Seite:Die Gartenlaube (1893) 539.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Ansicht vieles für sich. Mußte es schon bedenklich erscheinen, eine Anstalt für deutsche Schriftsteller zu gründen, welche z. B. einen Goethe, einen Schiller, einen Lessing, einen Virchow und Helmholtz, einen Wildenbruch und Wichert ausgeschlossen hätte, so kam dazu, daß die bestehenden örtlichen Schriftstellervereinigungen überall die Grenzen ihrer Zugehörigkeit weiter ausgedehnt haben, ohne dadurch in ihrem Charakter als Berufsvereine beeinträchtigt zu werden. Auch der „Augustinusverein zur Pflege der katholischen Presse“ umfaßt außer den Redakteuren und schreibenden Mitarheitern noch Verleger und Redaktionsbeamte. Und schließlich war nicht zu unterschätzen, daß durch die Erweiterung des Rahmens der Mitgliedschaft nicht bloß die Zahl der Beitragleistenden erhöht wurde, sondern auch die Zahl derjenigen, welche an der Herbeiführung außerordentlicher Einnahmen mitzuarbeiten sich verpflchteten. So hat denn auch diese Auffassung den Sieg davongetragen. Daß auch Frauen eintreten dürfen, darüber bestand kein Zweifel.

Die Pensionsanstalt ist in erster Linie dazu berufen, ihren Mitgliedern die das 60. Lebensjahr überschritten haben, oder solchen, die früher erwerbsunfähig werden, ein Ruhegehalt zu sichern. An eine Versorgung der Hinterbliebenen soll erst dann herangetreten werden, wenn sich das Vermögen der Anstalt genügend gekräftigt haben wird. Wie die Beiträge der Mitglieder einerseits, die Leistungen der Anstalt andererseits geregelt sind, das hier auseinanderzusetzen, würde zu weit führen. Jeder, den die Sache näher angeht, wird sich ja die Satzungen der „Pensionsanstalt deutscher Journalisten und Schriftsteller“ mühelos verschaffen können. Ein Punkt aber verdient besondere Erwähnung: man könnte ihn den „Vergnügungszwang“ nennen. Ein Abschnitt des § 4 bestimmt nämlich: „Jedes Mitglied übernimmt die Pflicht, nach Kräften zur Veranstaltung von Festlichkeiten und Vergnügungen beizutragen, durch deren Erträgnisse außerordentliche Einnahmen für die Anstalt erzielt werden. Erreichen in einem Jahre diese Einnahmen nicht eine Summe, die einem Betrage von 10 Mark für jedes am Jahresschlusse vorhandene Mitglied gleichkommt, so ist der Fehlbetrag durch Umlage zu decken.“ Die deutschen Schriftsteller haben also zur Sicherstellung ihres Alters nicht bloß zu sparen und zu zahlen sondern auch vergnügt zu sein, und da sie im allgemeinen ein Völkchen sind, das des Lebens heitere Seite gern betrachtet, so wird ihnen diese Verpflichtung nicht allzu bedrohlich erscheinen, noch weniger, wenn sie erfahren, welche Summen auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen, aber immer noch lustigen Wege „gemacht“ werden können. Der wenig zahlreiche Verein „Dresdener Presse“ verdankte ihm in sieben Jahren eine Einnahme voll 40000 Mark, der Münchener Journalisten- und Schriftstellerverein einem einzigen Feste 11000 Mark u. s. f. Es ist also zu hoffen, daß aus dem Gesamtvergnügen der deutschen Schriftstellerwelt und der ihr nahestehenden Freunde und Gönner ein recht erklecklicher Betrag herausspringen werde, zur Freude derer, welche die Waffen haben niederlegen müssen. Wenn sich dann auch noch die anderen Hoffnungen erfüllen, welche auf die Erschließung außerordentlicher Einnahmequellen gesetzt werden – Beiträge der Verleger, Freiexemplare, Lotterien, Reklamesteuer u. dgl. m. – dann dürfen die künftigen Pensionäre der neuen Anstalt beruhigt sein, dann wird auch für manchen Akt außerordentlicher Wohlthätigkeit ein Scherflein übrig bleiben.


Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.

Die Wengernalpbahn im Berner Oberland.

Von Alexander Francke.

Wer ein fremdes Land bereisen will, sollte sich nach einem Ausspruch Riehls zu Hause so gut vorbereiten, daß er den Einheimischen über ihr eigenes Land und dessen Bewohner Auskunft geben könnte. Ebenso sollte der Beuncher des Berner Oberlandes nicht geradeswegs ins Herz desselben, nach Interlaken, fahren, sondern einen oder zwei Tage in Bern Halt machen, um von hier aus mit spähendem Auge die Gebirgszüge zu gliedern, die den südlichen Horizont so unvergleichlich schön begrenzen. Alle die Größen, die uns im Oberland in ihrer Einzelwirkung oder in kleinen Gruppen imponieren – von Bern aus erscheinen sie als ein harmonischer Gesamtbau, wie von schöpferischer Künstlerhand angeordnet. Vorberge, die, vom Thunersee aus gesehen, so hoch ragen, daß die viel höheren Eisberge völlig hinter ihnen verschwinden, rücken für den Berner Beobachter in ihr richtiges Größenverhältniß und schmiegen sich bescheiden an den Fuß des Riesenwalles, der die Grenze zwischen Bern und Wallis bildet. Wer von einem der zahlreichen schönen Punkte in Berns Umgebung, der Kleinen oder Großen Schanze, dem Schänzli, der Enge oder gar von dem tausend Fuß über der Stadt gelegenen Gurten dieses Alpenpanorama genießt und an einem wolkenlosen Sommerabend das Glück hat, jene wunberbare Farbenskala zu sehen: das Grün der nahen Matten, das Blauschwarz der bewaldeten Höhenzüge, das lichte Braun der Vorberge und endlich das immer tiefer werdende Roth der Firnen und Gletscher, der wird diesen Anblick zu den erhebendsten Naturgenüssen zählen, die ihm je zu theil geworden sind, aber er wird auch ein unwiderstehliches Verlangen spüren, die Berge, die sich ihm so herrlich gezeigt, aus der Nähe kennenzulernen.

Vor allem ist es die Mittelgruppe, welche die Aufmerksamkeit auf sich zieht: Jungfrau, Mönch und Eiger. Während am Westende Altels, Dolbenhorn und Blümlisalp, im Osten Wetterhorn, Schreckhorn und Finsteraarhorn jedes einzeln zum Himmel aufstreben, bilden die genannten Drei ein zusammenhängendes Ganzes von majestätischer Ruhe und vollendetem Ebenmaß der Linien. Von dieser dreizackigen, alles überragenden Krone aus ergiebt sich die Gliederung der Gebirgszüge und Gipfel, deren Zahl dem Fremden anfänglich verwirrend groß erscheint, fast von selbst. Rechts die nahezu senkrecht erscheinende, mächtige Eiswand ist dieselbe, welche man in Mürren zum Greifen nahe vor sich hat: von dem Einschnitt des berüchtigten Lawinenthors bis zur Kuppe des Breithorns, welches das Lauterbrunner Thal abschließt. Etwas vorgelagert, erheben sich die nur dem Kletterer zugänglichen Thürme des Gspaltenhorns, die blendend weißen Schneemassen der Blümlisalp, das seinen Fuß im Oeschinensee badende Doldenhorn und ganz im Osten das Balmhorn mit der Altels, deren mächtiges Schneedreieck bis auf den Gemmipaß hinunterreicht. Die schöne dunkle Pyramide zur Rechten der Blümlisalp ist der Niesen, dessen im Albristhorn bei Adelboden gipfelnde Kette das Kandel- und Simmenthal voneinander trennt. Er wetteifert an Schönheit der Aussicht mit seinem Nachbar, dem Stockhorn. Diesseit vom Niesen weitet sich das Becken des Thunersees. Jener Felskamm, der Sigriswyler Grat, über den die Zacken der Höhen von Beatenberg, das Gemmenalphorn, hervorlugen, steht bereits am Nordufer des Sees, während die beiden unter der Jungfrau sichtbaren Höhenzüge seine südliche Einfassung bilden. Der höhere derselben, das breite Dach der Sulegg, die wilde Schwalmeren und das Schilthorn, bergen an ihrem Südabhang auf grüner Terrasse über jäher Felswand die Aussichtsjuwele Eisenfluh und Mürren; der niedrigere, der Leissigergrat, trägt auch zwei Berühmtheiten auf seinem Rücken, den Abendberg und die Heimwehfluh, die, von Interlaken aus leicht zugänglich, einen köstlichen Ausblick auf das Böbeli, die beiden Seen und das Hochgebirge gewähren.

Ich merke es schon, der geneigte Leser möchte nun, unversehens am Eingang des Lauterbrunner Thals angelangt, schnurstracks hinauf „zu der Berge dunkelschattiger Wand, wo sie blüh’n, die Alpenrosen“. Nur noch einen Augeblick Geduld, damit wir auch im östlichen Theil des Oberlandes uns schnell orientieren können. Hier auf dem Aussichtshügel der Großen Schanze bei Bern, zu unseren Füßen die ehrwürdige Zähringerstadt mit ihrem machtvoll aufwärts strebenden Münsterthurm, verlohnt sich’s wohl, noch etwas zu weilen und, wiederum von der Jungfraugruppe ausgehend, die Augen links hinüberschweifen zu lassen. An zwei Eiszacken den Viescherhörnern, vom Eiger herunterkletternd gelangen wir zum höchsten der von Bern aus sichtbaren Berge, dem Finsteraarhorn (4275 Meter) und zu dem ebenso unnahbar aussehenden Schreckhorn, neben welchem das Wetterhorn einen schier gemächlichen Eindruck macht. Ganz im Osten schimmert es weiß über den Brienzergrat herüber: das Triftgebiet, die Grenze des Kantons Bern gegen Uri bezeichnend. Die dunkle Linie vor dem Wetter- und Schreckhorn ist die Faulhorngruppe mit dem Gipfel gleichen Namens und dem Schwarzhorn und WIldgerst. Von dieser Höhe stürzt, durch den vorgelagerten Brienzergrat für uns verdeckt, der Gießbach in sieben tannenumrahmten Absätzen in den Brienzersee, den träumerischen Genossen des Thunersees, die miteinander, ein seelenvolles Augenpaar, dem Oberland Reiz und Leben verleihen.

Folgt man mit den Blicken der schräg nach links verlaufenden Linie des Eiger, so würde man, auf den Thalboden gelangt, nach Grindelwald kommen, und steigt man am Westabsturz der Jungfrau über das sogenannte „Rothe Brett“ senkrecht in die Tiefe, so befindet man sich in Lauterbrunnen. Lauterbrunnen und Grindelwald, das sind Ausgangs- und Zielpunkt einer Fahrt, zu der ich heute den Leser einladen möchte. Ganz so schnell wie soeben mit den Blicken wird es zwar nicht gehen, aber doch viel schneller und müheloser, als es bisher möglich war. Zwischen beiden Orten liegt nämlich

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_539.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)