Seite:Die Gartenlaube (1893) 475.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Hier erfanden die zwei Söhne Müllers, welche nach dem Tode des Vaters die Augenanfertigung in künstlerischer Weise weiterbetrieben, im Jahre 1880 einen technischen Fortschritt, welcher die Schönheit ihrer Augen noch bedeutend erhöhte; es gelang ihnen nämlich die Herstellung des sogenannten „Corneo-Scleralrandes“, wie er sich am natürlichen Auge darstellt. Betrachtet man ältere Augen (z. B. Fig. 1), so bemerkt man, daß an ihnen die Iris gegen die Sclera mit einer ganzen scharfen Grenze aufhört, während diese beim natürlichen Auge gleichsam verwaschen erscheint. Und dies wird eben bei dem neuen Müllerschen Verfahren aufs glücklichste nachgeahmt. Mit der Zeit lernte man auch im Ausland die Vorzüge der deutschen Augen schätzen, so erhielten sie auf den Ausstellungen zu Amsterdam 1883 und zu Antwerpen 1885 den höchsten Preis, welchen bis dahin immer die für unübertrefflich gehaltenen französischen Fabrikate für sich in Anspruch genommen hatten. Auf der Ausstellung in Chicago haben die Gebrüder Müller eine Sammlung künstlicher Augen ausgestellt, welche die verschiedenen krankhaften Veränderungen des Auges in treuer Nachbildung der Natur veranschaulichen. Das ist eine neue Art der Verwendung des künstlichen Auges; aus einer Anregung des Professors Pagenstecher hervorgegangen, sind derartige Sammlungen dazu bestimmt, an den Universitäten als Lehrmittel zu dienen. –

Figur 5.

Außer Müller, dem Vater, gab es in Deutschland nur wenige, welche wirklich gute Augen herzustellen verstanden. Zu ihnen gehört Dr. Klaunig in Leipzig , der auf Veranlassung seines Lehrers, des Professors Ritterich - beide haben Abhandlungen über künstliche Augen veröffentlicht - sich längere Zeit bei Müller-Uri mit Augenblasen beschäftigte und darin großes Geschick erlangte. Ferner sind zu erwähnen Jerack in Prag und sein Schüler Paul Greiner in Hamburg, welche beide Hervorragendes leisteten. Sie waren zugleich in Deutschland die einzigen, welche ihre Augen nach venetianischer Schule anfertigten, die Jerack in Munrano bei Venedig sich angeeignet hatte. Dort stellte man nämlich die Irisfarben dadurch her, daß man farbige Perlen zerrieb und mit diesem Pulver die Iris aufzeichnete. Jerack aber sowohl wie Greiner trieben ihre Kunst mehr aus Liebhaberei. In Lauscha lernte Müller eine Anzahl Schüler an, aber keiner hat es zu größerer Bedeutung gebracht. Es gehört eben zur Anfertigung wirklich guter künstlicher Augen, abgesehen vom Material, ein gewisses Talent, ein sehr ausgeprägter Farben- und Formensinn Ohne diesen kann wohl jemand es durch lange Uebung dahin bringen, künstliche Augen zu blasen; aber künstlerisch vollendete wird er niemals schaffen lernen.

Wie wird aber nun ein künstliches Auge gemacht?

Am besten bekommen wir davon eine Vorstellung, wenn wir uns einmal in eine Werkstatt versetzen, wo man gerade im Begriff ist, eine „Prothese“, so lautet der technische Ausdruck für ein künstliches Auge, anzufertigen. Wir sehen da einen Tisch, der mit Glasstäben und -röhren von allen möglichen Farben bedeckt ist und eine Vorrichtung zur Erzeugung einer Stichflamme trägt. Vor derselben sitzt der Künstler, neben ihm der Patient. Von Werkzellgen bemerken wir nur eine Art Zange zum Anfaßen der heißen Augen und einen Kühltiegel, die Hauptarbeit fällt Hand und Mund zu. Als Material dienen die schon erwähnten Glasröhren und -stäbchen. Die krystallklaren geben die Hornhaut und Vorderkammer, die ganz dunkeln die Pupille, die rothen die Aederchen und die anderen bunten die Iris. Die milchglasartigen Röhren von bald mehr röthlichem, bald mehr bläulichem, gräulichem oder gelblichem Ton bestehen aus dem uns schon bekannten Kryolithglase, aus welchem der größte Theil des Auges, die Sclera oder weiße Augenhaut, hergestellt wird, und kommen bereits so verarbeitet von der Glashütte. Ihre Bestandtheile sind zwar bekannt, aber das Verhältniß ihrer Zusammensetzung ist Geschäftsgeheimniß. Die Farbenschattierungen der Gläser werden durch Zusatz von Metallen oder derlei Oxyden erzeugt, so grün durch Brom, blau durch Kobalt, braun und schwarz durch Braunstein, gelb durch Chrom und Uran, grau durch Nickeloxyd und roth durch Gold. Die Herstellung der letzteren Farbe in der Abtönung, wie sie bei den Aederchen gebraucht wird, soll besonders schwierig sein und manche Probe muß als unbrauchbar verworfen werden, bis die richtige getroffen ist.

Nachdem wir uns so einigermaßen über Handwerkszeug und Material haben belehren lassen, kann die Arbeit beginnen. Zu diesem Zwecke wird noch die Augenhöhle, welche die Prothese aufnehmen soll, einer genauen Besichtigung unterzogen, ebenso das gesunde Auge in Bezug auf seine Farbe. Nun wird eine jener Röhren in passender Schattierung ausgesucht und an der Stichflamme ein Stück so abgeschmolzen daß es in zwei dünne hohle Handhaben ausläuft, deren eine geöffnet ist, um als Mundstück zum Blasen zu dienen (Fig. 5). Die nachfolgenden Arbeiten werden, um dies hier gleich einzufügen, alle an der Stichflamme unter beständigem Hin- und Herdrehen des Auges ausgeführt, um das Glas in dem zum Verarbeiten nöthigen weichen Zustand zu erhalten.

Figur 6.

Die hohle Glasspindel wird zu einer Kugel aufgeblasen und die eine Handhabe abgeschmolzen. Aus der dem Mundstück gegenüberliegenden Fläche wird dann als Untergrund für die Iris eine entsprechende Grundfarbe aufgetragen, mit der zugleich auch ein als Fabrikmarke dienendes Sternchen aufgesetzt wird, das man an der Rückseite des fertigen Auges sehen kann. Ist die Grundfarbe genügend verblasen, so werden auf die so entstandene Fläche von etwa 6 mm Durchmesser die verschiedenen Irisfarben mit den vorher präparierten Glasstäbchen in strahlenartiger Anordnung aufgezeichnet und eben geblasen. Nachdem sodann mit schwarzem Glas die Pupille aufgeschmolzen ist, wird durch Aufsetzen von Krystallglas Vorderkammer und Hornhaut hergestellt. Das Ganze wird nun gleichmäßig verblasen, worauf die Aederchen aufgemalt werden, und zwar so, daß man ein rothes Stäbchen zu haarfeinen Fäden auszieht und diese an die Kugel anlegt. Haben sie sich mit jener verschmolzen, so erhält die Kugel durch weiteres Erhitzen und Blasen eine mehr ovale Form. Dann wird ein Loch hineingeblasen und von diesem aus mittels eines Glasstäbchens durch Abschmelzen die Trennung der Augenschale von dem Mundstück bewirkt, wobei jene zugleich die gewünschte Form erhält. Fig. 6 zeigt die Augenschale halb abgeschmolzen. Ist zum Schluß der Rand noch geglättet, so wird das nunmehr fertige Auge in den Kühltiegel gelegt, nur sich dort langsam abzukühlen, was von großer Wichtigkeit ist, da ein zu rasch abgekühltes Auge leicht springt.

Figur 7.

So haben wir in etwa dreiviertel Standen ein künstliches Auge entstehen sehen. Das Gewicht eines solchen, welches Fig. 2 in Seitenansicht, Fig. 7 in Vorderansicht zeigt, beträgt ungefähr zwei Gramm, die Dicke der Sclera 3/4 bis 1 mm, die der Iris mit Vorderkammer je nach der größeren oder geringeren Tiefe derselben 2 1/2 bis 5 mm.

Während wir dem Künstler zuschauten; haben wir natürlich nur die gröberen Einzelheiten bei der Herstellung des Auges bemerkt, alle die technischen Feinheiten und Schwierigkeiten, in deren Bewältigung sich gerade der Meister zeigt, sind unseren Laienblicken entgangen. Diesmal ist auch gleich das erste Auge gelungen, während ein andermal mehrere ohne erkennbare Ursache platzen und die Arbeit wieder von neuem begonnen werden muß. In unserem Falle ist auch der Sitz und die Beweglichkeit in der Augenhöhle sofort zur Zufriedenheit des Künstlers ausgefallen. Bei schwierigeren Verhältnissen aber, z. B. wenn Narbenstränge oder Schleimhautwucherungen in der Augenhöhle entsprechende Ausschnitte an der Augenschale erfordern, paßt vielleicht erst das zweite oder drille Auge genau, was um so begreiflicher ist, wenn man bedenkt, daß nur nach dem Augenmaß gearbeitet wird,

Das künstliche Auge muß, wenn es allen Anforderungen genügen soll, dem natürlichen in Färbung der Sclera und Iris, in Größe der Iris und Pupille völlig gleichen; es muß sich möglichst leicht bewegen und darf seinem Träger keinerlei Beschwerden machen. Es muß endlich dauerhaft sein und darf sich nicht Zu

früh abnutzen. Was den letzten Punkt anbetrifft, so kommt es

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 475. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_475.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2023)