lange hinaus lebendig zu erhalten, so gereicht sie andererseits auch den Bearbeitern selbst wie der Verlagshandlung, dem Bibliographischen Institut in Leipzig, zur größten Ehre. Beide haben in ihrem Theile keine Mühen und Opfer gescheut, das kostbare Vermächtniß des Altmeisters Brehm auf der Höhe der Zeit zu erhalten. Besonderer Dank gebührt dem Herausgeber der neuen (III.) Auflage, dem Professor Dr.Pechuel-Loesche, der den Haupttheil der Arbeit auf sich genommen hat; im Verein mit Dr. Wilh. Haacke hat er die Bände über die Säugethiere, die Vögel und die Fische, im Verein mit Professor Dr. O. Boettger denjenigen über die Kriechthiere und Lurche einer sorgfältigen Sichtung und theilweisen Neugestaltung unterworfen. Die „Insekten“ sind von derselben Hand, welcher ihre Darstellung schon in der ersten Auflage des Gesamtwerks anvertraut war, von Professor Dr.E. L. Taschenberg, neu bearbeitet worden, während der von Professor Dr.Oskar Schmidt herrührende Band über die „Niederen Thiere“ jetzt durch Professor Dr. W. Marshall der Erneuerung unterzogen wurde.

So mögen denn die stattlichen zehn Bände von „Brehms Thierleben“ in ihrer – auch in Beziehung auf das Abbildungsmaterial – verjüngten Gestalt fortfahren, eine unerschöpfliche Quelle des Wissens und der Anregung für jung und alt, für Gelehrte und Ungelehrte zu bilden.

Der Dichter der „Arbeit“. Der russische Dichter Graf Tolstoi, der Verfasser der Romane „Anna Karenina“ und „Krieg und Frieden“, ist mit einer Lehre aufgetreten, welche der Menschheit neues Hell bringen soll. Im Jahre 1885 kam ihm ein kleines Manuskript vor Augen, in welchem ein fünfundsechzigjähriger Bauer, Timotheus Bondereff, die neue Hellswahrheit verkündigt: eine Verherrlichung der Arbeit und zwar der physischen Handarbeit, „der Arbeit des Brotes, wie er sie nennt, und der Bauern, welche solche Arbeit vollbringen. „Ich habe,“ sagt Bondereff, „gerechten Anspruch, mich auf denselben Lehnstuhl zu setzen, auf dem ein General Platz nimmt. Ja was sage ich, auf denselben? Nein, der General muß vor mir stehen bleiben; denn er verzehrt das Brot meiner Arbeit, nicht ich das der seinen.“ An einer andern Stelle sagt er: „Ich werde meinem Sohne in meinem Testament befehlen, mich nicht auf dem Kirchhof zu beerdigen, sondern in dem Boden, der, durch meine Arme umgewühlt, mir das tägliche Brot gab. Ich werde ihn bitten, mein Grab nicht mit Sand anzufüllen, sondern mit fruchtbarer Erde und jedes Jahr von neuem auf dieser Stelle das nährende Getreide zu säen.“

Dieser Lehre von der Arbeit des Brotes, die nach Bondereff auch eine religiöse Bedeutung hat und alle Tugenden einschließt, hat sich nun Graf Tolstoi angeschlossen, welcher 1888 das Werk Bondereffs mit einer Vorrede herausgab, nachdem er schon zwei Bücher von gleicher Tendenz, „Was ist zu thun?“ und „Das Leben“, verfaßt hatte. Ja, wie eifrig er schon früher den gleichen Weg verfolgte, beweist die Thatsache, daß sein Palast in Moskau das Schild trug: „Tolstoi, Schuhmacher“, ein Schild, das später auf Befehl des Czaren, dessen Mißfallen es erregt hatte, fortgenommen wurde. Der Graf hatte kein Bedenken gehabt, sein Wappenschild durch das Schild des Handwerkers zu ersetzen. Auch Tolstoi ist ein Apostel der Arbeit.

„Zieht aufs Land,“ ruft er, „flieht die ewige Orgie der Städte; arbeitet mit den Arbeitern, verdient euer Geld wie sie! Litteratur, Kunst und Wissen darf sonst keine Rolle spielen; alles ist nur für das Volk da.“ Diese Lehren enthalten im Grunde nichts Neues. Tolstoi ist der russische Rousseau; er predigt die Rückkehr zur Einfachheit der Natur, nur daß der Franzose wohl mehr an paradiesische Zustände dachte, während der Russe zur Losung das Wort nimmt: „Im Schweiße des Angesichts sollst du dein Brot essen“, also in der Vertreibung aus dem Paradiese erst das beginnende Hell der Menschheit erblickt. Die inneren Zustände Rußlands mögen solche Träumereierl rechtfertigen; da herrscht ja in unbegrenzten Landstrichen nur der Ackerbau. Doch die reichgegliederte Kultur in den Ländern des Westens, wie sie der Fortschritt der Weltgeschichte entwickelt hat, zurückschrauben zu wollen zu jenen anfänglichen Urzuständen einer patriarchaischen Zeit, das ist, so prosaisch und praktisch dies klingen mag, doch eine in den Lüsten schwebende Schwärmerei. †      


KLEINER BRIEFKASTEN.

Bitte um ein altes Harmonium. Eine arme deutsche Gemeinde im siebenbürgischen Ungarn, die nicht in der Lage ist, für ihren in einem dürftigen Schulzimmer stattfindenden Gottesdienst ein Harmonium zur Begleitung des Gesanges anzuschaffen, richtet an mildthätige Freunde die herzliche Bitte, ihr zur Erlangung eines solchen behilflich sein zu wollen. Vielleicht besitzt einer unserer Leser ein abgespieltes Harmonium, das er als für sich wenig mehr brauchbar beiseite gestellt hat und gerne zu dem genannten Zwecke unentgeltlich zur Verfügung stellen würde. Wir bitten in solchem Falle um freundliche Benachrichtigung der Redaktion der „Gartenlaube“ oder des Herrn Pfarrers Johann Hermann in Mönchsdorf, Bistritz-Nassoder Komitat, Post Szeretfalva, Ungarn.


Inhalt: [ Verzeichnis der Beiträge in Heft 20/1993]


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_340.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2023)