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verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Nr. 21.   1893.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Schwertlilie.

Roman von Sophie Junghans.
(7. Fortsetzung.)
11.

Der Pfarrer des Dörfleins Keula – eben derjenige, welcher ruhig zugeschaut hatte, als seine Dorfjugend das von einem Besuche in der Hütte am Galgenfeld zurückkehrende Fräulein von Leyen mit Steinen bewarf – hatte seiner Instruktion nach jeden solchen Besuch alsbald den Herrn Dekan von Sankt Aloysien, den Pater Zindler, wissen lassen und sich dabei innerlich wieder wahrhaft aufgerichtet. Denn daß er den gotteslästerlichen Unfug überhaupt leiden mußte, wozu ihn doch seine Oberen ausdrücklich angewiesen, das war ein Pfahl in seinem Fleische. Es war dieser Pfarrer ein großer derber Mann, ein Bauernsohn aus der Eifel, mit ingrimmig dunkeln Zügen und zur Duldung wenig geeignet. Er war noch nicht lange hier im Amt, und sein Werk war es nicht, daß die Sieche und Ausgestoßene an dem verrufenen Orte in Ruhe gelassen wurde zum Sterben. Er hätte die Stätte gern von ihr gereinigt, und wenn es mit feuriger Lohe gewesen wäre. Aber, wie gesagt, er erhielt die Weisung, um das exkommunizierte Weib sich nicht zu kümmern, jedoch ein Auge darauf zu haben, wer sie jemals heimsuche. Die dicken Lippen finster übereinander schiebend, fügte er sich darein.

Daß die Kranke durch den alten Strieger, den Waldmann, gefristet wurde, wußten die Dörfler sehr wohl; wenn der Pfarrer aber fragte, erhielt er geringe Auskunft. Die dummschlauen Bauern gaben sich den Anschein, als glaubten sie, daß bei der Erhaltung der hilflosen Gelähmten der Böse selber die Hand im Spiele habe. Und wie viel oder wie wenig dem Herrn Pfarrer hiervon glaublich sein mochte – gewiß ist, daß er die Bekanntschaft des alten Waldwarts niemals machte: dafür sorgte der Strieger schon selber. Es blieb demnach von Besuchern in der verrufenen Hütte nur jene unberathene Jugend, das Fräulein von Leyen. Der Pfarrer von Keula, ohne mehr von ihr zu wissen, als daß sie ein schlankes Geschöpf mit stolzgetragenem Kopfe war – so wie er sie von seinem Posten auf dem erhöhten Kirchhof aus nun öfters gesehen hatte – verfolgte sie dafür in seinem Innern mit fressendem Argwohn und heißer Rachgier.

An einem trüben Herbstnachmittage hatte er den Gang, den er vor der Vesper machte, auch wieder wie jetzt meistens auf der Landstraße ausgedehnt, die von Keula an der Herrenmühle vorbei nach der Stadt führte. An einem Punkte, wo sich der Weg fast jäh in die Niederung hinabsenkte, in welcher die Herrenmühle lag, stand unter windgekrümmten und zerzausten Ebereschen eine steinerne Bank. Bis hierher pflegte der Pfarrherr seinen Schritt zu lenken; von hier aus übersah man einen großen Theil der Landstraße zwischen der Herrenmühle und dem Thorthurme von Birkenfeld, und er hatte in letzter Zeit die Gewohnheit angenommen, ganze Viertelstunden lang diese Strecke spähend mit den

Zugang zur „Höhle des Windes“ unter dem Niagarafall.
Nach einem Aquarell von Rudolf Cronau.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 341. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_341.jpg&oldid=- (Version vom 17.5.2021)