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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Wenig Berufsarten sind denn auch so wie die seinige geeignet, solche Erkenntniß zu nähren. Für „alles Vergängliche“, das „nur ein Gleichniß“, ist die Bühne mit ihrem beständigen Wechsel neuer Aufgaben und neuer Leistungen, mit ihrer Kunst, die für das Sein des Lebens den Schein des Gleichnisses setzt, selber ein Gleichniß. Aber bei dem wiederum nur ihr eigenen Zauber, alle Schönheitsreize des Lebens in den engen Raum der vier Wände zu bannen, mit ihrem täglichen Kampf und wechselnden Sieg, mit der erhöhten Lebensstimmung, die ihr ganzes Wesen durchbebt, bietet sie ihren Jüngern auch reichen, mit nichts zu vergleichenden Ersatz. Und so klingt durch die lyrischen Bekenntnisse Claars neben der Entsagung auch eine hohe Genußfreude und ein unbeugsamer Lebensmuth, wie ein paar Verse aus seinem Gedicht „Abschied“ es aussprechen:

„Nicht weiß ich, ob ich hoffen dürfe
Zu schauen in geschwellter Frucht
Den Frühling knospender Entwürfe,
Der mich umspinnt in süßer Flucht.
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Jedoch ich weiß, ich werde singen,
Ich werde glühen ruhelos,
Ich werde wandern, werde ringen,
Ein Pilgrim nach der Schönheit Schos!“ 00

 Johannes Proelß.



Blätter & Blüthen


F. G. Keller. Es freut uns, mittheilen zu können, daß der Aufruf, den wir im vorigen Jahrgang für den kranken und bedrängten Erfinder des Holzschliffpapieres erließen, den gewünschten Erfolg hatte. Schon durch die Leser und Leserinnen unserer „Gartenlaube“ wurden dem Erfinder reichliche Spenden zutheil, welche die erste Noth linderten. Herr Keller – durch Krankheit am Schreiben verhindert – bittet uns, allen gütigen Gebern und Geberinnen seinen tiefgefühltesten Dank auszusprechen, was wir hiermit in seinem Namen thun.

Unser Aufruf hatte noch eine weitere Folge: er gelangte in die Hände eines deutsch-amerikanischen Papierfabrikanten, und dieser spendete sofort eine bedeutende Summe, welche er an die Hofmannsche „Papier-Zeitung“ sandte. Daraufhin veranstaltete diese einflußreiche Fachzeitung eine Sammlung unter den Fachgenossen, welche einen ungeahnten, glänzenden Erfolg halte und deren reicher Ertrag den Erfinder bis an sein Lebensende vor jeder Nahrungssorge bewahrt. Damit haben die Papierfabrikanten auf hochherzige Weise bewiesen, daß sie der Männer nicht vergessen, die an dem Fortschritt ihres Gewerbes mitgearbeitet haben.

Auch sonst darf Keller manche ehrenvolle Anerkennung erleben. So hat am Sonntag den 11. Juni d. J. der Gebirgsverein seiner Heimath einen gewaltigen Felsen bei Krippen mit schöner Aussicht zu Ehren des Erfinders „Keller-Felsen“ getauft.

Hauswirthschaftsunterricht. (Zu den Bildern S. 461.) Das muß man unserer vielgeschmähten „modernen, realistischen, illusionslosen“ Zeit lassen: sie ist die erste, die gründlich Hand anlegt an die Bekämpfung der großen sozialen Uebel: Armuth, Krankheit, Unwissenheit. Die Erziehung zum Besseren schließt häufig schon die Verbesserung in sich, so vor allem in der Lebensführung der Arbeiter und Dienstboten. Es ist darum dringend zu wünschen, daß die schon vielfach in größeren Städten gegründeten Hauswirthschaftsschulen, von denen wir in Nr. 14 dieses Jahrgangs ein Beispiel geschildert haben, eine allgemeine dauernde Einrichtung werden. Die Erziehung zur Reinlichkeit, Geschicklichkeit und Pflichttreue findet ja am leichtesten im ersten Jugendalter statt; dort werden die Lehren mit Eifer und Freude angenommen, die später an den Ohren der Erwachsenen, Uebelgewöhnten wirkungslos verhallen. Freilich kann die große Menge der jugendlichen Fabrikarbeiterinnen an solchen Schulen für 15–18jährige Mädchen nicht theilnehmen, es würde sich also darum handeln, die allernothwendigsten Kenntnisse der häuslichen Handarbeit schon in den obersten Volksschulklassen durch praktischen Unterricht allen Schülerinnen einzuprägen. Ein wirkliches Hinderniß dagegen besteht nicht: dreizehnjährige Mädchen waschen und fegen mit größtem Vergnügen, ihnen ist eine solche Körperbewegung schon als Abwechslung neben dem anderen Lernen hochwillkommen, und sicherlich würden sie sich in den mit geringer Mühe herzustellenden Wäsche- und Bügelräumen der Volksschulen ebenso munter bewegen wie die kleinen Engländerinnen, deren hauswirthschaftliche Thätigkeit wir heute unseren Lesern im Bilde vorführen.

Die Londoner oberste Schulbehörde hat im Einverständniß mit den städtischen Innungen und hauptsächlich mit Unterstützung der berühmten Tuchhändlergilde diese Unterweisung in hauswirthschaftlicher Thätigkeit ins Leben gerufen. Der Lehrplan, das Werk einer Frau Lord, unter deren Oberaufsicht dieser Unterrichtszweig auch heute noch steht, umfaßt den ganzen Kreis der täglichen und wöchentlichen Geschäfte in einem Arbeiterhaus: Feueranzünden, Bettmachen, Waschen und Bügeln, Zimmer kehren und putzen, Tisch decken sowie das Scheuern der Küchengeräthe. Die Mädchen werden mit den Grundregeln der häuslichen Gesundheit und mit deren praktischer Anwendung bei jeder einzelnen Arbeit bekannt gemacht, man erklärt ihnen die Nothwendigkeit, Bett, Zimmer und Hausgang zu lüften, und zeigt ihnen den kürzesten Weg, es zu thun. Ein Hauptgewicht aber wird auf das Waschen und Bügeln gelegt, hier ist ein eigentlicher Lehrkurs durchzumachen, aus dessen Betrieb unsere Bildchen einige Züge herausgreifen. Erst wird die Sache theoretisch betrieben durch Anschauungsunterricht und Aufschreiben an der großen Tafel, hierauf wäscht eine Lehrerin den in den Bänken sitzenden Mädchen etwas vor, um die Bewegung zu zeigen. Bald aber stehen sie selbst an den Waschbütten, um voll Eifer und Gründlichkeit Leibwäsche, wollene und baumwollene Kleider zu reinigen, dann wieder an breiten Tischen, um die Stärkebereitung zu erlernen und in der Führung des Plätteisens sich zu üben. Ist es ja doch ihr eigenes Zeug, das sie von zu Hause mitbringen dürfen und nach einigen Tagen voll Stolz als Beweis der erworbenen Geschicklichkeit wieder heimtragen, nachdem sie es selbst gestärkt und gebügelt haben. Das Trocknen geschieht in der Londoner Anstalt auf Schulgestellen und Kleiderrechen, könnte aber in unseren Schulpalästen viel leichter und besser auf den geräumigen Speichern besorgt werden. Die hübschen Abbildungen zeigen, mit welchem Ernste sich die kleinen Londoner Schülerinnen ihrer Arbeit unterziehen; es steht zu hoffen, daß die deutschen Schwesterchen ihnen darin nichts nachgeben werden.

Wir stellen diesen Wäsche- und Bügelunterricht aus dem Grunde ausführlich dar, weil er, im Gegensatz zu den auch schon mehrfach angeregten Kochschulen in den Oberklassen, praktisch und leicht möglich ist. Gegen letztere bestehen große Einwände. Sie sind schwerer einzurichten, beanspruchen viel Zeit, das gekochte Essen muß regelmäßige Abnehmer finden, die Mädchen sind zu jung, um das Erlernte sicher zu behalten: Kochen vergißt sich leichter als Zimmer- und Bettmachen. Außerdem ist das Kochen im Arbeiterhaushalt ein sehr einfaches und muß sich auf den kleinsten Kreis beschränken, dies kann die erwachsene Tochter eher nach dem mütterlichen Beispiel machen als die häuslichen Geschäfte. An Reinlichkeit und Ordnung, den beiden großen Quellen der Behaglichkeit für den heimkehrenden Mann, fehlt es dagegen vielfach gar zu sehr. Diese Tugenden sollten also dem Schulkinde bereits eingeprägt werden; kann dann später der Besuch einer eigentlichen Haushaltungsschule dazu treten, um so besser! Für das künftige Dienstmädchen sollte eine solche geradezu vorgeschrieben sein: eine Menge der bekannten und berechtigten Klagen über Ungeschick und mangelndes Pflichtgefühl würden dadurch beseitigt werden. Wieder und wieder muß man es sagen: möchten doch die vielen wohlhabenden und unbeschäftigten Damen, hauptsächlich Witwen und ältere Mädchen, überall zusammentreten, um im Einverständniß mit den Schulbehörden eine Erziehungsthätigkeit zu entfalten, die für den weiblichen Theil der untern Stände genau ebensoviel werth ist als das eigentliche Lernen. In jedem Schulhaus wird ein Zimmer im Erd- oder Kellergeschoß für diesen Zweck einzurichten sein. Der Vormittagsunterricht der beiden Oberklassen genügt für die eigentlichen Lernfächer vollständig, der Nachmittag müßte dann ausschließlich der Haus- und Handarbeit, einschließlich Nähen und Flicken gewidmet sein, dann könnte im Lauf der letzten Schuljahre etwas geschaffen werden, was später eine ganz beträchtliche Hebung unserer Volkswohlfahrt und sicher auch vermehrte Zufriedenheit im einzelnen Haus zur Folge haben würde. Das große soziale Heilmittel, nach welchem heute so viele ausschauen, besteht vielleicht nur in einer Reihe von Einzelverbesserungen, wobei die Hebung von Pflichtgefühl und Tüchtigkeit in erster Linie steht. Daher ist jede darauf abzielende neue Einrichtung der wärmsten Förderung werth. R. Artaria.     

Die Cronauschen Bilder von den Niagara-Fällen. Die Aquarell-Originale zu den beiden Bildern von den Niagara-Fällen, welche Rudolf Cronau seinem ersten Weltausstellungsbriefe in Nr. 21 dieses Jahrgangs beigegeben hat, d. h. zu der „Höhle des Windes“ und der Ansicht der Fälle von der amerikanischen Seite aus, befinden sich im Besitze der Herren Grimme und Hempel in Leipzig (Filiale: Berlin, Friedrichstraße Nr. 59/60), welche nach denselben Diaphanien haben herstellen lassen. Unsere Leser kennen diesen hübschen Schmuck für die Fenster unserer Wohnungen auf dessen anmuthige Wirkung auch die „Gartenlaube“ schon wiederholt hingewiesen hat, und es wird sie interessieren, zu erfahren, daß außer den beiden genannten Ansichten noch zwei weitere Aquarellaufnahmen jenes großartigen Naturschauspiels und viele andere neue Bilder in der Reihe der Diaphanien erschienen sind. Es ist beabsichtigt, die Landschaften auch noch auf Karton in Mappen herauszugeben, und wir zweifeln nicht, daß sie überall einer günstigen Aufnahme begegnen werden.

Die bedauernswerthesten Kranken. Wenn der Geist das höchste Gut des Menschen ist, das ihm die Beherrschung der Erde sichert und ihm die edelsten Genüsse des Lebens schafft, so giebt es gewiß kein größeres Unglück, als durch Krankheit diesen werthvollen Besitz zu verlieren. Obwohl die krankhaften Geistesstörungen so alt sind wie das Menschengeschlecht selbst, obwohl sie bei allen Völkern und auf allen Kulturstufen von jeher zur Beobachtung gekommen sind, hat sich doch erst im Laufe der letzten hundert Jahre ihre richtige Würdigung Bahn gebrochen. Im Alterthum betrachtete man sie meist als Zeichen göttlicher

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_467.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)