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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

ihrer Herkunft und ihr altes menschliches Selbst schienen einmal wieder aufzuleben bei der unerwarteten Begegnung. Sie war eine korpulente Dame mit rasselndem Athem; sogar die Fastenvorschriften des Klosters hatten ihre Neigung zu beträchtlicher Körperfülle nicht aufzuhalten vermocht.

Als Herr von Nievern, nach allerlei Auskünften über alte Bekannte, die er ihr hatte geben müssen, zu seinem Auftrage kam, verbarg sie mit guter Miene eine leichte Betroffenheit und schickte nach der Schwester Veritas, der Subpriorin, die jede verlangte Auskunft geben werde. Ihre eigene Gesundheit, so bedeutete sie ihn, zwinge sie, einen Theil der Amtslast eben jener Schwester auf die willigen Schultern zu legen. Schon als er nun solchergestalt gewahr wurde, daß die Aebtissin selber Polyxene noch gar nicht gesehen habe, war Nievern wenig erbaut, und sehr geringes Gefallen nur fanden seine verwöhnten Augen an der jetzt eintretenden frommen Schwester Veritas, Ihr glattes Gesicht mit dem Ausdruck beschränkter Gewöhnlichkeit widerte ihn allsogleich an; es bildete allerdings einen starken Gegensatz zu dem vollen Adlerprofil der vornehmen Aebtissin, wenngleich diese auch um nichts klüger sein mochte.

Und in die Gewalt dieses Weibes war die stolze Schwertlilie gegeben – einer Person, der die Niedrigkeit ihrer Herkunft auf der Stirn stand und die – seltsam, daß das Standesgefühl sich gerade hier noch einmal bei dem Kavalier geltend machte – ohne dies schwarze Habit an Rang vielleicht nur einer Magd des unglücklichen Fräuleins gleichgekommen wäre! Aber Herr von Nievern nahm sich zusammen und erwies dem Gewande der geistlichen alten Jungfer die geziemende Ehrerbietung. Als er dann den beiden Klosterfrauen vortrug, die Pfalzgräfin wünsche von dem Zustand des Fräuleins von Leyen unterrichtet zu werden, war Schwester Veritas sogleich bereit, den Besucher mit einer erbaulichen Wiedergabe ihrer eigenen Beobachtungen in Betreff Polyxenens zu unterhalten. Er erfuhr, in merklich schonender Weise mitgetheilt, wie die klösterliche Obhut leider noch wenig Frucht bei der ihr Anvertrauten gezeitigt habe; wie weit entfernt das Fräulein noch sei von derjenigen Verfassung, die man doch ihres Seelenheils wegen ihr wünschen müsse. Aber die Geduld ihrer jetzigen geistlichen Vormünder sei groß und keineswegs erschöpft ...

Die des Oberjägermeisters war es aber, lange ehe die Nonne soweit gekommen war. „Ihr habt meinen Auftrag nicht ganz gefaßt, hochwürdige Frau Aebtissin, und Ihr, fromme Schwester,“ sagte er, sobald er zu Worte kommen konnte; es geschah höflich, aber doch schon mit einer gewissen schneidenden Deutlichkeit „Hoheit, llnfere gnädigste Frau, begnügt sich nicht damit, daß ich vom Hörensagen berichte: ich soll mich mit eigenen Augen von dem Befinden des Fräuleins überzeugen.“

„Unmöglich, Herr,“ erwiderte die Subpriorin kalt. „Die Klausur des Fräuleins darf ohne eine besondere Erlaubniß des Paters Gollermann, der ihre Bußübungen leitet, nicht unterbrochen werden. Ein Gang ins Sprechzimmer wäre für sie ganz unzulässig.“

„Wirklich? So streng haltet Ihr Eueren Gast ... das wird die Pfalzgräfin befremden,“ sagte Nievern mit funkelnden Augen. „Wie es sich trifft, wäre nun aber auch mein ausdrücklicher Auftrag durch eine Begegnung mit dem Fräulein im Sprechzimmer noch keineswegs erledigt. Ich bin hier in amtlicher Eigenschaft als Kommissar der Fürstin: meine Obliegenheit geht dahin, das Fräulein von Leyen in ihrer Zelle, ober wo sie sonst sich befindet, zu sehen, um berichten zu können, wie sie logiert ist und sonst bei Euch, ehrwürbige Frau, gehalten wird. Daß sie ein ihres Standes würdiges Unterkommen bei Euch gefunden hat, ist ja nicht anzuzweifeln. Aber das Gewissen unserer pfalzgräflichen Frau ist zart ... sie fühlt mütterlich gegen dies verwaiste Fräulein und wird sich nicht beruhigen ohne die Auskunft, die ich werde geben können.“

Jetzt war die peinliche Verlegenheit der Aebtissin nicht mehr zu verkennen. Sie bewegte sich auf ihrem Sitze und griff unruhig mit den fleischigen Händen umher; es war sogar, als wollten ihre Athembeschwerden sich einstellen, während sie hilflos nach der Subpriorin hinüberblickte. Diese aber war der Sache gewachsen. Sie sah ganz so nichtssagend wie immer aus, während sie erwiderte: „Eine begreifliche Fürsorge unserer gnädigsten Fürstin. Ich werde sofort darüber an Seine Hochwürden den Pater Gollermann berichten. Vielleicht läßt er alsdann zu, was eigentlich außer der Regel ist.“

„So, meint Ihr wirklich?“ sagte Herr von Nievern spöttisch. „Ihr versteht mich noch immer nicht. Heute muß ich das Fräulein sehen. Ich dächte, der ausdrückliche Befehl der Pfalzgräfin, Euerer Herrin, wiege die Licenz des hochwürdigen Herrn Paters auf. Uebrigens – hier ist meine Vollmacht,“ Er zog nun wirklich das Schriftstück aus dem Kollett, mit einer nicht eben respektvollen Bewegung; es wurmte ihn, daß er es nöthig hatte.

Die Aebtissin griff mit leicht bebenden Händen zu und nahm Einsicht in dasselbe; sie verwünschte in ihrem Herzen den Besuch, oder vielmehr, daß sie sich hatte verleiten lassen, ihn zu empfangen, statt auch das gleich der Subpriorin zuzuschieben, „Das ist allerdings eine eigenhändige Vollmacht der Pfalzgräfin,“ sagte sie, hilflos im Gesicht der andern Nonne forschend, während sie ihr das Papier hinreichte. „Doch wer zweifelte auch an Euerem adligen Worte, Herr Oberjägermeister ...“

„Und selbstverständlich sind wir in Demuth der Frau Pfalzgräfin in allem zu Dienste,“ fuhr die Schwester Veritas fort. „Sicherlich aber sind unserer gnädigsten Frau, als sie dies schrieb, die Maßregeln heilsamer Disciplin unbekannt gewesen, welche der hochwürdige Herr Pater in Betreff des Fräuleins für nöthig erachtet hat. Hoheit sollte erst mit denselben bekannt gemacht werden ...“

„Ja, ganz recht,“ fiel hier die Aebtissin, die nun wieder Fahrwasser merkte, lebhaft ein. „Und da der Pater Gollermann das Gewissen auch unserer gnädigsten Frau Pfalzgräfin als ihr Beichtiger leitet, so ist kaum anzunehmen, daß sie seinen trefflichen Gründen Widerstand entgegensetzen werde.“

Das hätte sie nicht sagen sollen! Nievern überlegte blitzschnell, wie sehr sie recht habe. Ließ man dem Jesuiten Zeit, Frau Sabine Eleonore zu bearbeiten, so war auch auf sie zu gunsten der armen Polyxene nicht mehr zu rechnen. Und hatte schon vorher sein Entschluß festgestanden, das unglückliche Mädchen heute zu sehen, so war er in diesen letzten paar Sekunden unerschütterlich geworden. Gerade das Sträuben der Nonnen zeigte ihm am besten, wie nöthig Polyxene von Leyen ihre wenigen Freunde haben mochte. So sagte er denn jetzt mit einer Ruhe, ja Behaglichkeit, welche den beiden Klosterfrauen am allerbedenklichsten vorkommen mußte: „Eueren Gehorsam gegen den Pater Gollermann in Ehren, würdige Mutter, aber ich setze demselben den Gehorsam gegen meine allergnädigste Frau entgegen. Mein Auftrag lautet, heute das Fräulein hier zu besuchen, im Namen der Pfalzgräfin. Weiter weiß ich nichts ... haltet Euch aber versichert, daß ich dies Haus nicht verlassen werde, bis er ausgeführt ist.“

Es gingen rasche Blicke zwischen den beiden Nonnen hin und her. „Dann hat der Herr wohl Zeit,“ begann die Schwester Veritas jetzt wieder, während Aerger und Bosheit ihr Gesicht verfärbten, „bis wir nach dem Pater Gollermann schicken. Ohne seine Erlaubniß vermögen wir ihm nicht zu willfahren.“

„Nein, ich habe keine Zeit!“ rief da der Oberjägermeister mit einem Male und sprang von seinem Stuhle so jäh auf die Füße mit den sporenklirrenden Reiterstiefeln, daß die Nonnen entsetzt zusammenfuhren. Besonders die Schwester Veritas; denn jetzt stand er unheimlich dicht vor ihr und die hohe sehnige Männergestalt überschattete sie wie drohend, sie, die nur weibliche Nähe oder höchstes die der geistlichen Herren mit ihrem friedlichen Wesen gewohnt war. War es denn Zufall und gehörte es zur weltlichen Ausrüstung, daß der ciselierte Kolben einer unhöflich langen Reiterpistole diesem Besucher da vorn aus dem Gürtel des Kolletts sah? Die fromme Seele wußte es nicht – sie wich zurück. Aber siehe, er folgte ihr und blieb ihr dicht auf den Fersen, als sie einige Schritte durchs Zimmer that.

„Wie, wollt Ihr uns hier vergewaltigen, Herr von Nievern?“ rief da die Aebtissin vorwurfsvoll klagend, während die Schwester Veritas sogar mit einem leisen Stich ins Keifende sich hören ließ: „Hochwürdige Mutter, wehrt dieser Ungebühr! Oder ich rufe mir zum Schutze den Gärtner und den Schaffner her, die auch kräftige Arme haben. Was wollt Ihr, Herr?“

„Nichts als Euch versichern, Schwester Subpriorin“ – dazu lächelte der Herr von Nievern ein wenig grimmig – „daß Ihr dies Gemach nicht ohne mich verlassen werdet. Denn wisset, Euer Behaben fängt an, mir sehr seltsam zu erscheinen, und läßt mich befürchten, daß es so wohl nicht mit dem Fräulein von Leyen stehen muß, wie zu wünschen wäre. Was? Ihr haltet sie versteckt und verschlossen wie ein Nönnlein in Pönitenz, sie, eine Dame von Stand, die nach meinem besten Wissen nicht daran gedacht hat, bei Euch Profeß zu thun? Wer, ich frage, giebt Euch das Recht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_471.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2021)