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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

In Anbetracht dieser Thatsachen stellte die wohlbekannte Fabrik ätherischer Oele von Schimmel und Komp. in Leipzig im Jahre 1884 Versuche an, ob es nicht gelingen würde, in Deutschland aus deutschen Rosen ein gleich gutes Rosenöl wie das bulgarische zu gewinnen. Die mit Sachkenntniß und mit vorzüglichen Apparaten unternommenen Arbeiten wurden von den besten Erfolgen gekrönt; das deutsche Rosenöl übertraf sogar das türkische, es ist ihm nicht nur an Feinheit, sondern auch an Stärke und Nachhaltigkeit des Wohlgeruchs überlegen unb es erzielte auf dem Markte höhere Preise als das türkische. Infolgedessen ward der Beschluß gefaßt, die im Eingang zu diesem Artikel erwähnten Rosenpflanzungen bei Klein-Miltitz anzulegen, und soeben ist inmitten der Rosenfelder eine besondere Fabrik zur Herstellung der Rosenspezialitäten – Rosenöl, Rosenwasser und Rosenpomade – errichtet worden. Wir haben hier eine Musteranstalt in vollem Sinne des Wortes vor uns. Bei der Einrichtung war das Hauptaugenmerk darauf gerichtet, daß jede Aufstapelung von gepflückten Rosen vollständig vermieden werde. Die Rosen wandern sofort, nachdem sie gepflückt sind, in die Apparate und geben infolgedessen ihren Duft in vollster Frische und Feinheit ab. Diesem wichtigen Umstand ist sonst nirgends gebührend Rechnung getragen. In der Türkei z. B. kommen die früh gepflückten Blüthen theilweise erst am Abend zur Destillation, und auch in Südfrankreich lagern die Blüthen, haufenweise aufgeschüttet, oft viele Stunden, bis die Verarbeitung beginnt. Da die neue Miltitzer Fabrik mitten in den Rosenfeldern liegt, so werden hier stets nur so viel Rosen gepflückt, als im Augenblick gebraucht werden, und es vergehen thatsächlich nur wenige Minuten, bis die Rose vom Stock in den Apparat gelangt. Die augenblicklich vorhandene Anlage zur Destillation von Rosenöl ist so umfangreich, daß in ihr täglich bis zu 50000 Kilo Rosen verarbeitet werden können, und doch sind Vorkehrungen getroffen, um dieselbe jeder Zeit mit Leichtigkeit verdoppeln zu können.

Die Menge des erzeugten deutschen Rosenöls war in den ersten Jahren nicht groß; 2 und 4,5 kg waren die ersten Posten. Die Ausbeute wuchs jedoch von Jahr zu Jahr; jetzt sind die Rosenpflanzungen in bester Entwicklung und man rechnet auf größere Erträge. Selbstverständlich hängt alles von der Rosenernte ab, und diese wird durch die Witterungsverhältnisse bedingt; bei nicht zu heißer Witterung während der Blüthezeit wird man hoffentlich von den Leipziger Rosen gegen 40 kg Rosenöl gewinnen können. Das ist noch wenig im Vergleich zu dem, was Kasanlik in die Welt sendet, aber ein Fortschritt ist unverkennbar.

Wir schließen damit unsere Auszüge aus der alten und langen Geschichte des Rosenduftes. Ehe wir von Miltitz scheiden, werfen wir noch einmal einen Blick auf die blühenden Rosenfelder und das emsige Treiben in den weiten Räumen. Wir verstehen jetzt besser, was hier erreicht worden ist, und wir nehmen unsern Vergleich nicht zurück: es ist wahr, die Schlachtfelder Leipzigs sind eine neue Wahlstatt geworden, auf der deutscher Geist und deutsche Arbeit einen glänzenden Sieg errungen haben. C. Falkenhorst. 



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Der Sänger.

Roman von Karl v. Heigel.
1.0 Die blaue Grotte.

Siegfried Leisewitz ist unbestritten der größte Opernsänger der Gegenwart. Daß Sie auf Ihren Reisen nie von ihm gehört haben, wundert mich. Freilich, so weit da unten – am Kap Horn oder – hm, ja – und dann waren Sie immer mit Seeschnecken, Tintenfischen und so weiter beschäftigt, mit der Flora und Fauna wilder Paradiese. Beiläufig, Sie sprachen gestern von einem Vogel, dessen Eier feiner als unsere Kiebitzeier schmecken – wie heißt er?“

„In den Pampas Teru-tero, nach seinem Rufe; sein lateinischer Name ist vanellus cayanensis.“

„Sie schütteln die lateinischen Namen nur so aus dem Aermel! Ja, ja, Sie waren schon auf dem Gymnasium ein guter Lateiner. Und ist die Milch einer frischen Kokosnuß wirklich so köstlich? Doch da sind wir – sind wir auf Tahiti, wenn ich nicht irre. Und ich wollte Ihnen von unserem Eiland erzählen. Denn der Wohnsitz Ihrer Hoheit ist eine Insel inmitten einer unruhigen, brüllenden See.“

Der dies sprach, war Herr von Aschau, Hofmarschall der Prinzessin Erna; der ihm gelassen zuhörte, war Felix Walter, der neue Arzt Ihrer Hoheit. Sie saßen auf japanischen Porzellansitzen, unter einem japanischen Schirm, auf dem Rasen zwischen Schloß und Park. Wenn die Gebieterin, die leidend war, allein speiste, fand die Tafel für ihren kleinen Hofstaat um sechs Uhr abends statt. So war es auch heute gewesen. Zum Kaffee hatte Herr von Aschau den Hofmedikus ins Freie geladen. Er und Walter hatten zusammen das Gymnasium besucht, dann aber sich aus den Augen verloren und erst seit wenigen Tagen die Bekanntschaft erneuert . . . Der Hofmarschall rauchte eine Cigarette und schlürfte den Kaffee langsam und in großen Pausen. Auf der geschweiften Marmortreppe, die das bräunliche Schlößchen wie ein weißer Kragen umgab, stand ein Lakai und blickte den breiten Baumgang hinab. Denn zu dieser Stunde pflegte der Landesfürst seine tägliche Spazierfahrt mit einem Besuch der Tochter zu schließen. Seine Hoheit verließ dann den Wagen in einer Straße, die längs der Rückmauer des Parkes lief, und kam durch den Baumgang „unverhofft“ ins Schloß. In kleinen Schwachheiten verräth sich oft eine große Zärtlichkeit.

Das „fürstliche Jagd- und Lusthaus Solitude“, das außer einem Prachtsaal nur etwa ein Dutzend Wohnzimmer enthielt, war im üppigsten Rokokostil einst auf freiem Felde erbaut worden, jetzt stand es im Straßennetz einer bevölkerten Vorstadt. Doch wie die Stadt sich erweitert und vergrößert hatte, waren auch die Baumpflanzungen auf Solitude gediehen. Aus dem abgezirkelten Ziergarten war ein englischer Park geworden, dessen Baumgruppen der Nachbarschaft das Schloß und den Schloßbewohnern die Außenwelt verbargen.

Der Tag, ein wolkenloser Junitag, ging zu Ende; ein warmer Goldton lag auf allem. Die Rosen, deren es auf jedem freien Plätzchen eine Menge gab, erfüllten die Luft mit Wohlgeruch. Das Geräusch der großen Stadt war hier nicht aufdringlich.

„Unter uns gesagt,“ fuhr Aschau fort, „der gegenwärtige Leiter der Hofbühne ist nicht schneidig genug. Auf meine Anregung ist Leisewitz für unsere Oper gewonnen worden. Die Prinzessin, die für Musik schwärmt, war über den Erfolg der Verhandlungen entzückt. Da sieht sie kurz vor der Ankunft des Sängers sein Bild – und der Mensch mißfällt ihr. Denn anders weiß ich ihr räthselhaftes Verhalten nicht zu erklären. Der Sänger tritt auf, und sie bleibt dem großen Ereigniß dieses Winters fern. Ihr Papa, unser gnädigster Fürst, der Hof, die Stadt, wir alle sind begeistert; die Prinzessin hört uns über Leisewitz, liest die Zeitungen über Leisewitz, aber besucht keine Oper. Der Sänger wird ihr in einem Wohlthätigkeitsbazar vorgestellt, sie unterhält sich mit ihm aufs huldvollste, spricht von seinem Weltruhm und so weiter, aber vermeidet nach wie vor die Oper. Der Mann fühlt sich gekränkt, klagt über das rauhe Klima und meldet sich unpäßlich. Seine Heiserkeit versetzt die Stadt in tiefere Bestürzung als alle trüben politischen Nachrichten. Hoftheaterintendant von Sporn wendet sich an mich – wir entwerfen für die Sommerferien einen Kriegsplan. Da kommt uns die Prinzessin selbst zuvor. Leisewitz soll vor ihr singen, der Fürst überrascht werden und so weiter. Die Nachricht läßt den Sänger sofort genesen, und so werden Sie heute abend – Sie wie die Prinzessin zum ersten Mal – unsern ,Schwan‘ singen hören!“

„Macht die Laune der Prinzessin öfter solche Sprünge?“

Der Hofmann, der eine zarte weiße Haut hatte, wurde dunkelroth. „Mein lieber Doktor, Sie besaßen schon auf dem Gymnasium eine erstaunliche Aufrichtigkeit, und im Umgang mit Yankees und Indianern scheinen Sie nicht – vorsichtiger geworden zu sein.“

Wir zwei brauchen doch einander nichts weiszumachen, wir sind keine Auguren. Wenn ich hier nützlich werden soll, muß ich die Wahrheit wissen. Warum zum Beispiel ist unsere Prinzessin schwermüthig?“

„Ist Hoheit nicht lungenleidend?“

„Ah bah, ein Emphysem, mit dem man hundert Jahre alt werden kann! Sie ist schön, geistvoll, gemeine Sorgen sind ihr

unbekannt, die Ihrigen tragen sie auf den Händen – wo also liegt der Grund zur Schwermuth? Und mir knüpft sich eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 460. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_460.jpg&oldid=- (Version vom 21.7.2022)