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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

andere Frage daran: warum hat Prinzessin Erna nicht geheirathet? Sie wird kaum zehn Jahre jünger sein als wir.“

„Die Umstände waren für Hoheit in ihrer ersten Jugend nicht günstig; es gab keine passende Partie für sie. Dann verordneten die Aerzte der Zarten einen ländlichen Aufenthalt im Süden, und unsere durchlauchtigste Fürstin zog mit ihrer Tochter an den Gardasee. Und nun kam eine unglückliche Zeit für die Prinzessin. Ihre Mutter fiel in eine schwere Krankheit – starb. Seitdem neigt Hoheit zur Einsamkeit. Sie kann sehr heiter sein, doch im großen und ganzen – hier – aber ist es denn möglich? Der selige Hofrath – er hätte Ihnen nichts mitgetheilt? Keine Rathschläge, keine Winke gegeben?“

„Nichts. Ich habe auf der Hochschule seine Vorlesungen gehört; später war ich ein paar Jahre lang Hilfsarzt in seiner Klinik. Herzlich sind wir uns niemals näher getreten. Dann schloß ich mich der Expedition Mr. Lloyds an. Zum Briefschreiben hatte ich während unserer Reisen keine Zeit. Als ich nach fünfjähriger Abwesenheit vor kurzem hierher zurückkehrte, kam ich mir wie ein Fremdling vor. Indes, dem alten Hofrath wollte ich meinen Besuch machen, wurde aber nicht angenommen; der Aermste lag im Sterben. Mit dem Ordnen meiner Sammlungen Tag und Nacht beschäftigt, erhielt ich die Nachricht von seinem Tode und gleich darauf die überraschende Mittheilung des Hofmarschallamtes, daß der alte Herr zu seinem Nachfolger mich empfohlen habe. Ich stand auf dem Markt und war glücklicherweise im Besitz eines Frackes. So stellte ich mich denn Seiner Hoheit vor und so kam ich zu Amt und Würden wie der Blinde zum Schützenpreis.“

Aschau nickte. „Auch ich war – natürlich angenehm – überrascht. Sind Sie doch dem Seligen in keinem Stück ähnlich. Er war bedächtig, zurückhaltend, fast schüchtern. Schüchtern sind Sie meines Wissens nie gewesen.“

„Niemals!“

„Auch in der Erscheinung sind Sie so vollständig anders als der Hofrath – vom Alter ganz abgesehen. Er war klein, schwächlich, farblos. Sie sind groß und breitschulterig, braun, bärtig, ein Gewaltmensch. Aber lassen wir die Vergleiche! Gleichviel wie Sie hierhergekommen – Sie sind nun hier, und, wie gesagt, ich freue mich dessen ungemein. – Also Mitte Juli brechen wir nach der großen Seestadt Wörde auf? Ist Ihnen Wörde bekannt?“

„Nur vom Hörensagen und aus Fachberichten. Ein unbedeutendes Städtchen, aber in hübscher und gesunder Lage. Uebrigens lebt unser Landsmann und Schulfreund Lenz dort als Kapellmeister.“

„Lenz, Lenz – ich erinnere mich nicht.“

„Was, Sie erinnern sich des ‚armen Robert‘ nicht, des guten sanften, etwas einfältigen Robert?“

„Nein, wirklich nicht. Aber wenn es in Wörde einen Kapellmeister giebt, ist auch eine Kapelle dort. Wir werden also nicht nur Hausmusik, sondern sogar Konzerte haben. Unser herrlicher Leisewitz nämlich verbringt seinen Urlaub ebenfalls in Wörde. Eine Kriegslist von uns –“

„Ich will Seeluft, Seebäder für die Prinzessin – keine Musik!“

„Keine Musik?“ rief Aschau erschrocken. „Das setzen Sie nicht durch! Unsere Gebieterin, wir alle leben und weben in der Kunst! Uebrigens ist mir nicht bange. Wenn Sie ihn erst singen hören, unseren Leisewitz – heute abend, im Palmenhaus sprechen wir uns wieder!“

„In der blauen Grotte –“

„Wissen Sie auch schon davon? Maler und Techniker mußten auf Befehl Ihrer Hoheit ganz im geheimen wirthschaften. Für die blaue Grotte kann ich also in keiner Weise einstehen, aber vom Sänger bin ich überzeugt, daß er Sie bezaubern wird! Achtung – der Lakai verläßt seinen Posten; unser gnädigster Fürst ist angekommen.“ Er stand auf und gab dem Diener die leere Tasse. „Beiläufig, lieber Doktor, wenn Ihnen an der Freundschaft der Contessa Casasola liegt, so müssen Sie für die italienische Oper alten Stiles schwärmen, und wenn Sie es mit Frau von Schönfeld nicht verderben wollen, zu Wagner schwören!“

Der Doktor zuckte zur Antwort nur abwehrend die Schultern. Und doch würden wohl wenige Männer über Gunst und Ungunst der drei Frauen, die jetzt die Stufen herunterkamen, so kühl wie Doktor Walter gedacht haben, obschon keine mehr in der ersten Blüthe stand. Die Gräfin Casasola verrieth ihre italienische Abstammung sofort, schon dadurch, daß sie ihrer Vorliebe für Geschmeide und ungebrochene Farben keinen Zwang anthat. Sie trug ein rothes Kleid, das gut zu ihrem kohlschwarzen Haar und ihren lodernden Augen paßte. Die Greisin war lebhaft, auch wenn sie schwieg, während Frau von Schönfeld, die zweite Hofdame, die blond, groß und hager war, kalt blieb, selbst wenn sie ihren Liebling Wagner vertheidigte. Die dritte, Prinzessin Erna, war um einiges älter als ihre Begleiterinnen. Doch würde sie jedermann – wenigstens auf den ersten Blick – für die jüngste gehalten haben. Sie hatte ein rundes, blasses Gesicht, ein liebes Gesicht, sagten alle, doch über die räthselvollen braunen Augen war das Urtheil derer, die der Prinzessin nahe standen, sehr verschieden. Einigen blickten sie zu starr, andere fanden sogar, daß sie einen lauernden Ausdruck hätten, die meisten waren von dem schwärmerischen Strahl und feuchten Glanz entzückt. Der nüchterne Walter fand als das Besondere dieser Augen, daß sie zuweilen schielten, allerdings kaum merklich schielten.

„Papa!“ rief die Prinzessin jetzt von der letzten Stufe der Treppe aus, „welche Ueberraschung!“

Der Fürst, der eben aus dem Baumgang trat, war ein schöner alter Herr, von guter Haltung und leichtem Gang. Vater und Tochter begrüßten sich mit stürmischer Zärtlichkeit, als ob sie sich monatelang nicht gesehen hätten. Dann wandte sich der Fürst an das Gefolge; er richtete einige freundliche Worte an die Damen, musterte die Herren und fragte dann nach Doktor Walter. Der Arzt stand noch unter dem japanischen Schirm. Rasch trat der Fürst mit ausgestreckter Hand auf ihn zu, schüttelte ihm die Rechte und sagte mit lauter Stimme: „Lieber Doktor, ich bin mit dem Vermächtniß des Hofraths außerordentlich zufrieden. Meine Tochter sieht seit einigen Tagen vortrefflich aus.“ Leise setzte er hinzu: „Seien Sie beharrlich in Ihren Anordnungen. Wenn wir Männer fest bleiben, so sind die Frauen Engel.“

Die Prinzessin schien eine Unterhaltung ihres Vaters mit Doktor Walter nicht zu wünschen. Wenigstens sahen die Ihrigen den Zug um ihre Mundwinkel, der für sie das Warnzeichen der Unzufriedenheit war. Sie brach ihr Gespräch mit dem Hofmarschall plötzlich ab und näherte sich jenen beiden. „Lieber Papa –“

Es lag etwas in ihrem Ton, das ihren Vater beunruhigte. „Herr Doktor Walter ist mit Deinem Befinden sehr zufrieden,“ sprach er rasch.

„Wirklich?“

Der Arzt verneigte sich schweigend.

Sowie die Prinzessin jetzt am Arm des Vaters hing, war ihre Verstimmung vorüber. Sie blickte sich mit einem vergnügten Lächeln um. „Ich mache einen Spaziergang mit Dir – kommst Du mit mir in das Palmenhaus?“

„Wenn Du wünschest –“

„Und dort, was thun wir dort?“

„Je nun, Du giebst mir eine Tasse Thee und wir plaudern.“

„Hast Du in der That keine Ahnung?“

„Wovon, liebe Erna?“

Sie ließ seinen Arm los, um in die Hände zu klatschen. „Meine Damen und Herren,“ rief sie, es ist mir das Unglaubliche gelungen, mein Geheimniß zu bewahren.“ Sie legte den Finger auf den Mund des Fürsten. „Nicht weiter fragen, lieber Papa! Wir gehen spazieren bis es dunkelt; und dann – st! ich verrathe nichts.“

Der Fürst bot, indem er den Arzt mit einem Augenwink einlud, sich anzuschließen, Erna aufs neue den Arm. Vater und Tochter gingen voran, ein paar Diener bildeten die Nachhut; der lose Schwarm der anderen nahm die Breite des Weges ein.

Während sie noch im Baumgang waren, traten der Hoffourier Stenzel und der Kammerdiener Brausewein auf die Treppe. Stenzel richtete den Blick gen Himmel, „Ich habe Zeit,“ sprach er. „Bevor es Nacht wird, fangen wir nicht an. In der Grotte ist alles fix und fertig, und Herr Leisewitz ist auch schon da.“

Der andere hatte aufmerksam den Lustwandelnden nachgesehen, jetzt lächelte er befriedigt. „Das Kleid der Gräfin ist doch um einen Ton heller als unsere Rothröcke. Allerdings nur für ein geübtes Auge.“ Er hatte das geübte Auge; Herr Brausewein war nämlich in seinen Mußestunden Maler. Die Gesellschaft unter den Bäumen zog ihn nun nicht mehr an, er wandte sich wohlwollend zu seinem Begleiter. „Haben Sie für die Grotte endlich das richtige Blau?“

„Ich bin selbst in der Grotte bei Capri gewesen; Sie können mir also glauben: wunderbar! Wollen Sie sich nicht jetzt schon persönlich davon überzeugen?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_462.jpg&oldid=- (Version vom 21.7.2022)