Seite:Die Gartenlaube (1893) 486.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

die Nonne kümmerte er sich nicht; er schritt rasch auf Polyxene zu, die vor dem Steinsitz an der Wand stand und sich noch nicht gerührt hatte. Er neigte sich vor ihr wie ehemals, was sie zu wundern schien. Mit einem Blicke hatte er gesehen, wie unsäglich sie gelitten haben mußte. Das holde Gesicht, das jungfräulichste, auf dem seine Augen je geweilt hatten, war schärfer geworden, ohne ihm aber weniger hinreißeud zu erscheinen – nein, nur noch mehr, weit mehr, jetzt nach der Trennung und dem Entbehren! Und die stolze Liliengestalt war es noch immer.

Er mußte sie berühren, daran sollte ihn keine spähende Nonne hindern. So griff er nach ihren Händen, die sie wie in Schmerz und Angst ineinandergeschränkt hatte, löste die eine sanft – Herr Gott, er fühlte, daß sie schmäler, magerer geworden war – und drückte einen sehnsüchtigen Kuß darauf.

Ach, wie wenig zeigte Polyxene von der lieblichen Verwirrung des Mädchens bei solcher stummen Sprache! Wie in mühsamer Verwunderung sah sie ihn an und fragte, endlich die Lippen öffnend: „Wem thut Ihr das, Herr von Nievern? Ihr seid lange fort gewesen, lange, lange,“ fügte sie träumerisch hinzu, „Ihr wißt vielleicht nicht, daß ich indessen eine Mörderin geworden sein soll?“

Er biß die Zähne aufeinander in dem Versuch, Jammer und Wuth zu bemeistern. „Besudelt Euere Lippen nicht mit der niederträchtigen Verleumdung,“ sagte er, so ruhig er vermochte. „Nach Eueres Vetters Verbleib wird geforscht, das läßt Euch die Euch noch immer gnädige Frau Pfalzgräfi sagen ... sie schickt mich ...“

„Sie schickt Euch,“ wiederholte Polyxeue leise, und ihm war, als zittere ein kaum merklicher Hauch der Enttäuschung durch die Worte. Und dann, als werde sie jetzt erst aufmerksamer, hob sie den Kopf. „Nach meinem Lutz wird gesucht, sagt Ihr? Ach, Gott lohne es Euch! Ihr sprecht von ihm, als ob er lebte. Aber fragt doch die da“ – und sie zeigte auf die Nonne – „wofür sie mich hier halten!“

„Ich glaube, Ihr täuscht Euch.“ Mit Ueberwindung richtete Nievern, so direkt aufgefordert, den Blick nach der Nonne. Die aber stand da, als sei sie taub, mit unbewegtem Gesicht. „Ihr seid hier,“ fuhr er fort, „um wegen Eueres Glaubens befragt und unterwiesen zu werden. Daß es ernstlich, aber liebreich geschehen sollte, war die Meinung unserer gnädigsten Frau. Sie glanbte Euch hier Eurem Stande gemäß gehalten und ahnt nicht, daß man Euch in einem dumpfen Gefängniß hinter dreifachen Riegeln verwahrt. Nun, die das verschulden, werden sich dafür zu verantworten haben, so wahr ich ein Edelmann bin. Euch aber, werthes Fräulein, hoffe ich, in kurzem ein Ende dieser absonderlichen Haft ankundigen zu können. Euer Oheim wartet Euer und das Haus“ – er war ihr näher getreten und sprach leiser – „in dem ich Euch einst grüßte, Polyxene.“

Da rang sie die Hände ineinander in plötzlich ausbrechendem Jammer. „Ach, nach Hause komm’ ich nie wieder – ich seh’ es an ihren kalten Augen hier, daß ich verloren sein soll! Aber nicht hier will ich vergehen – sagt es der Pfalzgräfin, ich verlange mein Recht, Herr von Nievern! Sie soll sorgen, daß es mir werde, um meines alten edlen Namens willen. Hier sticheln sie mit halben höhnischen Worten auf mich, oder es umgiebt mich Schweigen wie der Tod ... in diesen Mauern soll ich ersticken oder bekennen, was sie hören möchten! Und mit mir im Moder soll der theure Name vergehen, den meine Eltern getragen haben! Ich aber will, daß man mit mir thun soll, wie recht ist, und öffentlich. Bringt mich vor ein Gericht des Landes, laßt nicht täuschende Reden von diesen hier mich länger umwinden und umschnüren wie tödliches Gewürm – fragt mich laut, damit ich laut mich verantworten kann! War ich so schnöder Missethat fähig, der allerschnödesten, an dem, der mich lieb hatte und den ich liebte, ach, wie nichts sonst auf der Welt – so ist der tiefste Keller nicht tief genug für mich. Bringt mich hinein, aber nur von hier fort! Da“ – sie streckte wild die Arme von sich – „legt mir Ketten an und führt mich damit über den offenen Markt, und glaubt Ihr mich schuldig, so nehmt, wenn es Gott zuläßt, mein Leben ... denn längst ist es mir verleidet!“

„Steht es so? Allmächtiger Gott!“ murmelte Nievern. Er war zur Schwester Veritas getreten und packte sie nicht eben sanft beim Arme. „Habt Ihr das gehört? Das ist Euer Werk! Was sagt Ihr dazu?“

Die Nonne, mit einem feindselig queren Blick nach Nievern, suchte sich von seinem Griffe loszumachen. „Ich sage, daß aus dem Fräulein böse ungebärdige Geister der Zuchtlosigkeit und des Aufruhrs reden, die der Niederhaltung durch strenge Disziplin noch gar sehr bedürfen. Und hütet Ihr Euch, dem Teufel der Hoffarth, der aus ihr spricht, nach dem Munde zu schwatzen; es könnte Euch übel bekommen!“

Jetzt gab Nievern den Arm der Schwester frei, das heißt, er ließ ihn so heftig fähren, daß sie ein weniges taumelte. Einer Antwort würdigte er sie nicht; er hatte sich zu Polyxene gewandt. Erschüttert stand er vor ihr und kämpfte gegen das übermächtige Verlangen, sie an sein Herz zu reißen. Aber durfte er jetzt, hier, um sie werben? Die sehnsüchtige Liebe selber wehrte es ihm, wenn es der unheildrohende Ort nicht gethan hätte. Polyxene würde ihn kaum verstanden haben. Hatte er nicht eben, mit einem leisen Schmerzgefühl, von ihr vernommen, daß sie den Knaben Lutz lieber gehabt als irgend etwas auf der Welt?

Aber Trost, so weit er vermochte, mußte er geben. „Ihr sollt von hier fort, aber mit nichten in einen anderen Kerker,“ raunte er ihr jetzt zu, fast heiser vor Bewegung. „Dafür, daß Ihr frei seid von aller Schuld, setz’ ich mein Leben ein. Und so denken alle Eure Freunde,“ fügte er ehrlich hinzu; „ich bin nicht der einzige. Aber am längsten denk’ ich Euer Freund zu sein – von jetzt ab bis zu meiner letzte Stunde. Habt Ihr mich gehört? Und glaubt Ihr mir, Polyxene?“

Da sahen ihn die trübe gewordenen blauen Augen an wie aus weiter Tiefe, und sie sagte wie jemand, der im Schlafe spricht:

„Als mich noch die Sonne bescheinen durfte, da habt Ihr einmal zu mir gestanden; ach, wie gering erscheint mir jetzt mein Kummer von damals! Und hier, im Jammer, haben meine Gedanken Euch oft gesucht als einen Freien und Glücklichen. Warum gerade Euch? Und warnm seid Ihr von allen zu mir gekommen?“

Da stieg es dem kräftigen Manne bis in die Kehle; sein Herz klopfte in wilder Seligkeit Antwort auf dies unschuldige Fragen und es überströmte ihn hier, an der tödlichen Stätte, wie Maienluft und ätherische Wonne. Ein höhnendes Wort der Nonne brachte ihn zum Bewußtsein des Ortes. „Endet Ihr noch nicht bald, Herr? Was Ihr wissen wolltet, dächt’ ich, hättet Ihr erfahren,“ sagte sie, an ihm vorbeiblickend.

In das gebräunte Antlitz des Oberjägermeisters stieg bei den doppelsinnigen Worten eine dunklere Gluth. Scharf erwiderte er: „Ja – ich habe weit mehr erfahren, als mir lieb ist. Und doch bin ich noch nicht fertig. Ihr müßt gestatten, daß ich dies Gelaß, höchst unwürdig des Fräuleins, wie es ist, etwas näher in Augenschein nehme ... Und dann noch einmal rasch zu Polyxene: „Weshalb gerade ich hier vor Euch stehe, das sollt Ihr, so Gott will, bald wissen Fräulein von Leyen. Vor allem haltet es im Sinne, daß ein Freund Tag und Nacht Euer Geschick im Herzen trägt wie sein eigenes – nein, mehr, weit mehr!“

Und nun durchschritt er die Zelle bis zu dem Fensterschacht in der dicken Außenmauer, und seine Augen wanderten den Weg, den die Polyxenens so oft schweiften, nach dem einen Stückchen Himmel draußen jenseit des kleinen Fenstervierecks.

Kaum Licht, keine Luft! Er wandte sich hastig in die Zelle zurück. Da stand Polyxeue hinter ihm und sagte, jetzt mit einem Zuge rührender Ergebung um den Mund: „Da, wo Ihr steht, ist die Zeit her mein Platz gewesen, bis die Füße mich nicht mehr tragen wollten. Denn wenn ich stehe, kann ich ein wenig mehr vom Himmel sehen. Der Himmel über unserem Wald am Heidenkopf ist es, ich weiß es wohl.“

Er fand keine Antwort; allzu sehr schnürte ihm, was er sah und hörte, das Herz zusammen Er zwang sich, das wenige, was die Zelle an Ausstattung enthielt, zu mustern; das harte Lager, ein Tisch und ein Stuhl und das Kruzifix an der Wand – das war alles. „Ich gehe, Fräulein, weil ich muß,“ sprach er endlich und sah Polyxene schmerzlich an. „Aber dies ist kein Abschied auf lange, Ihr müßt bald frei werden ... und doch ist mir, als sollte ich Euch nicht lassen.“

„Ihr seid gut,“ sagte sie. Und dann mit einem Male, als er sein Herz endlich gebändigt hatte und an der Thür war, hörte er hinter sich einen Angstruf, der aus tiefster Seele brach: „Ach, geht nicht!“

Das war zuviel für Fleisch und Blut. Nievern stürzte zurück und riß seine Lilie an sich, ihr Blumenhaupt ein seiner Brust bettend, ihre Augen und Lippen mit Küssen bedeckend. Da sie es litt, raunte er ihr hastig zu: „Wollt Ihr mich haben, Süße, zu Eurem Mann? Ich liebe Euch längst und Euch allein.“ Daß

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 486. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_486.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2021)