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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

auf. Weitere Proben bewiesen, daß von einer bestimmten Menge Samen, die in zwei gleiche Hälften getheilt wurde, der elektrisierte Theil mehr Keimlinge ergab als der nicht elektrisierte.

Das Verfahren, welches Paulin anwandte, ist nicht schwierig, und man bedarf zu seiner Ausführung nur einer gewöhnlichen Scheiben-Elektrisiermaschine. Man bringt den befeuchteten Samen in eine weithalsige Glasflasche, deren Außenwand mit Zinnfolie beklebt ist. Die Flasche wird, mit einem Kork verschlossen, durch diesen ein Kupferdraht gesteckt, der bis zu dem Samen hinabreicht. Das ist nun die wohlbekannte Leydener Flasche, bei welcher in diesem Falle der feuchte Samen die innere Füllung bildet. Man verbindet hierauf den Kupferdraht mit dem Konduktor der Elektrisiermaschine, setzt diese in Bewegung und ladet die Flasche bis zur vollen Sättigung. Diese Ladung wird stündlich wiederholt, und nach den Erfahrungen Paulins muß das Elektrisieren bei den Sämereien der gewöhnliche Küchengewächse 12 Mal, also einen Tag lang, erfolgen; bei Getreide dauert das Elektrisieren zwei Tage, die Nacht abgerechnet, so daß die Flasche 24 Mal geladen wird; die Behandlung des Samens der Obst- und Waldbäume soll dagegen 3 bis 8 Tage lang fortgesetzt werden. Der Samen muß aber sofort nach der elektrischen Behandlung noch im feuchten Zustande ausgesät werden; läßt man ihn austrocknen, so geht die Wirkung verloren.

Die zweite Aufgabe der Elektrokultur besteht in der Zuführung der Elektricität an Pflanzen, die bereits im Wachsthum begriffen sind. Man hat dies auf verschiedene Weise zu bewerkstelligen gesucht. Zuerst versetzte man abwechselnd Kupfer- und Zinkplatten in die Erde, verwandelte also den Ackerboden gewissermaßen in eine galvanische Batterie, in welcher der Strom beständig kreisen sollte; später führte man verschiedene elektrische Ströme, welche durch Dynamomaschinen erzeugt wurden, in das Erdreich. Die Ergebnisse, die man mit diesen Versuchsreihen erzielte, waren sehr unsicher; während in einigen Fällen ein ausgezeichnetes Wachsthum und gute Ernten verzeichnet wurden, wollte man in anderen einen geradezu schädlichen Einfluß der Elektricität auf die Pflanzen bemerken. Da diese Art der Zuführung von Elektricität außerdem sehr kostspielig ist und im praktischen Leben mit Vortheil nicht angewendet werden kann, so wollen wir darauf näher nicht eingehen und nur die Art der Elektrokultur in Erwägung ziehen, bei welcher die atmosphärische Elektricität nutzbar gemacht wird.

Bereits im Jahre 1848 beschäftigte sich Beckensteiner mit Lösung dieser Frage, indem er die atmosphärische Elektricität durch blitzableiterartige Stangen zu sammeln und in den Boden zu leiten suchte, damit sie dort auf die Wurzeln einwirkte. Die Ergebnisse der Versuche Beckensteiners waren ermuthigend, aber die elektrischen Lichterscheinungen, die namentlich während der Gewitter an den „Geomagnetifèren“, wie der Erfinder seine Apparate genannt hatte, auftraten, schreckte die Landwirthe von weiterer Anwendung ab. Später wurde die Angelegenheit wieder aufgenommen, indem man von gewöhnlichen Blitzableitern Drähte abzweigte und sie in die Nähe von Pflanzenwurzeln leitete. Diese Versuche mußten naturgemäß unbefriedigend verlaufen, weil in der Nähe der Blitzableiter in der Regel die Bedingungen zu einer zweckmäßigen Kultur völlig fehlten.

Acker mit „Geomagnetifère“

In neuester Zeit wurden die Geomagnetifèren wieder berücksichtigt, und es war wiederum Paulin in Monbrisen, der sie zu vervollkommnen suchte. Der verbesserte Apparat soll in folgender Weise zusammengestellt werden:

In der Mitte des zur Elektrokultur erwählten Platzes wird eine hölzerne, möglichst gut getheerte, etwa 10 bis 20 m hohe Stange aufgepflanzt. An der Spitze der Stange befindet sich ein Isolator aus Porzellan, und an diesem wird der Elektricitätssammler befestigt, ein Metallbesen aus fünf 4 mm dicken und 0,5 m langen Kupferdrähten. Von diesem Sammler läuft an Isolatoren die Stange hinab ein 4 mm starker Draht aus galvanisiertem Eisen bis in das Erdreich, wo er sich mit dem Elektricitätsvertheiler vereinigt; dieser besteht aus galvanisierten Eisendrähten, die zu einem quadratischen Netz (in unserer Zeichnung durch gestrichelte Linien angedeutet) geordnet sind, wobei ein Draht von dem anderen um etwa 2 m entfernt ist. Die Tiefe, in welche der „Vertheiler“ gelegt werden muß, richtet sich nach der Natur der angebauten Pflanzen: für Weinstöcke genügt eine Tiefe von 0,4 m, für Wiesen und Getreidefelder eine solche von 0,15 m.

Der Umkreis, in welchem der Geomagnetifère seine Wirkung ausübst, hängt von der Höhe der Stange ab; sie erstreckt sich auf eine Kreisfläche, deren Mittelpunkt die Stange bildet, während der Halbmesser dieses Kreises doppelt so lang ist wie die Stange. Die Stange muß aber alle Gegenstände innerhalb dieser Kreisfläche überragen; stehen in unmittelbarer Nähe des Magnetifères Bäume, die höher sind als er, so entziehen sie die Elektricität, und der Apparat ist völlig unwirksam.

Die ersten Versuche mit diesem Apparat wurden in Monbrison im Jahre 1891 angestellt. Wir heben nur einige Ergebnisse hervor. Auf einem Kartoffelfeld wurde ein 8,5 m hoher Geomagnetifère errichtet; die Elektrokultur erzeugte, auf das Hektar berechnet, eine Kartoffelernte von 28 000 kg, während die ohne Elektricisätszuführung gezogenen Kartoffeln nur 18 700 kg für das Hektar ergaben. Die elektrisch behandelten Kartoffeln zeichneten sich ferner in der Güte aus; denn wie die Analyse zeigte, hatten sie einen Stärkegehalt von 17,8 %;, während die Kontrollkartoffeln nur 15,3 %Stärke enthielten. Auch das Wachsthum von Kraut wurde durch die Elektrokultur begünstigt, und es gelang, Spinat von geradezu riesiger Größe zu erzielen. Mit einem 14 m hohen Magnetifère wurde ein Versuch in einem Weinberg gemacht, und hier ergab die Elektrokultur schönere und bedeutend zuckerreichere Beeren.

Die letzten Monate waren leider für eine weitere Prüfung der Elektricitätswirkung auf unsere Kulturgewächse sehr ungünstig; die große Hitze und Dürre, die im vorigen Sommer geherrscht, und die Dürre, die in den Monaten März und April und einem Theil des Mai dieses Jahres sich über weite Gebiete erstreckt hat, entzogen den Pflanzen das Wasser, ein Lebenselement, das durch die Elektricität nicht ersetzt werden konnte. Das Wachsthum blieb in jenen Zeiträumen zurück sowohl im freien Felde wie im Bereich der Magnetifèren.

In Belgien hat man zu noch einfacheren Mitteln bei der Elektrokultur gegriffen. Lagrange legte in 0,15 m Tiefe ein quadratisches Netzweck aus galvanisiertem Draht und pflanzte an verschiedenen Punkten desselben zugespitzte, nur einen halben Meter hohe Drahtstäbchen auf; diese saugten die atmosphärische Elektricität auf und führten sie durch das Netzwerk dem Boden und den Wurzeln zu. Ein Versuch mit Kartoffeln ergab auf gleich großen Ackerflächen folgende Ernten: Elektrokultur 103 kg; Kontrollbeet 80 kg Kartoffeln.

Die Elektrokultur befindet sich noch vollständig im Stadium des wissenschaftlichen Versuches; wir sind noch nicht in der Lage, bestimmte Winke für praktische Zwecke anzugeben. Es scheint, daß verschiedene Pflanzen sich verschieben gegen die vermehrte Elektricitätszufuhr verhalten, und es muß jedes Kulturgewächs nach dieser Richtung hin besonders geprüft werden. Aus den bereits erzielten Erfolgen geht aber doch hervor, daß die Elektricität in gewissen Grenzen als Befördrerin des Pflanzenwachsthums dem Landwirth sich dienstbar erweisen kann. Da die Ausgaben für Errichtung von Magnetifèren, sei es nach den Angaben von Paulin, sei es nach denen von Lagrange, nicht sehr hoch sind, so dürfte es vielen Gärtnern, Weinbergsbesitzern und Landwirthen möglich sein, nach dieser Richtung hin auf ihrem Grund und Boden Versuche anzustellen. Vielleicht wird dieser Aufsatz diesen ober jenen dazu anregen.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_378.jpg&oldid=- (Version vom 31.8.2021)