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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Brüstung. Kurz, alles war festlich unb lockte die Menge. Allein die Sicherheitsmannschaft von Wörde war vollzählig, war zwei Mann hoch da und duldete keine Stauung. Hüben und drüben von dem Vorplatz lief ein Fußweg am Walde hin; auf dem Wege rechts vom Eingang ging die adelige Gesellschaft aus dem „Deutschen Kaiser“, links spazierten die Bürgerlichen auf und ab. So sieht man an den Thürbogen gothischer Kirchen einerseits die Geistlichkeit, andererseits die weltliche Gesellschaft.

Fritz Hagemann, im Frack, hatte sich zuerst eingefunden. Der Hoffourier machte ihn mit Aschau bekannt, der seiner Gebieterin vorausgefahren war. Als dieser mit hochgezogenen Brauen nach Hagemanns Wünschen fragte, kam er übel an. „Erlauben Sie,“ antwortete Hagemann und warf sich in die Brust, „es ist doch selbstverständlich, daß ich und meine Tochter die Prinzessin auf meinem Grund und Boden willkommen heißen. Sonst wünsche ich nichts, aber das werd’ ich thun.“

Aschau setzte seinen Kneifer auf und betrachtete den Mann mit Staunen. Dann reichte er ihm die Hand und sagte trocken: „Sehr hübsch von Ihnen. Bitte, mich Fräulein Tochter vorzustellen.“

„Sie ist noch nicht da, wird aber kommen. Und unser Bürgermeister und die Gemeinderäthe kommen auch. Wir sind zwar Kleinstädter, aber nicht ohne Lebensart.“

Dann gingen beide im Hause von Zimmer zu Zimmer, zuletzt auch in die Küche. „Potztausend,“ sagte der Hofmarschall, „da haben wir ja einen Spieß!“

Hagemann schmunzelte. „Wir sind nur Kleinstädter, aber den Unterschied zwischen Spießbraten und anderem Braten kennen wir doch!“

„Das freut mich, freut mich außerordentlich,“ sagte Aschau mit einem zärtlichen Blick auf die Vorrichtung. „Auch ich bin für den Spieß.“ Er sah umher. „Die Küche ist sehr geräumig – fließendes Wasser, große Anrichte, Uhr über dem Herde . . . Herr Hagemann, ich wette, Sie sind ein Gourmand!“

„Ich will mich nicht rühmen, aber – auf gute Küche halte ich allerdings.“

„Das Thier nährt sich; der Mensch ißt; der Mann von Geist allein versteht zu essen.“

Hagemanns Gesicht strahlte vor Vergnügen. „Mir aus der Seele gesprochen, und wenn ich mir bei näherer Bekanntschaft erlauben darf, Herrn Baron zu Tisch zu bitten –“

„Sehr liebenswürdig. Leider bin ich von früh bis spät außerordentlich in Anspruch genommen, indes“ – er klopfte Fritz Hagemann auf die Schulter – „wir werden näher bekannt werden!“

Sie gefielen sich gegenseitig, doch da kam die vornehme Gesellschaft, darunter eine russische Fürstin, und nahm den Hofmarschall für sich in Anspruch. Indes blieb Hagemann nicht lange allein. Die Väter der Stadt erschienen, und dann schritt Siegfried Leisewitz mit dem Machtbewußtsein eines Herrschers an der Schutzwache vorüber in den Garten, schwenkte grüßend den Hut gegen den Hofmatschall, gesellte sich aber dann zu den Bürgerlichen. Denn seitdem er Fräulein Hagemann gesehen, gestern im Wagen, heute am Fenster, zog ihn alles, was zu Wörde gehörte, magnetisch an. Land und Leute, zumal der biedere Hagemann, mit dem er gestern bis spät in die Nacht in der „Sonne“ gesessen hatte, gefielen ihm außerordentlich. Dafür hatte aber auch er die Herzen der „Sonnenbrüder“, wie sich die Stammgäste der Gastwirthschaft nannten, im Sturm erobert. Er war unerschöpflich in Schnurren und Schwänken, er konnte Negerlieder und Schnaderhüpfeln singen, den Csardas tanzen wie den Schuhplattler. Die „Sonnenbrüder“ waren sonst gegen Fremde mißtrauisch und zugeknöpft, doch diesem Kauz widerstanden sie nicht. Sie verziehen ihm sogar das Kopfweh, mit dem sie heute erwacht waren, und die Frauen und Mädchen, als sie den Verführer ihrer Gatten und Väter sahen, verziehen ihm auch.

Endlich erschien auch Emma. Sie trug einen mächtigen Rosenstrauß für die Prinzessin und glühte selbst wie eine Rose, als sie an der Seite ihres Vaters den Sänger erblickte. Hagemann stellte seine Tochter mit Stolz dem neben ihm stehenden Leisewitz vor und dieser verneigte sich vor ihr, wie er sonst nur bei einem Hervorruf gegen die fürstliche Loge sich verneigte. Emma sah auf die Rosen nieder, mehr schelmisch als schüchtern, denn sie dachte an die gestrige Unterhaltung mit dem Vater. Er war der beste, der klügste aller Väter, doch in Bezug auf ihren Geschmack täuschte er sich. Dann schlug sie die Wimpern auf, und die Blicke der zwei schönen Menschenkinder begegneten sich. Gleich darauf entstand eine Bewegung unter den Leuten auf der Straße, und Stenzel, der auf dem Gartensöller stand, sah sich nach dem Hofmarschall um und streckte den Arm in die Höhe, was der Verabredung gemäß hieß: sie kommen!

Alle eilten dem Eingang zu, und die Adeligen rechts, die Bürgerlichen links bildeten eine Ehrengasse, denn der Viererzug durfte auf Befehl Ernas, die bei jedem Gedränge unruhig und ängstlich wurde, nicht in den Garten einfahren. Sie stieg mit ihren Damen am Eingang ab.

Der erste Blick der Prinzessin fiel auf die ihr bekannte russische Fürstin. „Meine theure Fürstin,“ sagte sie auf französisch, „wie freue ich mich, Sie hier zu sehen.“ Und Fragen und Antworten folgten einander wie Blitz auf Blitz, denn die beiden Damen waren sich lange nicht mehr begegnet. Herr von Aschau hielt Emma an der Hand. „Hoheit,“ sprach er in einem günstigen Augenblick, „Fräulein Hagemann, die Tochter unseres Hauswirthes, bittet Ihre Hoheit, diese Rosen als Willkommgruß gnädigst anzuuehmen.“

„Wie hübsch!“ sagte die Prinzessin und nahm die Rosen. „Sie verpflichten mich sehr, mein Fräulein; ich liebe Blumen –“ sie sah das Mädchen an und setzte dann, einen Ton wärmer, hinzu: „wie alles Schöne. Ich finde Wörde sehr hübsch. Und beim ersten Schritte treffe ich eine Freundin und eine so liebliche Blnmenspenderin. Ich werde Sie bitten lassen, mich zu besuchen.“ Und sie zog Emma sanft an sich und küßte sie auf die Stirn.

„Das Mädchen ist eine Schönheit,“ sagte Gräfin Casasola, die den neuesten und rothesten Pariser Sommerhut trug, „aber der geschlossene Hut kleidet sie nicht. Sie erinnert mich an die Klosterschule und an deutsche Romane.“

Jetzt wurde die Prinzessin den Sänger gewahr. „Sieh da, Herr Leisewitz! Wie kommen Sie nach Wörde? Doch ja, Aschau hat mir von Ihrem Sommerplan schon vor längerer Zeit erzählt. Unterhalten Sie sich gut?“ Sie fragte leichthin und blickte dabei schon auf die schwarzgekleideten Stadtherren. „Herr Bürgermeister Segeberg,“ stellte Aschau die einzelnen vor, „Herr Fritz Hagemann – – – –“

Der Empfang war vorüber. An einem anderen Tage würde Leisewitz über die kühle Ansprache der Prinzessin verstimmt gewesen sein, heute zuckte er nur die Schultern. Was liegt daran? dachte er, als er Emma Hagemann durch das Gedränge der Straße führte; wie glücklich würde er gewesen sein, die Hand, die leicht auf seinem Arm ruhte, drücken zu dürfen; doch zum ersten Mal fühlte er sich blöde. Als ihm Emma die Hand entzog, weil der Weg freier wurde, seufzte er, seufzte aufrichtig; es ging sich so wunderbar leicht mit diesem sanften Druck auf dem Arm – man ging nicht, man schwebte!

„Die Prinzessin hat mich bezaubert,“ sagte Emma.

„Das beruht wohl auf Gegenseitigkeit, denn sie ist sonst sehr kühl; immer höflich, aber unnahbar.“

„Ich beneide ihre Begleiterinnen dennoch.“

„Sie brauchen niemand in der Welt zu beneiden, liebes Fräulein,“ rief er treuherzig, „am allerwenigsten jene. Sehen Sie, da ist mein Freund, Herr von Aschau, der Herr mit dem rothen Backenbart dort, der Sie vorstellte! Er ift Hofmarschall. Klingt das nicht hübsch ? Und über Jahr und Tag ist er Excellenz, das klingt noch hübscher. Unsereins hat ja auch das eine und andere Ritterkreuz“ – er schielte auf die bunten Bändchen in seinem Knopfloch – „aber Freund Aschau hat Halsorden in allen Farben und über Jahr und Tag funkelt seine Brust wie ein Juwelierladen. Glauben Sie nun, daß ich mit ihm tauschen möchte? Nicht auf einen Tag, nicht auf eine Stunde! Denn das Köstlichste fehlt ihm: er ist nicht unabhängig. In mancher Hinsicht sind wir Künstler das ja auch nicht – der nächste beste Tintenverschwender kann mich in seinem Blatte herunterreißen. Aber ich bin auch frei wie der Vogel: der singt sein Lied und fliegt dahin.“ Und Siegfried rollte die Augen gen Himmel, zu den Möwen, die allerdings keine Singvögel sind.

„Man sagt, daß die Prinzessin leidend sei?“

„Sie leidet hauptsächlich an Langerweile. Ihr Schloß Solitude leistet in dieser Beziehung nicht viel weniger als das gesegnete Wahndorf.“

„War Ihnen Wahndorf wirklich so schrecklich? Mein Vater

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 494. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_494.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2023)