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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

am meisten liebte, in gehörigen Zwischenräumen und mit innigem Behagen dazu zu schlürfen pflegte. Und wenn im Keller die Lunte an einem Pulverfaß geglimmt und der Haushofmeister es gewußt hätte, er hätte seinen Herrn beim Fischessen nicht eher als im allerletzten Augenblick zu unterbrechen gewagt! Jetzt aber, da der Wildenfelser mit einem behaglichen Seufzer den Teller von sich schob, hatte sich der alte getreue Diener ihm respektvoll genähert und stand dicht an seinem linken Ellbogen.

„Hochwürden –“

„Nun?“ Das schöne heitere Gesicht des Domherrn mit dem ansehnlichen Doppelkinn wendete sich gelassen halb um. Da weiter nichts erfolgte, sah er den Haushofmeister an und dann fuhr sein Kopf schnell genug herum nach der Thür, um dasjenige zu entdecken, was sich in den Zügen des Dieners eben als maßloser Schrecken widergespiegelt hatte. Und da allerdings war auch er betroffen. Schon fast mitten im Gemach standen zwei fremde Figuren, von denen man nicht begriff, wie sie durch das stets wohlbewachte Haus und ohne Anmeldung bis hierher gekommen waren in die Gegenwart des Herrn.

Herr Engelbert runzelte leicht die Stirn über der kräftig gebogenen Nase. Er war Kanonikus, aber vor allem ein großer Herr, der es nicht liebte, wenn in seinem Hause jemand die Form mißachtete, und nun gar durch Schuld seiner Diener. Dem scharfen Frageblick begegnete aber auch sogleich die bittende Gebärde des Haushofmeisters, der hastig flüsterte. „Hochwürden, sie sind hereingekommen, unvermerkt, als bei dem Windstoß vorhin die Lichter verlöschten. Sie heischen Schutz von Euerer Hochwürden und so ernstlich, daß ich sie nicht abweisen mochte. Zudem kennt Ihr den Alten, er kam als Bote –“

„Ha, von meinem Vetter Nievern, ganz recht!“ sagte der Wildenfelser, ein wenig milder.

„Ich wollte sie draußen behalten, bis Ihr abgespeist hättet, obwohl sie drängten ...“

„Laß, es thut nichts,“ sagte der Domherr rasch aufstehend. Er hatte jetzt erst in der einen der beiben Gestalten, die dicht verhüllt war, aber eben wie ungeduldig ihr Kopftuch lüftete, ein schlankes Mädchen mit hellem jugendlichen Antlitz erkannt. Nun trat er hinzu, federnden Schrittes, der schöne Mann in der gefälligen geistlichen Haustracht, und sah voll Erstaunen und Antheil seinen räthselhaften Besuch genauer an, während aus einem der hübschesten Gesichter, die er je erblickt hatte, ein Paar scharfer Blauaugen mit einem ganz eigenen Gemisch von Scheu und trotziger Keckheit auf ihn gerichtet war. „Nun, Alter, was heißt das?“ fragte er endlich den Begleiter des Mägdleins.

Der, ein kleiner verwitterter Graubart, sagte halblaut: „Das ist nur für die Ohren Euerer Hochwürden; schickt, ich bitte Euch, Euer Gesinde hinaus; die Jungfer da ist gar scheu und ihr Schicksal wunderlich ...“

„Das scheint so, da sie in Euerem Geleite reist,“ lachte der Wildenfelser kurz, aber er winkte seinen Leuten zu, worauf sie sich sämtlich entfernten, der Haushofmeister aber nicht eher, als bis er die Schüssel mit den Feldhühnern sorglich zugedeckt und in der Nähe des Kaminfeuers niedergesetzt hatte.

„Kommt, mein Kind,“ sagte jetzt der Domherr gütig und griff nach der Hand des Mädchens. „Erwärmt Euch hier, während ich erfahre, welcherlei Beistand Euch frommt! Ihr seid in gar üblem Wetter unterwegs gewesen.“

Davon zeugte allerdings das feuchte Regentuch der Fremden und die perlenden Tropfen, zu welchen sich der Schnee in dem blonden Kraushaar über ihrer Stirn aufgelöst hatte. Sie ließ sich, wohl aus Schüchternheit, an steifem Arm in die Nähe des Marmorkamins mehr ziehen als führen und hatte noch nicht die Lippen voneinander gebracht. Ihr Begleiter sah zu und es zuckte wunderlich über sein Gesicht mit den tausend Runzeln und Fältchen, als der menschenfreundliche Hausherr jetzt mit drei Fingern dem fremden Kind unter das Kinn griff, um ihr Antlitz zu besserer Betrachtung ein wenig emporzuheben. Sie war ja so blutjung – er blickte angelegentlich forschend in dies reizvolle längliche Gesicht, das sich jetzt unter seiner Berührung mit Purpur überzog, während die Lider wie festgeleimt auf den Augen blieben, und sagte endlich ermuthigend: „Fürchtet Euch nicht; Euere hilflose Jugend spricht für Euch, noch ehe Ihr den Mund geöffnet habt. Schwerlich könnt Ihr Ernstliches verschuldet haben und gewiß nichts gegen unsere heilige Kirche –“

Dabei glitt sein Blick an ihr nieder, die, soweit er bei ihren Hüllen sehen konnte, von noch ganz unentwickelten Formen war, und das Kennerauge wurde eben durch den schmalen langen Fuß gefesselt, der so fest auf seinem Estrich stand, da – kaum wußte er, wie ihm geschah – da entzog sie sich mit einem kräftigen, ja ungebärdigen Ruck seiner Berührung und dabei stampfte der eben bewunderte Fuß den Boden, während sie ausrief: „So redet doch, Strieger, daß der hochwürdige Herr nicht länger betrogen werde! Das kommt von dem verwünschten Aufputz! Meine Schuld war es nicht, Herr von Wildenfels!“

Es klang wie scharfe kindische Ungeduld durch die helle Stimme, und dabei zerrte das Mägdlein befremdlich an ihrem Anzug, von dem das Regentuch abgeglitten war, als ob alles sie drücke und einenge. Das Gewand war ein halb ländliches; offenbar war sie, die ihrer herrischen Art nach einem ganz andern Stande angehörte, desselben ungewohnt. Das aber war es nicht allein, weshalb der Domherr sie jetzt so verständnißlos anstarrte, bis endlich der mit Strieger angeredete Moosbart sich vernehmen ließ. „Ihr seid leider im Irrthum, Herr, wenn Ihr annehmt, daß wir mit der Geistlichkeit nichts zu schaffen hätten. Mehr, als uns lieb ist – fragt den da!“

„Wen?“ schrie jetzt Herr Engelbert, an den Rand seiner Geduld gebracht durch alle diese Räthsel, hinter denen er nunmehr nur Ungelegenheiten witterte und allerlei, was seiner Ruhe bedrohlich schien. „Was für Gauklerpack habe ich hier?“

Da trat jener adlige Fuß mit einem Male fest vor ihn hin, ein Paar trotziger Blauaugen sprühte ihn an und von einer bebenden Knabenstimme – daß er sie jetzt erst erkannte! – kamen die Worte: „Keine Gaukler, Herr von Wildenfels, vielmehr einen, dessen Wappenschild so gut ist wie Eueres! Ich heiße Ludwig von Leyen – der da ist mein Diener, treu wie Gold, wenn auch wunderlich. Ihr seht den vor Euch, dem die schnödeste Unbill widerfahren ist, von der ihr je Kunde erhalten habt! Das habt Ihr wohl nicht gedacht, als Ihr so frank und frei vorbeirittet an dem Gitter unseres Gefängnisses mit dem Nievern, meinem guten Bekannten aus der Heimath, und ich Euch zuwinkte, weil zu rufen mir versagt war in meiner schändlichen Sklaverei –“

„Wo? Was schwatzt der Bursch? Wo soll ich ihn gesehen haben? Ich weiß von nichts!“ rief der sonst gütige Herr scharf, wie er selten zu sein pflegte.

„Ich sagt’ Euch schon, ich bin der Junker Ludwig von Leyen,“ wiederholte darauf das falsche Jüngferchen stolz. „Und die mich nach St. Menehould brachten, mit Zwang, und dort festhielten, das waren –“

„St. Menehould! Gott sei mir gnädig! Ich ahnte es! Ein entlaufener Jesuitenschüler!“ rief der Domherr und rannte wie unsinnig im Gemach auf und nieder. Der würdige behäbige Herr war nicht mehr zu kennen, „Und zu mir kommt man, bringt mir die Fährte ins Haus, hetzt mir die Väter von St. Menehould auf den Hals – tausend, zehntausend Gulden gäb’ ich dafür, daß dies nicht geschehen wäre!“

Lutz von Leyen, obwohl seinen Jahren voran an Gestalt und Muth, war am Ende doch noch ein Kind. Jetzt schossen ihm die Thränen heran und wollten sich nicht zurückhalten lassen bei dem Gegensatz dessen, was ihm der Strieger von dem Domherrn hatte hoffen lassen und was er jetzt erfuhr. Aber er schluckte sie tapfer; sie erhöhte nur den Glanz seiner Augen, als er jetzt mit klingender Stimme sagte: „Wollt Ihr mich meinen Kerkermeistern, den Jesuiten, wieder ausliefern, Herr? Versucht es, wenn Ihr’s übers Herz bringen könnt – aber eher springe ich hier zum Fenster hinaus oder thu’ mir sonst etwas an, ehe sie mich lebendig kriegen. Ich hätte mich tot gehungert dort, so sauer es mir geworden wäre – denn die Kost bei ihnen ist gut, das muß wahr bleiben – wenn ich nicht immer gedacht hätte: die Polyxene wird mich nimmermehr so im Stiche lassen. Und nun, da ich weiß, warum, da sie mein armes Bäschen ins Kloster gesperrt haben, wo sie sich gewiß tot grämt, nun will ich auch nicht einen Tag mehr länger leben, den ich nicht frei bin ...“ Seine Stimme brach – er wandte sich ab und drückte die Fäuste in die Augen.

Zur Ehre des Herrn von Wildenfels sei es gesagt, daß sein Anfall ärgerlicher, verzweifelt übler Laune schon vorüber war – einem Mann übrigens allenfalls zu verzeihen, dessen leckere Mahlzeit so jäh unterbrochen worden. Seine Feldhühner verschmorten und verdarben da am Feuer, und an ihrer Statt wurde ihm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 520. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_520.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2021)