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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Da man nun aber doch die klassischen Werke der großen Dichter nicht ganz von der Bühne verbannen mochte, so wurden dieselben möglichst „zeitgemäß“ zugestutzt, wobei sie sich die elendesten Verpfuschungen und grausamsten Verstümmelungen gefallen lassen mußten. Corneille und Racine würden sich im Grabe umgedreht haben, wenn sie ihre Werke in dieser Zurichtung hätten sehen können. Ohne Rücksicht auf Sinn und Rhythmus des Verses waren in der Anrede nur die Worte „Citoyen“ und „Citoyenne“ gestattet, und wehe dem Schauspieler oder der Schauspielerin, die es gewagt hätten, gleichviel in welcher Rolle, ohne tellergroße Nationalkokarde aufzutreten!

Ueberhaupt war der Schauspielerberuf damals nicht wenig gefahrvoll. Einst wurde ein großer Theil des Personals der Comédie Française, oder genauer des Théatre de la Nation, in das Gefängniß La Force geschickt, weil es eine französische Bearbeitung des Richardsonschen Romanes „Pamela“ für die Bühne aufgeführt hatte und weil darin der Darsteller eines Lords mit dem Hosenbandorden geschmückt auf der Bühne erschienen war. Dieser Unvorsichtige rettete nur mit Mühe seinen Kopf, hauptsächlich, weil er ein sehr beliebter Schauspieler war.

Uebrigens waren die hervorragendsten dramatischen Künstler der Revolution, wenigstens in ihrem späteren Verlauf, nicht zugethan, wenn sie dies auch sorgfältig verbergen und die „Patrioten“ spielen mußten; denn sie sahen nur zu gut ein, daß bei der eingerissenen Verwilderung des Geschmacks auch ihre Kunst rettungslos von Stufe zu Stufe sinken mußte.

Vergebens suchten einzelne unerschrockene Schriftsteller dem Ungeschmack entgegenzutreten, so namentlich Laya, der, als der König bereits Gefangener im Temple war, noch die Kühnheit besaß, sein Lustspiel „L’ami de la loi“^ auf die Bühne zu bringen, das entschieden gegen die Anarchle gerichtet war und die republikanische Tyrannei für viel schlimmer erklärte als die königliche. Die royalistische Partei, so viel noch davon vorhanden war, jubelte und die „Patrioten“ schäumten vor Wuth. Die weiteren Vorstellungen wurden untersagt, aber, merkwürdig genug, nachdem der Verfasser an den Konvent appelliert und vor demselben mit glänzender Beredsamkeit sich selbst und sein Werk vertheidigt hatte, wieder gestattet. Nichtsdestoweniger wurde Laya bald darauf als des Royalismus verdächtig eingekerkert und sollte die Rettung seines Lebens nur dem Sturze der Schreckensherrschaft verdanken.

Zuletzt war die Furcht so hoch gestiegen, daß die Direktionen der Bühnen gar keine Stücke mehr zu geben wagten, in denen Könige und vornehme Personen vorkamen, und daß die Schauspieler, wenn sie ihrer Rolle gemäß etwas zu sagen hatten, was vielleicht politisches Mißfallen bei den Zuschauern erregen konnte, sich während des Spiels entschuldigten und das Publikum baten, ja nicht etwa zu glauben, daß sie das billigten, was sie auszusprechen genöthigt seien.

Bis zu welchem Grade sittlicher Verirrung man gelangt war, bewies die Beliebtheit des Stückes „Der Republikaner als Gatte“. Ein „Patriot“ entdeckt, daß seine – von ihm geliebte – Gemahlin ihrer Gesinnung nach eine Aristokratin ist, und hält es nun für seine Pflicht, sie dem Revolutionstribunal anzuzeigen, das ihr ohne weiteres den Kopf abschlagen läßt. Dies galt als der Gipfel republikanischer Tugend und wurde allabendlich stürmisch bejubelt.

Doch war man nicht bloß in Paris „patriotisch“ und wachsam. Die Stadtbehörde eines Städtchens der Franche Comté meldete eines Tages der Nationalversammlung, daß sie eine schöne große Frau gefangen genommen habe, die, was ihnen sehr verdächtig vorkomme, in einer Kutsche ohne Wappen reise und nur von einem Kammermädchen und einem großen, sehr impertinent aussehenden Lakaien, wahrscheinlich einem verkleideten Aristokraten, begleitet sei. In ihrem Wagen habe man eine erhebliche Summe in Gold, außerdem eine Art Scepter, eine Krone, einen Hermelinmantel und eine so kostbare Garderobe gefunden, daß man kaum länger daran zweifeln könne, die Unbekannte sei die Königin, welche nach der Schweiz auswandern wolle. Auf ihre Verwahrungen und ihren natürlich falschen Paß sei selbstverständlich nichts zu geben, und man bitte die hohe Versammlung um weitere Verhaltungsbefehle.

Diese lauteten dahin, daß man Madame Sainval, ein Mitglied der Comédie Française, nicht länger aufhalten solle, da sie sich verpflichtet habe, in Besançon eine Reihe von Gastrollen zu geben.

Erst mit der Wiederherstellung der Ordnung sollten auch die Pariser Theater aus ihrem tiefen künstlerischen Verfall allmählich sich erheben und zu ihren alten rühmlichen Traditionen zurückkehren.







Glockenklang.


Die Tage schweben mir morgens
so rosig vom Himmel herab,
Mit schwarzem Flore umwunden
sinken sie abends ins Grab.

5
Am Morgen hoff’ ich immer

Auf dich, mein junges Lieb;
Doch abends seh’ ich, daß alles
Nur Wunsch und Hoffnung blieb.-

Mein Herz klingt wie eine Glocke,

10
Es ist ihr Klang mein Lied;

Die Liebe ist der Glöckner,
Der an dem Strange zieht.

Die Glocke meiner Lieder
Ruft weit ins Land hinaus:

15
O komm zurück und weine

An meiner Brust dich aus!

O komm zurück - vergessen
Soll das Vergangene sein;
Schon stellte sich wieder der Frühling,

20
Der alte Bekannte, ein.


Nun soll uns Herz und Hände
Kein Hader mehr entzwein;
Wir wollen uns wieder küssen
Und lieben und glücklich sein.

  Richard Zoozmann.


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_415.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2021)