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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

daß man sich hier durchgängig den Anschein zu geben habe, als sei sie es.

Jetzt begann der Pater Gollermann wieder: „Ja, diese übermüthige Jugend widerstrebt, so lange sie kann, dem Heile, das in der Zerknirschung und Buße liegt, aber wir dürfen nicht nachlassen. Ich habe es von guter Hand: dem milden Herzen unserer gnädigen Frau Pfalzgräfin wäre nichts erwünschter, als wenn ein freiwilliger Eintritt in die Gemeinschaft Eueres Hauses, Schwester Veritas, den Makel auslöschte oder in Vergessenheit brächte, der sonst von jetzt ab an jenem altadligen Namen haften würde. Wie gesagt, wir dürfen nicht müde werden. Was ich fragen wollte: die Zelle ist doch gesund, in der das Fräulein untergebracht ist? Ich meine“ – mit einem raschen Blick – „sie bleibt bewohnbar ohne Nachtheil für die Gesundheit auch in der rauhern Jahreszeit?“

„Der hochwürdige Herr meint, ob es dort nicht zu kalt werde? Im Gegentheil,“ erwiderte die Nonne und sah nun ihrerseits den Pater Gollermann fest an. „Der Schornstein der Bäckerei geht hindurch, nebenan liegen unsere Räucherkammern. Da kann es kommen, daß nicht die Kälte, sondern Hitze und Dunst in dem Raume lästig werden für einen, der allzu zart gewöhnt ist. Aber Hochwürden können ruhig sein: gestorben ist daran noch keines, wenn je einmal das Gelaß, welches deshalb sonst leer steht, besetzt werden mußte.“

„Es ist wohl keine andere Zelle frei?“ warf Pater Gollermann hin.

„Nein, keine,“ sagte die Nonne. „So lange dies Fräulein uns durch ihren Mangel an Bußfertigkeit nöthigt, sie abgesondert zu halten, wird sie, fürcht’ ich, dort verbleiben müssen, auch wenn die Wand heiß wird.“

„Nicht zu heiß aber,“ mahnte Pater Gollermann mit Bedeutung.

„Sorgt nicht,“ beruhigte ihn die Nonne, wieder einmal die Lider von den farblosen Augen hebend. „Und wird dem Fräulein das Verweilen dort allzu beschwerlich, so dürfen wir vielleicht hoffen, sie alsdann fügsamer zu finden, zum Vortheil ihrer Seele.“

*  *  *

Sowie Herr von Nievern aus dem Gemach der Méninville gekommen war, hatte er, der in einem entfernten Nebenflügel des Schlosses, dem sogenannten Kavalierhaus, wohnte, sein Pferd satteln lassen und war hinaus zur Herrenmühle geritten. Es drängte ihn, mit dem einzigen Menschen zu reden, der Polyxenen von Rechts wegen ein Schutz sein konnte. Wäre dieser eine, dachte er unterwegs, doch nur ein anderer als gerade jener alte Sonderling gewesen!

Der Oberjägermeister war nun in der Gegenwart des Obersten, in dessen Bücherei. Und er fand den Alten, wenn auch trocken genug, so doch traktabler, als er gedacht hatte.

Herr von Gouda hatte den stattlichen Hofherrn zuerst wunderlich angesehen, als er erfuhr, daß der Gegenstand seines Besuches die junge Polyxene war. „Zunächst einmal: was verschafft meiner Mündel diesen besondern Antheil von Euch, Herr Oberjägermeister?“ hatte er gleich zum Beginn mit seiner gleichmüthigen Stimme gefragt.

Der Kavalier hatte eine leichte Verwirrung bei dieser Frage überwunden und dann mannhaft geantwortet: „Nehmt an, Herr Oberst, es sei der Antheil eines Mannes von Ehre am Schicksal einer schutzbedürftigen Unschuld.“

Herr von Gouda neigte ein wenig den Kopf. „Ich will mir daran genügen lassen, Herr von Nievern, und Euch zugleich ein anderes nicht verhehlen: hättet Ihr eine andere Art von Theilnahme für meine junge und, wie ich nicht leugnen mag, dem Auge wohlgefällige Nichte, so würde dies wahrscheinlich nur zur Verwirrung ihrer Angelegenheit dienen. Ihr sollt Euch des Mädchens schon einmal gegen eine üble Laune unserer Pfalzgräfin öffentlich angenommen haben, und Kundige wollten es glaublich finden, daß durch diesen Vorfall dem Kinde Neider und Feinde erweckt worden seien.“

Nievern biß die Zähne aufeinander; die Worte des wunderlichen Mannes trafen ihn. Von einer großmüthigen Laune hatte er sich damals treiben lassen und sich nicht um die Folgen gekümmert. Wenn er damit nun wirklich in das Geschick des armen jungen Geschöpfes zum Unheil eingegriffen hatte! „Haltet mich für einen redlichen Freund Eueres Mündels und sagt mir alles, was Ihr wißt!“ konnte er hierauf nur um so ernstlicher bitten.

Der Oberst hielt auch nicht zurück. „Ich bin etwas von einem Menschenkenner und ich traue Euch,“ sägte er und nickte dem jüngeren Manne zu.

Herr von Nievern erfuhr nunmehr, daß der Vormund Polyxenens etwas wenigstens schon gethan habe: festgestellt nämlich, wie der Ursprung jenes unsinnigen Gerüchtes – so nannte es der Oberst, wofür der Herr von Nievern von Stund’ an lebenslang sein Freund wurde – nirgends anders als im pfalzgräflichen Schlosse selber und zwar in der nächsten Umgebung der Fürstin zu suchen sei.

„Dieses Weib also wirklich,“ murmelte der Oberjägermeister, wobei er despektierlicherweise die fromme Frau von Méninville meinte. „Oder – –“

„Die geistlichen Herren soll einer freilich nicht auf seine Fährte bringen, wenn ich mich so ausdrücken darf, und das hat die Polyxene gethan,“ fuhr der Oberst fort. „Habt Ihr überhaupt etwas über die ihr zur Last gelegten Delikte vernommen, so wißt Ihr auch, daß sie in den Augen der Kirche jetzt ein räudiges Schaf ist, weil sie sich der Ansteckung durch die Pest der Ketzerei ausgesetzt hat.“

Der Oberjägermeister zuckte die Schultern mit einer sprechenden Gebärde der Geringschätzung für diese Beschuldigung. Herr von Gouda hob warnend den dürren spitzen Finger. „Mißachtet diese Anklage nicht: ich glaube, sie ist allerdings der Kern der Sache. Jener andere abenteuerliche Verdacht –“

„Ist vielleicht nur ein schändliches Werkzeug, um das Fräulein zu schrecken und gefügig zu machen!“ fiel, als der Oberst überlegend stockte, der Herr von Nievern hastig ein. Bei aller siedenden Empörung, die er schuf, führte der Gedanke doch auch ein Etwas von Erleichterung mit sich.

Herr von Gouda gab zu, daß ihm Aehnliches auch schon durch den Kopf gefahren sei. Die beiden Männer wechselten noch eine gute Weile ernsthafte Rede und Gegenrede, aber besser zu Muthe war beiden am Ende dadurch nicht geworden. Es war, wie wenn ein Netz des Unheils über die unglückliche Polyxene geworfen worden wäre. Schien dasselbe hier lächerlich lose und leicht zerreißbar, so hingen sich dafür seine Maschen an anderer Stelle schnürend und lähmend fest, und so wußte man kaum, wo angreifen zur Rettung.

Frei mußte das Mädchen ja wieder werden, sie mußte – das schwur sich Nievern innerlich. Und was wäre ihm bisher im Leben mißlungen? Wie kam es aber dann, daß ihn bisweilen eine heiße Angst um sie packte, eine Empfindung, die der stolzen Sorglosigkeit seines Wesens so neu war? War es, weil hier die Jesuiten im Spiele waren, die besten Bundesgenossen und zugleich die zähesten und gefährlichsten Gegner, die ein Mann – oder ein Weib – haben konnte? Nievern nagte düster vor sich hinstarrend an der Unterlippe. Sollte er mit diesen Schwarzröcken jetzt kämpfen und gar am Sieg zweifeln müssen? Wie, wenn man den weltlichen Arm, die Justiz, gegen sie aufrief wegen Freiheitsentziehung? – Ziemlich aussichtslos, wie das auf der einen Seite war – denn die Väter waren vorsichtig und hatten sich meist den Rücken durch Vollmachten und Licenzen gedeckt – erschien es andererseits nicht einmal ohne Gefahr für Polyxene selber. Wer den schnöden Giftstaub jenes Verdachtes gegen sie zuerst in die Luft geblasen hatte, der würde auch den Weg finden zu dem anfangs freilich harthörigen Ohre der Justiz. Und war deren schwerfälliger Apparat erst einmal gegen Polyxene in Bewegung gesetzt, dann würde diese so schlimm dran sein wie jetzt, wenn nicht schlimmer.

Das alles erörterten die beiden Herren in sorgenvollem Wechselgespräch. „Und auf den armen Junker sind wir noch gar nicht gekommen,“ rief endlich der Oberjägermeister, „und was Euch von seinem Verschwinden dünkt, Herr Oberst!“

Dieser zuckte mit den spitzen Schultern. „Ich weiß nicht, wohin der Schlingel gerathen sein mag,“ sagte er trocken. „Es wird zur Zeit noch nach ihm geforscht ... man ist von seiten des Vormundes nicht müßig gewesen, Herr.“

„Das klingt nicht, als glaubtet ihr an ein Unglück!“ sagte Nievern lebhaft. „Käme der Junge wieder zum Vorschein – welcher Schlag ins Gesicht jener niederträchtigen Verdächtigung!“

Dazu meinte Herr von Gouda mit seinem unbewegtesten Gesicht: „Er braucht nicht im Mühlkanal zu liegen und es kann doch lange währen, bis er wieder zum Vorschein kommt ober Kunde von ihm, allzu lange für uns. Wenn er über die Grenze zu den holländischen Werbern gelaufen ist, so schifft er vielleicht jetzt auf einem ihrer Dreidecker nach Indien.“

„Heimlich davongegangen?“ Der Oberjägermeister runzelte die Brauen. „Solches Leid hätte er freiwillig über Fräulein Polyxene gebracht? Und sie war ihm doch wie eine liebe Schwester!“

„Sie glaubt es auch nicht,“ gab der Vormund zu. „Aber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 450. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_450.jpg&oldid=- (Version vom 30.10.2020)