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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

„Und Sie haben mir doch wehe genug gethan mit jener stetigen stummen Abweisung,“ sagte er vorwurfsvoll. „O, von der Stunde an, in der ich damals im Waldhäuschen das ‚Wichtel‘ fand, seit jenem Augenblick, wo aus der grauen Hülle das süße Gesichtchen meiner Jugendgespielin auftauchte, wußte ich, wo das Glück meines Lebens lag. Darf ich nun endlich sprechen? Maja, ich liebe Dich über alles, ich kann nicht leben ohne Dich!“

Es waren keine glühenden stürmischen Liebesworte, wie sie das junge Mädchen einst von den Lippen eines anderen gehört hatte, aber aus ihnen sprach warme, innige Zärtlichkeit und Maja hätte kein Weib sein müssen, wäre sie dieser festen treuen Liebe gegenüber gleichgültig geblieben.

„Du willst es, Viktor – so nimm mich hin!“ sagte sie leise. „Ich bin Dir ja gut gewesen seit meinen Kinderjahren!“

Mit einem jubelnden Ausruf schloß Viktor sie an seine Brust, zur höchsten Verwunderung Pucks, der den beiden zusah und sich die Sache offenbar nicht recht erklären konnte.

Die Verlobung, die nun auch dem Vater angekündigt wurde, nahm begreiflicherweise alle Bewohner des Herrenhauses so in Anspruch, daß man nicht mehr daran dachte, Ausschau nach dem Wagen zu halten, der jetzt drüben auf der Waldhöhe erschien. Der Weg führte noch eine Strecke auf dieser Höhe hin, ehe er sich ins Thal hinabsenkte. Da lag Odensberg, diese mächtige Stätte der Arbeit, inmitten seiner grünen Tannenberge. Die Walzwerke waren längst wieder aus der Asche emporgestiegen, umfangreicher noch als früher, und neue Anlagen anderer Art hatten sich ihnen zugesellt, denn auf den Dernburgschen Werken gab es keinen Stillstand, sie breiteten sich mit jedem Jahre weiter aus.

Die junge Frau in dem einfachen grauen Reiseanzuge beugte sich aus dem offenen Wagen und blickte hinüber, wo halb versteckt hinter den Bäumen des Parkes das Herrenhaus sichtbar wurde. Cäcilie war immer ein schönes Mädchen gewesen, aber die Frau in der vollen Entfaltung jenes eigenartigen Reizes, der ihr von jeher die Herzen gewonnen hatte, war fast noch schöner. Es konnte freilich keinen größeren Gegensatz geben als diese zarte, noch immer etwas fremdartige Erscheinung und den Mann, der an ihrer Seite saß. Das war noch ganz der alte Egbert Runeck, in seiner herben trotzigen Kraft, die bereit schien, den Kampf mit der ganzen Welt aufzunehmen und durchzufechten. Nur die grauen Augen unter der breiten wuchtigen Stirn hatten einen anderen Ausdruck als früher; ein warmer heller Schimmer lag darin, und es war nicht schwer zu errathen, woher dies Leuchten stammte.

„Dort liegt unsere Heimath, Cäcilie!“ sagte Runeck, indem er auf das Thal deutete. „Du freilich hast Odensberg nie geliebt – wirst Du es da ohne Ueberwindung ertragen, dauernd hier zu leben?“

„Wenn ich bei Dir bin! – Und das fragst Du noch?“ entgegnete die junge Frau mit leisem Vorwurf.

„Ja, bei mir, Deinem starren Egbert, der nicht einmal immer Zeit haben wird für Dich, wenn er erst wieder mitten in der Arbeit steht. Auf unserer Hochzeitsreise – da gehörte ich nur Dir allein, da konnten wir einen Märchentraum träumen, aber jetzt kommen die ernsten Arbeitstage mit ihren Pflichten und Sorgen und sie werden mich oft genug von Deiner Seite rufen. Wirst Du das auch verstehen, Cäcilie? Du hast dem allem bisher so fern gestanden!“

Er blickte mit einer gewissen Unruhe auf seine Gattin, aber er begegnete einem hellen frohen Aufleuchten ihrer Augen. „Nun, dann werde ich es wohl lernen müssen, Deine Sorgen und Pflichten zu theilen. Willst Du es mich lehren, Egbert? Aber was weißt Du denn von Märchenträumen, Du Mann der grausamen Wirklichkeit? Wo hast Du sie kennengelernt?“

Runecks Auge schweifte über die Waldberge, bis zu der fernen einsam aufragenden Felswand, von deren Gipfel im hellen Sonnenschein ein Kreuz herübergrüßte, das Wahrzeichen des Albensteins. „Dort oben,“ sagte er leise, „als der Wald um uns brauste und der Glockenruf aus der Tiefe emporstieg, O, es war eine schwere Stunde – eine furchtbare für Dich, mein armes Weib. Ich mußte Dich erbarmungslos aufschrecken aus Deinem ahnungslosen Glück und die bunte glänzende Welt, in der Du bisher gelebt hattest, in Trümmer schlagen, um Dir den Abgrund zu zeigen, an dem Du standest.“

„Schilt die Stunde nicht!“ bat Cäcilie, sich an ihn schmiegend. „Da bin ich aufgewacht, da habe ich sehen und denken lernen. Weißt Du, Egbert,“ – ein neckisches Lächeln verdrängte den Ernst in ihren Zügen – „ich habe dabei immer an die alte Sage von der Springwurzel denken müssen, die den Felsen spaltet, in dem die versunkenen Schätze ruhen. Du hast mir damals so hart und mitleidslos zugerufen: ‚Die Tiefe ist leer und tot, es giebt keine versunkenen Schätze mehr!‘ Und nun –“

„Nun bin ich selbst zum Schatzgräber geworden!“ ergänzte Egbert, indem er sich niederbeugte und in die dunklen feuchtschimmernden Augen seiner Frau blickte. „Du hast recht, in der Stunde gewann ich Dich trotzalledem.

Ich hob aus Nacht und Dunkel
Den goldnen Wunderschrein,
Und all das Schatzgefunkel
Und all das Gold ist mein!“ –

Es war einige Stunden später, der Empfang und die Begrüßung im Herrenhause waren vorüber, und während Cäcilie noch im Salon mit Maja und dem Grafen Eckardstein plauderte, trat Dernburg mit Runeck auf die Terrasse hinaus.

„Es war Zeit, daß Du kamst, Egbert,“ sagte er. „Der Direktor ist bei seiner jetzigen Kränklichkeit der Stellung nicht mehr gewachsen; er wollte schon vor Monaten seine Entlassung nehmen und hat sich nur bestimmen lassen, zu bleiben, bis Du an seine Stelle treten und die Leitung der Werke übernehmen könntest. Ich bin auch sehr froh, Cäcilie wieder im Hause zu haben, denn Maja werde ich nicht lange mehr behalten, Viktor spricht schon von der Hochzeit, er ist ganz berauscht von seinem Glück.“

„Aber Maja selbst zeigt noch nicht viel von bräutlichem Glück,“ warf Egbert ein. „Hat sie ihr Jawort gern gegeben?“

„Nein, gern nicht, aber doch aus freiem Willen. Und nun dies Wort einmal gegeben ist, wird es auch den düsteren Schatten verjagen, den Oskars Liebe und sein Tod über ihr Leben geworfen hat. Jetzt steht eine Pflicht zwischen ihr und jener Erinnerung, jetzt wird sie überwinden.“

„Und Graf Viktor wird ihr das leicht machen!“ ergänzte Egbert.

„Davon bin ich überzeugt. Er ist ja keine groß angelegte Natur wie“ – Dernburg streifte mit einem Seitenblick seinen Pflegesohn – „wie ein gewisser anderer, den ich eigentlich für Maja in Aussicht genommen hatte, aber dieser andere ist leider immer seinen eigenen Weg gegangen und seinem eigenen Starrkopf gefolgt, und so hat er es auch in der Liebe gemacht.“

„Du hast bisher nicht viel Freude gehabt an Deinem Sohn,“ sagte Egbert, mühsam seine tiefe Bewegung unterdrückend, „er hat sogar im offenen Kampfe gegen Dich gestanden; aber glaube es mir, Vater, ich habe am schwersten darunter gelitten, und jetzt gehört meine ganze Kraft Dir und Deinem Odensberg.“

„Wir können sie brauchen,“ erklärte Dernburg. „Ich fühle doch bisweilen das Alter und das Versagen meiner Kraft – wer weiß, wie lange sie noch ausreicht! Einstweilen trittst Du an meine Seite, und da denke ich, werden wir auf dem Boden gemeinsamer Arbeit den Ausgleich finden für alles, was noch trennend zwischen uns liegt. Wir haben ja darüber gesprochen, als Du aus Amerika zurückkehrtest.“

Egberts Auge begegnete voll und klar dem des Sprechenden. „Ja, und ich glaubte Dir die volle Wahrheit schuldig zu sein, als Du mich zur Leitung Deiner Werke beriefest. Von meiner einstigen Partei habe ich mich losgesagt für immer, aber nicht von dem, was Großes und Wahres in jener Bewegung liegt. Das bleibt für mich bestehen. Das werde ich vertreten und dafür werde ich kämpfen mein Leben lang.“

„Ich weiß es“, sagte Dernburg, ihm die Hand hinstreckend. „Aber auch ich habe gelernt in jenen schweren Tagen. Ich bin nicht mehr der alte Eisenkopf, der meint, er könne sich allein einer neuen Zeit entgegenstemmen. Freilich kann ich dieser neuen Zeit nicht mit offenen Armen entgegengehen; ich habe ein ganzes Menschenleben hindurch auf anderem Boden gestanden und kann mir nicht selbst untreu werden. Aber ich kann eine junge frische Kraft an meine Seite rufen, die emporgewachsen ist in der Gegenwart. Wenn ich dereinst Odensberg ganz in Deine Hände lege, dann Egbert führe Du die neue Zeit herauf, ich will es nicht hindern! Bis dahin aber für uns alle: Freie Bahn!“



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_387.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2023)