Seite:Die Gartenlaube (1893) 373.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Nr. 23.   1893.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Schwertlilie.

Roman von Sophie Junghans.
 (9. Fortsetzung.)
14.

Der Oberst von Gouda war ein Mann von mannigfaltigen und keineswegs verächtlichen Gaben. Sein scharfer kalter Verstand war von einem rechtlichen Sinn begleitet; er hatte wenig Bedürfnisse und diese lagen weitab von dem, was der große Menschenhaufe sich als Genüsse erstrebt. Daß er uneigennützig war, floß aus dem von selbst – nicht mit jener Uneigennützigkeit aber, welche anderen Dienste aufdrängt, ohne Vergeltung zu suchen; dienstfertig war er überhaupt so wenig, wie es etwa ein Säulenheiliger sein kann. Er überließ einen jeden am liebsten sich selber, da sein Scharfblick ihm früh das Nutzlose der meisten Einmischungen in fremde Geschicke oder auch nur in fremde Gewohnheiten gezeigt haben mochte. Seine Uneigennützigkeit nahm vielmehr ihre Färbung von seiner wahrhaft ritterlichen Rechtlichkeit. Und so mochte ein Mann wohl zum Vormund schutzloser Waisen geeignet erscheinen, der ebenso leicht in Versuchung gekommen wäre, glühendes Eisen anzufassen, als sich mit fremdem Gut zu bereichern, und der auch der Verwaltung des ihm anvertrauten Besitzes allenfalls gewachsen war, wenn nicht seine einsiedlerischen Neigungen und tiefen Studien ihn hinderten.

Freilich, zum Erzieher paßte er um so weniger, dieser gelehrte Kriegsmann, der die Dinge ihren Lauf gehen ließ, so lange sie leidlich im Geleise blieben. Und so waren denn auch die beiden jungen Anverwandten mit geringer Förderung seinerseits aufgewachsen, fast bloß ihrer glücklicherweise guten und gesunden Natur nach. Wenig Sorge oder Kopfzerbrechen hatte dem Obersten sein Vormundstand gemacht bis zu dem Unglückstag, da Lutz zum Abendbrot nicht heimgekehrt war. Das war jetzt mit einem Male anders geworden. Aber die veränderte Lage der Dinge fand an dem Herrn von Gouda in gewisser Weise wenigstens ihren Mann.

Es war nicht so selbstverständlich, wie es scheinen könnte, und deshalb dem hageren Herrn mit dem gelben ledernen Gesicht doch auch anzurechnen, daß sein Scharfblick die Abgeschmacktheit jenes Verdachtes gegen Polyxene unverweilt durchschaut hatte und daß er somit auch nicht für den kleinsten Bruchtheil einer Sekunde stutzig oder an ihr irre geworden war. So gewann er alsbald Zeit, sich mit einer andern Frage zu beschäftigen und an ihr seinen Scharfsinn spielen zu lassen: hatte jener Argwohn wirklich noch eine andere Existenz, getrennt von der, welche er als Werkzeug in der Hand der Jesuiten führte? Schlich derselbe frei umher? War er am Hofe und gar in der Stadt verbreitet? Hierüber gedachte er sich ohne Aufschub nach Möglichkeit Gewißheit zu verschaffen.

Dieser Absicht folgend, ritt der Oberst am Tage nach dem nächtlichen Besuche, den er empfangen hatte, in die Residenz Birkenfeld hinein. So selten er sich auch hier zeigte, so war doch die Gestalt im verschabten Lederkoller und vertragenen Filzhut, mit hohen gelben Stiefeln an den hageren Beinen, den Bürgern wohl vertraut. Sie kannten alles an diesem seinem Reitanzug bis auf die schweren Sporen – deren er sich nie bediente – und freuten sich, wenn nach

Des Lieblings Frühstück.
Nach einer Zeichnung von Hans Looschen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 373. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_373.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)