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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

schon schützen. Doch diese Nothwendigkeit wird gar nicht eintreten. Das Haus und seine Bewohner sind unbedingt sicher, mag es da drüben auch zu noch so argen Ausschreitungen kommen. In jedem Falle können Sie auf mich rechnen.“

„Das weiß ich,“ entgegnete Leonie warm, indem sie ihm die Hand reichte, die der Doktor auch sehr bereitwillig nahm; er behielt sie auch gleich und dachte nicht daran, sie wieder frei zu geben. „Ich war heute morgen bei Ihnen,“ hob er wieder an, „bin aber nicht vorgelassen worden!“

Leonie senkte die Augen und ihre Stimme bebte, als sie leise antwortete: „Sie werden begreifen, daß es mir peinlich war, nach dem Erlebniß von gestern –“

„Bitte, ich kam nur als Arzt, um mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen,“ fiel Hagenbach ein. „Sie sehen angegriffen aus, haben vermuthlich eine schlaflose Nacht gehabt – ich übrigens auch!“

„Sie, Herr Doktor?“

„Nun ja, mir ging so allerlei im Kopfe herum, zum Beispiel, daß Sie ganz recht haben, wenn Sie mich für einen halben Bären halten. Es fragt sich nur, ob der Versuch lohnen würde, noch irgend etwas Menschliches aus mir zu machen. Was meinen Sie dazu?“

„Ich – ich meine gar nichts,“ sagte Leonie, mit einem vergeblichen Versuch, ihre Hand frei zu machen.

„Mir liegt aber an Ihrer Meinung ganz besonders,“ fuhr er fort. „Sehen Sie, mein Fräulein, wenn man so als alter Junggeselle durch das Leben läuft, ohne nach einem Menschen zu fragen, und mit dem Bewußtsein, daß auch kein Mensch nach einem fragt – das ist eine traurige Geschichte. Wenn man wenigstens noch eine Mutter oder Schwester besitzt, dann geht es allenfalls; ich aber habe nur den dummen Jungen, den Dagobert, und was ich an dem habe, das wissen Sie ja!“

„Aber Herr Doktor, müssen wir das denn gerade heute erörtern?“ versuchte Leonie auszuweichen. „In dieser Stunde, wo ganz Odensberg –“

„Odensberg wird uns hoffentlich den Gefallen thun, mit seiner Rebellion so lange zu warten, bis wir miteinander in Ordnung sind,“ unterbrach Hagenbach sie. „Und in Ordnung müssen wir jetzt kommen, das hab’ ich mir in der besagten schlaflosen Nacht feierlich gelobt. Ich war vorhin zum zweiten Male bei Ihnen, fand Sie aber nicht, Sie waren bei Frau von Ringstedt. Ich habe mir trotzdem die Freiheit genommen, einzutreten, denn ich wollte mir Ihren Schreibtisch einmal ansehen. Ueber diesem hängt jetzt das Bild Ihrer seligen Frau Mutter, und der gönne ich den Platz von Herzen, denn die ist in Ehren selig geworden. Sie haben kurzen Prozeß gemacht und tapfer aufgeräumt mit den alten Erinnerungen und deshalb – und darum – ja was wollte ich denn eigentlich sagen?“

Der Herr Doktor fing an, sich zu verwickeln. Er war bei seinem ersten Antrag mit der Thür ins Haus gefallen und wollte bei dem zweiten nun recht zartsinnig zu Werke gehen, allein dabei blieb er stecken. Doch er faßte einen raschen Entschluß, erhob sich und trat zu seiner Erwählten, „Ich habe Sie lieb, Leonie,“ sagte er mit einfacher Herzlichkeit, „und wenn ich auch ein derber Geselle bin – so im Handumdrehen läßt sich das ja nicht ändern – so meine ich es doch ehrlich und treu, und wenn Sie es mit mir wagen wollten, so würde mich Ihr Jawort sehr glücklich machen. Sie sagen nichts? Gar nichts? Darf ich das als ein gutes Zeichen nehmen?“

Leonie saß mit tieferglühenden Wangen und gesenkten Augen da, sie fühlte die ganze Großmuth und Herzensgüte des Mannes, den sie so herb zurückgewiesen hatte und der ihr nun von neuem Herz und Hand bot. Sie antwortete auch jetzt nicht, aber sie reichte ihrem Bewerber wortlos die Hand. Er verstand das auch vollkommen und brachte die Sache nun schleunigst in Ordnung, indem er seine Braut in die Arme nahm und küßte.

„Gott sei Dank, endlich sind wir so weit,“ sagte er aus tiefster Seele. „Ich werde es morgen dem Jungen, dem Dagobert schreiben. Nun kann er uns ein Hochzeitsgedicht machen und bei sonstigen passenden Gelegenheiten seine künftige Tante ansingen, das will ich ihm allenfalls erlauben.“

„Aber Herr Doktor,“ mahnte Leonie vorwurfsvoll.

„Peter heiß’ ich!“ unterbrach er sie. „Der Name gefällt Dir nicht, das weiß ich noch von früher her, er ist Dir nicht poetisch genug, aber ich bin nun einmal so getauft, und Du wirst Dich daran gewöhnen müssen. Fräulein Leonie Friedberg und Doktor Peter Hagenbach – so wird es auf den Verlobungskarten stehen.“

„Aber Du hast doch wohl noch andere Taufnamen außer dem einen?“ wagte die Braut einzuwerfen.

„Versteht sich! ‚Peter Franz Hugo‘ heiße ich.“

„Hugo? Wie schön! So werde ich Dich in Zukunft nennen.“

„Das verbitte ich mir,“ erklärte Hagenbach mit einer Entschiedenheit, die schon sehr an den künftigen Eheherrn erinnerte. „Peter heiße ich nach meinem Vater und Großvater, so bin ich stets genannt worden und so wird mich auch meine künftige Frau nennen.“

Leonie legte mit schüchterner Vertraulichkeit, die ihr sehr gut stand, die Hand auf den Arm des Bräutigams und sah ihm bittend ins Auge. „Lieber Hugo – findest Du nicht, daß das sehr schön klingt?“

„Nein!“ brummte der Doktor, indem er sich abwendete.

„Nun, wie Du willst, Hugo, ich richte mich darin ganz nach Deinen Wünschen. Aber Peter und Leonie paßt so gar nicht zusammen, das mußt Du doch einsehen.“

Hagenbach brummte wieder, doch diesmal schon um vieles sanftmüthiger. Er fand den Namen, in diesem Tone ausgesprochen, gar nicht so übel. Allein sofort tauchte die düstere Vorstellung von der Möglichkeit eines Pantoffelregimentes in ihm auf, und er fühlte sich verpflichtet, seine Oberherrschaft ein für allemal zu wahren. „Es bleibt bei dem ‚Peter‘!“ entschied er. „Darin mußt Du Dich fügen, Leonie.“

„Ich füge mich in alles,“ versicherte Leonie im weichsten Tone. „Ich bin ja überhaupt ein schwaches unselbständiges Wesen, das gar keinen eigenen Willen hat. Du wirst in unserer Ehe nie einen Widerspruch hören, lieber Hugo – aber willst Du mir wirklich die erste Bitte abschlagen am Verlobungstage?“

Dem lieben Hugo wurde es ganz schwül bei dieser weichen Stimme und diesen bittenden Augen, und seine Unerschütterlichkeit wie seine Oberherrlichkeit kamen bedenklich ins Wanken. „Nun, wenn es Dir so großes Vergnügen macht, kannst Du mich allenfalls so nennen“ gestand er zu. „Aber auf den Verlobungskarten steht –“

„Leonie Friedberg und Doktor Hugo Hagenbach! Ich danke Dir, Hugo, von ganzem Herzen danke ich Dir für diesen Beweis Deiner Liebe!“

Was wollte der arme Peter Hagenbach machen? Er steckte den Dank ein und deckte seinen schmählichen Rückzug damit, daß er seiner Braut einen Kuß gab. Bei diesem ersten Streite hatte der „schwächere“ Theil glänzend gesiegt und der stärkere war unterlegen – es mochte eine Vorbedeutung sein. –

Inzwischen empfing Dernburg in seinem Arbeitszimmer die Meldungen von den Werken, die nichts weniger als beruhigend lauteten. Sonst hatte ihn jeder ungewöhnliche Vorfall in der Mitte oder an der Spitze seiner Arbeiter gefunden, jetzt wich er jeder Berührung mit ihnen aus. Er hatte in der letzten Zeit keinen der Leute angeredet, keinen auch nur beachtet, obgleich er täglich seine Werke betrat.

In düsteres Sinnen verloren stand er, augenblicklich ganz allein, am Fenster, und als die Thüre geöffnet wurde, wandte er sich langsam um, in der Meinung, es treffe eine neue Meldung ein. In der nächsten Sekunde aber zuckte er zusammen und starrte den Eintretenden an, als traue er seinen Augen nicht.

„Egbert!“

Egbert schloß die Thür hinter sich und blieb dicht an der Schwelle stehen, während er leise sagte: „Ich bitte um Verzeihung, wenn ich von meinem alten Rechte, unangemeldet einzutreten, noch einmal Gebrauch mache – es geschieht zum letzten Male.“

Dernburg hatte sich bereits wieder gefaßt, seine Augen blitzten drohend auf, aber seine Stimme klang eisig. „Ich habe allerdings nicht erwartet, Sie wieder in Odensberg zu sehen, Herr Runeck. Was führt den Herrn Abgeordneten zu mir? Ich dächte, wir beide hätten uns nichts mehr zu sagen.“

Runeck mochte einen solchen Empfang erwartet haben, aber sein Blick richtete sich doch vorwurfsvoll auf den Sprechenden. „Herr Dernburg, Sie sind zu gerecht, um mich für die Ausschreitungen verantwortlich zu machen, die am Abend des Wahltages stattgefunden haben. Ich war in der Stadt –“

„Ich weiß – mit Landsfeld! Und von dort wurde die Bewegung geleitet.“

Egbert erbleichte und trat rauh einen Schritt näher. „Soll der Vorwurf auch mir gelten? Ist es denn möglich, daß Sie glauben, ich hätte Antheil an jenen Beleidigungen, ich hätte darum gewußt und sie nicht verhindert?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_352.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)