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verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Nr. 22.   1893.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Schwertlilie.

Roman von Sophie Junghans.
(8. Fortsetzung.)

Der Pater Gollermann hatte sich Polyxenen rasch genähert, wie um einen höflichen Abschiedsgruß anzubringen, sobald er wahrnahm, daß sein Gefährte sich der Aufmerksamkeit des Herrn von Gouda versichert und dieselbe so von ihm und dem Fräulein abgelenkt hatte. Und nun, sie eigenthümlich ansehend, sagte er leise: „Ihr habt vielleicht gedacht, meine Tochter, daß ich vorhin müßige Worte redete, als ich davon sprach, Ihr würdet uns noch freiwillig in das Asyl zu St. Ursula folgen. Dem war nicht so. Hört mich wohl an: daß Ihr Euch durch den Verkehr mit jenem unseligen Weibe gegen die Satzungen der Kirche vergangen habt, beschwert Eure Tugend weniger, als ich wohl wünschen möchte. Doch ist dieser Fehler der schlimmste, den wir Euch, einer Tochter aus edlem Hause, zutrauen möchten. Der gemeine Pöbel aber denkt anders …“

„Was habe ich mit diesem zu schaffen?“ fragte Polyxene fast unwillig. Der Jesuit jedoch fuhr unbeirrt fort:

„Euer Rang, wollt Ihr sagen, erhebt Euch zu hoch über jede üble Nachrede der Geringen, als daß Ihr sie zu beachten brauchtet? Der Fall liegt anders. Vergegenwärtigt Euch, was diesem Hause widerfahren ist –“ Er stockte, zuwartend; sie sah ihn in voller Verständnißlosigkeit groß an. So mußte er denn deutlicher werden. „Der Erbe der Herrenmühle ist verschwunden, verunglückt und nicht mehr unter den Lebenden, wie man leider annehmen muß. Er war weit reicher an Gütern als Ihr, die Ihr, wie man sagt, nur sehr wenig besitzet, und er war der Letzte von jenem Zweige seines Geschlechts, dessen Habe, falls er wirklich tot ist, nun auf Euch übergeht …“

Der Jesuit machte hier die leiseste Pause. Doch Polyxene füllte dieselbe durch keinen Laut aus. Sie stand starr, jedoch ein wachsendes Entsetzen zeigte sich auf ihrem Gesicht. Als er nun aber hinzugefügt hatte: „Dem Volke hier zu Lande läßt das räthselhafte Verschwinden des Knaben keine Ruhe, es fragt: wem konnte sein Tod Vortheil bringen –“ da endlich brach sie hinein in seine Rede mit jenem qualvollen Stöhnen, das die beiden anderen Männer aufhorchen ließ. Und rasch, ehe der Oberst von Gouda, der mißtrauisch herüberschaute, herzutreten konnte, brachte der Pater Gollermann dem Mädchen auch noch den Rest seiner Gabe bei. „Ich will Euch nichts verhehlen; laut zeiht Euch schon die öffentliche Stimme des Mordes an Euerem Vetter und verlangt, daß Justiz an Euch genommen werde, meine arme Tochter,“ sagte er, sein Antlitz dem ihrigen nähernd. „Euerem Oheim bleibe aber, wenn Ihr meinem Rathe folgen wollt, dieses Unerhörte noch verschwiegen. Und nun versteht mich: Schutz bieten wir Euch in jenen heiligen Mauern. Kein Pöbelhaufe wird Euch dort hervorzerren, um Euch unter Mißhandungen vor den Richter zu schleppen …“

Er sah sie prüfend an. Das reizvolle jugendliche Antlitz war wie versteinert. Es lag in Polyxenens nach außen gehaltener, aber um so tiefer und stärker empfindender Natur, daß etwas Furchtbareres als dieser Verdacht sie gar nicht hätte treffen können. Aber wahrlich nicht seiner Folgen wegen! Die

Lola Beeth als Maria im „Trompeter von Säkkingen“.
Nach einer Photographie aus dem Hofatelier Adèle in Wien.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_357.jpg&oldid=- (Version vom 18.3.2021)