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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Der Glacéhandschuh.

Ein Bild aus dem deutschen Industrieleben.0 Von H. Lüders.

Es war ein kalter und rauher Maitag des verflossenen Jahres, wie er nicht selten in Norddeutschland vorkommt; eisige Regenschauer und heftiger Wind machten den Aufenthalt im Freien recht ungemüthlich, es wurde noch überall in den Wohnstuben geheizt. Das Wetter hatte es aber doch nicht verhindert, daß in dem kleinen vor dem Nordabhang des Harzes gelegenen Städtchen Osterwieck sich fast die gesamte Einwohnerschaft aufgemacht hatte, um an einem Begräbniß theilzunehmen, wie es so großartig und feierlich die kleine Stadt wohl noch nie gesehen hatte. Der gesamte Magistrat, die Geistlichen, die Beamten, Krieger-, Sänger- und andere Vereine betheiligten sich dabei, so daß ein Fremder wohl auf die Vermuthung hätte kommen können, daß hier vielleicht ein hoher Würdenträger begraben werde.

Dem war aber nicht so. Wohl schmückten den Sarg kostbare Palmwedel und Kränze, die in Mengen nicht bloß aus den großen Städten unseres Vaterlandes, sondern auch aus England und Italien hergesandt worden waren. Aber die Feier galt doch nur einem schlichten Manne, einem Manne der Arbeit in des Wortes edelster und schönster Bedeutung, der es durch Fleiß, Treue, Redlichkeit und unentwegtes Streben vom verwaisten armen Handwerkslehrling bis zu einem Fabrikherrn gebracht hatte, der weit über hundert Arbeiter in seinen Werkstätten beschäftigte und noch weiteren Hunderten von fleißigen Mädchenhänden in den ärmeren Gegenden unseres Vaterlandes, auf dem Erzgebirg, in den Vogesen etc. dauernd lohnende Thätigkeit verschaffte.

In der Welt der Arbeit sind dergleichen Erscheinungen vielleicht nicht so selten, wie man im allgemeinen annimmt: an kraftvollen, sich selbst heraufarbeitenden Naturen ist gottlob unser Vaterland noch nicht arm. Aber da gerade der Lebensgang dieses Mannes eine Zeit umsaßt, in welcher die alten Formen des Bürger- und Handwerkerlebens zusammenbrachen und die arbeitenden Kräfte der Herrschaft des Dampfes und zahlreicher Erfindungen im Maschinenwesen sich anschmiegen und beugen mußten, und da der Industriezweig, dem er sich gewidmet hatte, in Deutschland noch verhältnißmäßig jung und wenig entwickelt war, so wird es vielleicht dankbar aufgenommen werden, wenn ich eine kurze Schilderung von dem Leben dieses deutschen Handwerkers und damit im Zusammenhang von der Entwicklung eines deutschen Gewerbszweiges entwerfe.

Christian Behrens war der Sohn eines Handschuhmachers und im Jahre 1826 in demselben Orte, wo er begraben liegt, geboren. Der Vater starb schon vor der Gebnrt des Sohnes, und aus seiner Hinterlassenschaft blieben nach dem Verkauf des Häuschens und eines Ackerstückes für den Knaben nur wenige hundert Thaler übrig, die, wie das damals in jener Gegend Sitte war, auf dem Schlosse des Grafen von Wernigerode gegen einen geringen Zinsfuß sicher angelegt wurden. Die Mutter heirathete wieder, und der Knabe bekam eine ganze Reihe von Halbgeschwistern, eine Reihe, die viel zu lang war, als daß nicht gar bald die bittersten Sorgen und die größten Entbehrungen in der Familie um sich gegriffen hätten. Wenn es die Witterung erlaubte, mußte barfuß gelaufen werden, und was die Familie an Brennholz gebrauchte, mußte in Gestalt von trockenen Zweigen von den Bäumen des Waldes gebrochen und auf dem Rücken heimgetragen werden. Hätte es keinen Schulzwang gegeben, dann wäre wohl kaum an die Schule gedacht worden, und von Pflege und Förderung des Unterrichts im Elternhause ist wohl niemals die Rede gewesen.

In der Gerberei.

Mit dem vierzehnten Jahre mußte der Knabe natürlich in die Lehre, und zwar wurde er ohne Rücksicht auf Neigung oder Veranlagung das, was sein Vater gewesen war, ein Handschuhmacher, der sein Handwerk in vierjähriger qualvoller Lehrzeit in Wernigerode erlernen mußte.

Oft und viel hat er mir von jener Zeit erzählt, von den unerhörten Anforderungen, die an den verhältnißmäßig zarten Knaben gestellt wurden. Im Hochsommer mußte bis zur hereinbrechenden Dunkelheit, im Winter häufig bis zehn Uhr nachts und länger bei Lampenlicht genäht und gearbeitet werden. Daneben aber lag dem Lehrling noch eine Menge Pflichten in Haus und Küche ob, oft hatte er meilenweite Wanderungen zu der Kundschaft auf den Dörfern zu machen, ohne daß ihm jemals ein Wort des Lobes und des Dankes oder gar ein klingender Lohn zutheil geworden wäre. Die Erinnerung an jene Zeit erweckte noch während seines späteren Lebens immer eine gewisse Bitterkeit in ihm, und auf die zunftstolzen Handwerksmeister der alten Schule, die gar häufig in ihrem engen Kreise kleine Tyrannen waren, war er schlecht zu sprechen. Wenn er später in seinem großen Geschäftsbetriebe gar viele Lehrlinge zu tüchtigen, fleißigen Menschen herangezogen hat, so hat er das gethan, indem er von ihnen Eifer, Fleiß und Tüchtigkeit forderte, niemals aber zuviel verlangte und streng darauf hielt, daß ihnen außerhalb ihres Berufes keine Verpflichtungen aufgebürdet würden.

Die Mitte der vierziger Jahre war für unseren Freund die Zeit des Wanderns, wie es damals in der eisenbahnarmen Zeit noch weit mehr üblich war als heute. Das Felleisen auf dem Rücken, den Knotenstock in der Hand, durchzog er ein gut Stück Norddeutschland, namentlich die Mark, Preußen, Pommern und Mecklenburg; wo sich Arbeit fand, da wurde gearbeitet. Aber die Goldene Zeit des eigentlichen Handwerks war schon damals vorbei, und nicht selten hat Behrens an eine Thür klopfen müssen, um einen Zehrpfennig oder ein Stückchen trocken Brot zu erbitten. Innere Tüchtigkeit hat ihn vor allen Gefahren bewahrt, die für junge Leute in dem Wanderleben liegen; er erntete statt dessen Bereicherung seiner Menschenkenntnis, Erweiterung seines Blicks und vor allem körperliche Kräftigung und Abhärtung. Richtig genossene Freiheit und Ungebundenheit wirkt ja immer wohlthätig auf die Entwicklung des Menschen, das beweist das Wanderleben des jungen Handwerkers ebensogut wie das Studentenleben der akademischen Jugend.

Im Jahre 1846 trat Christian Behrens in den Militärdienst ein, den er in der altberühmten Festung und Handelsstadt Magdeburg abzumachen hatte.

Das Strecken der Felle.

Germ verweilte er in seinen Erinnerungen bei jener Zeit; für seine näheren Kameraden von damals hatte er sein Leben lang die wärmste Theilnahme, jeder, der ihn aufsuchte, und wär’ es der Aermste gewesen, fand bei ihm ein gastliches Haus. Da er an strenge Zucht und Entbehrungen gewöhnt war, so wurde ihm das Dienen verhältnißmäßig leicht, er wurde sehr bald Gefreiter und Unteroffizier und stand als solcher bei den Truppen, welche gegen den badischen Aufstand ins Feld gesandt wurden.

Mit der Rückkehr zu friedlichen Zeiten trat für den jungen Mann die Frage des Lebensberufes und der Selbständigkeit wieder in den Vordergrund. Das Handwerk, das er erlernt, hatte unter den Einflüssen der Mode und der auf Freiheit der Bewegung und schrankenlosen Entfesselung aller Arbeitskräfte hindrängenden Zeitströmung stark gelitten. Er mußte versuchen, sich selbst eine neue Bahn zu schaffen, und dazu war unser Freund ganz der Mann.

In jener Zeit befand sich, was Deutschland betrifft, die Glacéhandschuhfabrikation noch sozusagen in den Kinderschuhen. Das von Frankreich herüber gekommene Gewerbe wurde nur vereinzelt in großen Städten und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_435.jpg&oldid=- (Version vom 24.6.2021)