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verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Nr. 27.   1893.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Schwertlilie.

Roman von Sophie Junghans.
 (13. Fortsetzung.)
18.

Die Schwester Veritas hatte im Sprechzimmer des Klosters den Besuch des hochwürdigen Pater Gollermann. Der Jesuit hatte soeben von ihr den Bericht über ihre letzte Unterredung mit Polyxene von Leyen erhalten. Die Nonne, mit ihrer ausdruckslosen Sprechweise, schien dem gezwungenen Gaste des Hauses weder zu Liebe noch zu Leide reden zu wollen, aber das Ergebniß dessen, was sie mittheilte, war doch: von bußfertiger reumüthiger Verfassung sei bei dem Fräulein noch im geringsten nichts zu merken. Und daher scheine sie auch weit davon entfernt, durch ein Geständniß des Antheiles, den sie an dem Verschwinden ihres Vetters gehabt, den Erwartungen zu entsprechen, welche man um ihres Seelenheiles willen bei ihrem Eintritt in dies geistliche Haus gehegt habe.

Der hochwürdige Herr hatte schweigend zugehört, ohne daß sein langes Gesicht den gewohnheitsmäßigen Ausdruck der Milde verloren hätte. Jetzt seufzte er ein wenig oder vielmehr, er holte einen tiefern Athemzug, wie man etwa thut, wenn man Schwierigkeiten vor sich sieht. „Diese junge Person wird schwer zu beugen sein unter die Zuchtruthe des Herrn,“ murmelte er. „Wir dürfen der Nachsicht nicht müde werde, aber auch nicht ablassen – mit heilsamen Mitteln, bald des Zuspruchs, dann auch wieder gänzlicher Enthaltung von demselben. Die Abgeschiedenheit – ich meine die völlige“ – hier richtete er die Augen, was nur ausnahmsweise geschah, gerade auf die der Nonne – „ohne jede Unterbrechung durch Gottesdienste und dergleichen wirkt oft mehr als die liebevollste oder strengste Vermahnung.“

„Das Fräulein verläßt die Zelle nicht mehr,“ sagte darauf Schwester Veritas, den Blick zurückgebend, so daß nun gewissermaßen ein zweiter Verständigungsweg neben dem, den das gesprochene Wort bildete, hergestellt war. „Sie erhält ihre Kost durch den Schieber, sieht niemand von den Schwestern und hat keinen Verkehr mehr mit irgend einem. Auch ich habe mich enthalten, mich ihr zu zeigen.“

Der Pater Gollermann schob die beweglichen Lippen übereinander und lachte leise. „Und auch diese Absonderung hätte noch keine heilsame erschütternde Wirkung gehabt?“

„Bis jetzt keine,“ sagte die Nonne. „Im Gegentheil, das Mädchen ist wild und rastlos. Davon, daß sie die ihr vorgeschriebenen Uebungen vornähme, habe ich, wenn ich sie belauschte oder belauschen ließ, nichts vernommen. Sieht man sie beten, so ist es nicht in der Weise, die unsere heilige Kirche vorschreibt, sondern nach Art der Schwärmer und Neuerer. Vielleicht aber auch, daß dann wenn sie so wild die Arme emporwirft, die Gewissensangst aus ihr spricht,“ fügte die Nonne hinzu. Dabei sah sie den geistlichen Herrn nicht an, wohl aber streifte sein forschender Blick ihr nichtssagendes Antlitz. Es war bezeichnend, daß diese beiden sich absichtlich nie voll verständigten, darüber zum Beispiel nicht, ob die unglückliche Polyxene denn ohne einen Zweifel für schuldig an dem schnöden Morde zu halten sei. Dieser Punkt wurde nie berührt. Und das war auch nicht nöthig, weil ein anderer feststand:

Aus den Gärten Wiens: Der Augarten.
Originalzeichnung von W. Gause.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 449. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_449.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2021)