Seite:Die Gartenlaube (1893) 447.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Schulsparkassen. Deutschland kann sich rühmen die Erziehung des schulpflichtigen Kindes zur Sparsamkeit durch Einrichtung von Schulsparkassen zuerst angebahnt zu haben. Zu Apolda in Thüringen und zu Goslar am Harz bestanden Schulsparkassen schon vor 60 bis 70 Jahren, und in Thüringen und Sachsen, das Königreich inbegriffen, haben dieselben die größte Verbreitung gefunden. Und doch haben wir es, selbst wenn man die von Geistlichen und Lehrern verwalteten, auch Erwachsenen zugänglichen Pfennigsparkassen mitrechnet, höchstens auf etwa 3500 Schulsparkassen im ganzen Deutschen Reiche gebracht. Hier bleibt noch vieles zu thun übrig.

Betrachten wir das kleine Belgien. Schulsparkassen in größerem Umfang kennt man dort erst seit 1866. Heute zählt man 5451 Schulsparkassen. 219 708 Kinder haben darin die Summe von 4 516 945 Franken angelegt, d. h. also 20 Franken auf den Kopf wobei sich übrigens die Knaben vor den Mädchen und die Kinder industriereicher Gegenden vor denen mit Ackerbau treibender Bevölkerung rühmlich hervorgethan haben.

In Frankreich steht die Sache womöglich noch günstiger. Dort bestehen etwa 24000 Schulsparkassen, die von wohlmeinenden reichen Gönnern und von den Behörden aufs lebhafteste unterstützt werden.

Um die weitere Ausbreitung der Schulsparkassen in Deutschland zu fördern und ihr einen Mittelpunkt zu schaffen, hat sich bereits im Jahre 1880 ein „Verein zur Beförderung der Jugendsparkassen“ in Deutschland gebildet, dessen Vorsitzender gegenwärtig der Schulinspektor Pastor Senckel zu Hohenwalde bei Müllrose ist. Alle, die das gute Werk in irgend einer Weise unterstützen wollen, erhalten von dort Rath und Auskunft.


Wolfram von Eschenbach dichtet den „Parzival“ (Zu dem Bilde S. 433.) Unter den Werken, welche die mittelalterliche Blüthe unserer deutschen Litteratur hervorgebracht hat, steht der „Parzival“ Wolframs von Eschenbach mit in erster Reihe. Wolfram bezeichnet den Höhepunkt des sogenannten „Höfischen Epos“, das neben ihm noch in Hartmann von der Aue und Gottfried von Straßburg hervorragende Vertreter hatte. Aber während Hartmann die Klosterschule besucht und Gottfried gar eine umfangreiche gelehrte Bildung sich angeeignet hatte, die er in seiner Dichtung „Tristan und Isolt“ mit Geschick und Anmuth zu verwerthen wußte, verstand Wolfram, obwohl mit allerlei Kenntnissen in Astronomie , Naturgeschichte, Heldensage etc. ausgerüstet, doch nicht einmal die Kunst des Lesens und Schreibens. Er wurde erzogen wie damals die meisten Ritter, d. h. nur im Waffenhandwerk und in anderen ritterlichen Uebungen. Was er sonst lernte, das flog ihm mehr zufällig an.

Um so größer muß unser Erstaunen sein, wenn wir erfahren, daß es sich bei Wolframs „Parzival“ nicht einmal um eine selbständige Schöpfung seines Geistes, seiner Phantasie, sondern um eine wenn auch freie Uebersetzung aus zwei französischen Quellenschriften handelt! Wie soll man sich vorstellen, daß Wolfram den ungeheuren Stoff in sich aufgenommen und verarbeitet habe, der seine viele Tausende von Versen umfassende Dichtung erfüllt und der ihm keineswegs etwa von Jugend auf geläufig sein konnte? Da wir die eine seiner Quellen, das Werk des Chrestien de Troies, noch besitzen, so können wir gelegentlich wörtliche Anlehnung an die Vorlage feststellen ---- welch ein Gedächtniß müßte der Dichter gehabt haben, wollte man annehmen, daß er das ohne besondere Hilfe vermocht hätte!

Die Nachrichten über Wolframs Leben fließen sehr, sehr spärlich und sie gehen uns keine genaue Auskunft darüber, wie Wolfram zu Werke ging. Es bleibt der Phantasie überlassen, sich das auszumalen, und von diesem Rechte hat auch Franz Hein, ein jüngerer Karlsruher Künstler, Gebrauch gemacht, als er das schöne Bild entwarf, das wir in unserer heutigen Nummer wiedergeben, Im üppigen Grün eines Burggärtchens, an schwerem steinernen Tisch, sitzen drei Gehilfen des Sängers, zwei Mönche, ein alter und ein junger, als dritter im Bunde aber Wolframs holdseliges Töchterlein, dessen Spur man in des Vaters Dichtungen mehrfach entdecken zu können glaubt. Das Mädchen liest aus dem vor ihm aufgeschlagenen Buche - es muß wohl Chrestien de Troies sein - einen Abschnitt vor, dann hält sie inne, bis der Vater das Gehörte in deutsche Verse gefaßt und den schreibekundigen Mönchen in die Feder diktiert hat. So schreitet die Arbeit vor, Stück für Stück, und die hilfreichen Mönche lohnt von Zeit zu Zeit ein Trunk aus dem kühl gelegten Gebinde zu ihrer Seite für die willige Mitarbeit am Werke des Dichters.

Wolfram von Eschenbach ist in seiner Heimath so wenig vergessen wie sonst im deutschen Volke. Die Stadt Eschenbach in Mittelfranken hat sich daran gemacht, in ihren Mauern eine Wolframbibliothek zu gründen und ein historisches Festspiel zu Ehren des großen Mitbürgers zu veranstalten, der dort vor mehr als siebenhundert Jahren - man weiß es nicht genau, wann - das Licht der Welt erblickte, ebendort um das Jahr 1220 starb und in der Kirche Unserer lieben Frau begraben wurde.



Räuber in der Wüste. (Zu dem Bilde S. 441.) Bleiern schwer ruht die Mittagsgluth auf der Steinwüste, die am linken Ufer des Nil, nur durch einen 5 als 10 Kilometer breiten grünen Streifen von dessen belebender Fluth getrennt, von Kairo an nach Süden und Westen sich in unabsehbare Fernen verliert und an ihrem Rande gegen das Flußthal die Denkmäler einer um Jahrtausende hinter uns liegenden Kultur zeigt, unter denen die Pyramiden die Bewunderung und die Neugier der späteren Geschlechter wohl immer am stärksten gereizt haben. Mühsam bewegt sich durch die öde Gegend eine kleine Karawane, dicht verhüllt, um den Leib so gegen die brennenden Strahlen und den feinen Staub zu schützen. Von den beiden Männern trägt der eine die lange Steinschloßflinte lässig über den Rücken gelegt; der andere, weniger sorglos, hält sie vor sich, wie bereit, sie im Falle der Noth anzuwenden. Er hat recht. Denn Gefahr droht in der That. Vier dunkle, finster blickende Gesellen lauern auf einem Felsenvorsprung am Rande der Ebene in einer Höhle auf Beute; der aufgestellte Wächter hat die Heranziehenden gemeldet und nun sind drei von ihnen bereits mit den Vorbereitungen zum Ueberfall beschäftigt, während ein vierter eben aus der Höhle tritt. Zwei gegen vier - der Ausgang kann nicht zweifelhaft sein. Unsere Wanderer können froh sein, wenn sie das nackte Leben retten und die Ränder sich begnügen, die Waren, die sie führen, samt den Thieren ihnen abzunehmen. Vielleicht auch haben die wilden Burschen ein Einsehen finden, daß der Fang nicht fett genug sei, und lassen die Reisenden unbehelligt weiterziehen.

Glücklicherweise hat der Europäer nicht nöthig, sich durch das Bild, das den Vorgang in packender Weise zum Ausdruck bringt, gruselig machen zu lassen. In Aegypten im allgemeinen besonders aber in den Theilen, in die uns der Künstler hier versetzt hat, ist nach den übereinstimmenden Berichten derer, die das Land kennen, die öffentliche Sicherheit eine vollständige; die Autorität der ägyptischen Regierung ist allenthalben anerkannt, und man muß schon bis in die Grenzgebiete gehen, um mit einiger Aussicht auf Nichtanzweiflung von aufregenderen Erlebnissen denen zu Hause erzählen zu können. Der Künstler hat also offenbar in frühere Zeiten zurückgegriffen oder aber - und das ist ja sein gutes Recht - er hat uns ein Spiel seiner Phantasie vorgeführt. In jedem Falle hat er es verstanden, die des Beschauers mächtig anzuregen.




Die Abschaffung der zweiten Klasse in England. Die Entvölkerung der beiden oberen Klassen auf den englischen Eisenbahnen ist zur Thatsache geworden. Schritt für Schritt hat sich diese Revolution vollzogen; der Reisenden I. und II, Klasse wurden es immer weniger, die III. Klasse füllte sich immer mehr. Die englische Ostbahn beförderte z. B. in Prozenten

in der
I.
II.
III.
Klasse.
1871
" "
9,3 23,4 67,3
"
1881
" "
4,1 9,6 86,3
"
1891
" "
2,1 7,2 90,7
"

Um nicht ganze Wagen leer spazieren zu fahren, griff man zu dem einfachsten Mittel: man schaffte die II. Klasse ab. Dasselbe thaten die meisten übrigen Bahnen, die Mittellandbahn, die Bahn Manchester-Sheffield, die Lincolnshirebahn, die Chefhirelinie, die Nordbahn, die Nordbritische, die Caledoniabahn und andere, und nur im Londoner Vorortverkehr sowie im Verkehr mit gewissen Anschlußbahnen machte man der eigenartigen Verhältnisse wegen eine Ausnahme. So wird es voraussichtlich in nicht zu ferner Zeit in England nur noch zwei Wagenklassen geben, die I. Klasse für die ganz Reichen und die III. Klasse für alle, die sich dazu nicht rechnen, ein Verhältniß, das in Nordamerika schon längst besteht. England ist übrigens hier im engeren Sinne - den industriellen Theil von Schottland einbegriffen - zu verstehen. In Irland bilden die Einnahmen aus der Benutzung der II. Klasse nach wie vor einen wesentlichen Theil der Gesamteinnahmen und stellen sich rund um 12% günstiger als bei den englischen Bahnen.


Die Pleißenburg zu Leipzig (Zu dem Bilde S. 488.) Das älteste, umfangreichste und durch seine denkwürdigen Erinnerungen bemerkenswertheste Bauwerk der Stadt Leipzig die Pleißenburg, ist infolge Beschlusses der städtischen Behörde dem Staate abgekauft worden, um modernen Interessen zum Opfer zu fallen und durch Straßen und Häuser ersetzt zu werden. Der Abbruch der fast sieben Jahrhunderte alten Burg wird Leipzig einer weltgeschichtlichen Stätte berauben und der inneren Stadt ein wesentlich verändertes Aussehen geben. Es ist darum, ehe die altehrwürdigen Mauern vom Erdhoden verschwinden, wohl an der Zeit, etwas bei ihrem Bilde und ihrer Geschichte zu verweilen.

Das Schloß Pleißenburg wurde um das Jahr 1215 erbaut von Markgraf Dietrich, den die Geschichte den „Bedrängten“ nennt, während er eigentlich der „Bedränger“ heißen sollte. Die Bürger und der mit ihm verbündete Landadel waren gegen den Markgrafen aufständisch geworden, deshalb legte er an drei Stellen der Stadt Zwingburgen an. Zwei wurden bald nachher wieder geschleift und die Stätten Dominikanern und Franziskanern zur Errichtung von Klöstern überlasten. Die Pleißenburg blieb zum Schutze der Stadt bestehen. Ueber dreihundert Jahre lang war ihr eine friedliche Existenz beschieden denn in den Landeskriegen des 13., 14. und 15. Jahrhunderts blieb sie von Feindesmacht unberührt. Dagegen wurden in dem Schloß viele in ihren Folgen zum Theil berühmte Landtage abgehalten, wichtige Staatsaktionen vollzogen und während der Reformationswirren denkwürdige Versammlungen veranstaltet, darunter die berühmte Disputation zwischen Luther und Eck, die den Wittenberger Mönch zum Schweigen bringen sollte, aber gerade das Gegentheil bewirkte.

Die erste bekannte Belagerung der Pleißenburg erfolgte 1547 durch Kurfürst Johann Friedrich den Großmüthigen im sogenannten „Schmalkaldischen Kriege“. Der Kurfürst mußte unverrichteter Sache abziehen, aber die Pleißenburg war durch seine Kartaunen fast in Trümmer geschossen worden. Es erstand daher in den Jahren von 1540 bis 1558 ein Neubau und Baumeister war niemand anders als Hieronymus Lotter, der Bürgermeister von Leipzig ein in der Architektur wohlerfahrener Mann, der fast zu gleicher Zeit auf Befehl des Kurfürsten August das große Jagdschloß Augustusburg bei Chemnitz hat errichten müssen. Als Vorlage für den Bau der Pleißenburg wählte Hieronymus Lotter das damals im neuesten Befestigungssystem errichtete Kastell zu Mailand, mit einer ganzen Bastion nach aussen und zwei halben Bastionen nach innen, wie sie der Unterbau noch jetzt zeigt. Auf dem hohen starken

Thurme befanden sich fünf Böden mit Geschützen, die Spitze der äußern

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_447.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)