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verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Nr. 24.   1893.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Schwertlilie.

Roman von Sophie Junghans.
 (10. Fortsetzung.)
15.

Der Kanonikus von Wildenfels, der Verwandte und zur Zeit der Gastfreund des Oberjägermeisters von Nievern, war ein schöner großer blonder Mann von heiterem Angesicht. Er saß gut zu Pferde, auf seinem stattlichen brabanter Wallach, einem dunkel gefleckten Grauen, und es war ihm jetzt, da er das Jagdgewand trug, wenig Geistliches anzumerken, wenn nicht in der Neigung zu fleischiger Fülle, welche die ganze Gestalt und besonders das frisch geröthete Angesicht mit seinem Doppelkinn zeigte. Aber das that der Gefälligkeit der adligen Züge mit den scharfen Augen und der kräftig gebogenen Nase keinen Abbruch.

Ja, anziehende Männer waren sie beide, und der dunklere sehnigere Nievern wahrlich nicht minder als sein geistlicher Vetter. Sie hatten es auch wieder erprobt; hatten sie doch eine Reihe üppiger Feste hinter sich, zu welchen sich die Jagden gestaltet, die der Graf von Arlon zu Ehren seiner Nachbarin, der lebensfrohen Aebtissin von St. Truyden, abgehalten hatte. Jetzt zogen sie von Arlon gemächlich heim, das heißt nach Malmedy, wo der Domherr einen prächtigen Haushalt hatte. Das Gefolge, ein kleiner Trupp Berittener mit dem Jagdgeräth und dem Gepäck auf Saumrossen, hielt sich ein paar hundert Schritte hinter ihnen, so daß die beiden Herren in ihrer lauten Erörterung der genossenen Freuden ungestört waren.

Es ging auf den Abend und kühl strich aus Nordwesten der Wind über das Land, einen hohen Rücken, den nur hier und da Gehölz als Ueberrest früherer ausgedehnter Waldungen bedeckte. Das Wetter, zum Reiten gerade recht, hätte weit schlimmer sein dürfen, ohne den Herren etwas auszumachen. Hatte doch der Wirth zu Herve, ihrem letzten Rastort, zum Imbiß einen herrlichen alten Burgunder verschenkt – natürlich nur für solche weinkundige Gäste, wie es der Domherr und sein Anverwandter waren – und die Geister dieses Weines leuchteten noch aus den Augen wenigstens des Wildenfelsers, als er sie jetzt sorglos an dem von windzerrissenem düsteren Gewölk bedeckten Himmel hinschweisen ließ.

„Jetzt sage mir einmal ehrlich, Viktor,“ begann der Kanonikus, „welche von den Dreien ist es, die Dalhem, die de Wytt oder unsere gelbhaarige Venus, die Appenrode? Wenn Dir nicht dreifaches Erz die Brust umschließt, so kommst Du diesmal nicht unversehrt davon. Bei Gott, sie sind kühn, diese Schönen“ – er lachte bei der Erinnerung – „aber das lob’ ich mir. Soll ein Götterweib, wie die Dalhem, von uraltem Geschlecht noch dazu, dessen Männer stets stolz waren wie Lucifer, soll sie gleich einer Schäferin schmachten, wenn Deine hübschen Augen es ihr angethan haben, Du Glücklicher! Ha, wie sie beim letzten Bankett Dir den Becher brachte – wie sie sich zurückwarf auf ihrem Sitz, ein wenig weit vielleicht, aber diese Partie“ – er legte seine kräftige Hand breit vorn auf die Kehle; in Erinnerung an den weißen Hals der Dame, von der die Rede war – „bei Gott, die Kenner sollten wallfahrten zu so viel Schönheit.“

„O ja, sie ist vom Kopf bis zu den Füßen schön,“ sagte Nievern trocken. „Aber wie Du ins Zeug gehst! Gestattet denn das Deine alte Freundschaft für die blonde Grete?“

Unter diesem Namen ging niemand Geringeres als die Freiin Margarete de Wytt, auch Stiftsdame von St. Truyden, eine reife und vielerfahrene Schönheit, deren Gelübde und

Giuseppe Verdi.
Nach einer Photographie von A. Ferrario im Verlag von G. Ricordi u. Cie. in Mailand.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 389. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_389.jpg&oldid=- (Version vom 31.8.2021)