Seite:Die Gartenlaube (1893) 544.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

„Wenn Du willst, daß wir allein bleiben, so nimm Platz!“ Ihre Stimme klang ihr selber fremd.

Nach einigem Zaudern folgte Leisewitz ihrer Aufforderung. Daß es einmal zur Aussprache kommen werde, hatte er sich längst gesagt, boch daß sie diesen Ton in der Kehle hätte – aber so kann man sich in seinen nächsten Bekannten irren!

„Kommst Du aus großer Gesellschaft oder wirst Du erwartet?“ fragte sie mit einem Blick aus seinen Frack.

„Ich gehe in Gesellschaft.“

„Nach Solitude?“

„Wohin sonst! Hofsänger – Hofsklave! Doch habe ich noch eine ganze halbe Stunde Zeit.“

„Siegfried, geh’ heute nicht nach Solitude, verbringe den Abend bei uns!“

„Das geht nicht, Kind – morgen, übermorgen, die ganze Woche stehe ich zu Deiner Verfügung, wenn Du willst, aber nicht heute.“

Sie faltete die Hände. „Ich bitte Dich!“

„Es schmerzt mich, aber ich kann nicht. Zur Absage ist es jetzt zu spät.“

„Mir gegenüber warst Du nie um Gründe zur Absage verlegen.“ Sie trat ihm näher. „Wenn Dn mich liebst, bleibst Du!“

„Niemand kann Dich mehr lieben als ich! Aber verlange nicht, daß ich meine Stellung gefährde! Der Fürst –“

„Lüge nicht!“ unterbrach sie ihn heftig. „Was liegt Dir am Fürsten! Es sind ganz andere Dinge, die Dich nach dem Schlosse ziehen. O, ich weiß, man spricht darüber in der Stadt, man spricht über mich und bedauert mich – wie Du siehst, bin ich unterrichtet. Mache Dich nicht durch Leugnen verächtlich!“

Er fuhr trotzig auf. „Nun ja, wir Künstler bedürfen der Anregung. Der Prunk und Glanz und Duft fürstlicher Gemächer regt mich an. Ich bin kein Alltagsmensch, dem das Gewöhnliche genügt – ich bin ein Künstler, und jene strahlende Welt belebt, begeistert, berauscht mich!“

„Und darum hast Du Dir die Braut aus einem Bürgerhaus gewählt? Sie sorgt für die Prosa des Lebens; die Poesie suchst Du Dir dann hinter Thüren, die ihr verschlossen sind! Diese Poesie! Robert Lenz ist auch ein Künstler, aber ich sehe nicht, daß er um Prunk und Glanz und Gunst buhlt.“

„Ha, daher weht der Wind?“ rief Leisewitz in eifersüchtiger Aufwallung. „Herr Lenz, ja freilich! Was würdest Du sagen, wenn ich von Dir verlangte, diesen Mann nicht mehr zu empfangen?“

„Ich würde sagen, Du seist ungerecht, aber mich Deinem Wunsche fügen.“

Er war geschlagen und schwieg. Emma sah ihn an, während er die Augen wegwandte. Er sah hübscher denn je aus; sogar im Mißmuth hatte sein Gesicht einen kindlichen Zug, der sie rührte. War es denn möglich, daß sie von ihm scheiden mußte, daß er sie verließ? Mußte es denn heute entschieden werden? Aber sie gab dieser Regung der Schwäche nicht nach. Mit einem Ruck stand sie wieder aufrecht und unnahbar wie bei Siegfrieds Eintritt.

„Wozu der Streit? Bleib’ und alles ist vergessen; geh’ und alles ist zu Ende!“

„Was soll das heißen? Du – Du? Klatsch, blinde Eifersucht könnten Dich dahin bringen –“

„Wie kann ich auf ein Phantom eifersüchtig sein! Denn einem Phantom jagst Du nach!“

Sie ahnte nicht, wie tief sie ihn damit kränkte! Seine ganze Eitelkeit bäumte sich auf und machte allem Schwanken ein Ende.

„Da ich einem Phantom nachjage – so laß mich jagen!“

„Du giebst also Deine Treulosigteit zu. Geh denn, aber für immer!“

Er wiegte sich hin und her. „Kann ich Deinen Vater sprechen?“

„Nein. Er ist einig mit mir.“

„Nun denn – Du willst es mit Gewalt – freilich, Herr Robert Lenz –“

Sie hob stolz abwehrend die Hand.

Er griff nach seinem Mantel. „Ich komme niemals wieder. Denn daß Du es nur weißt: wenn Du mich so verabschiedest, trennt uns binnen wenigen Tagen der Ocean.“

„Er ist nicht so tief wie die Kluft, die heute sich zwischen uns aufthat.“

Leisewitz schwang den Mantel über die Schulter, trat aber doch einen Schritt näher. „Auf Wiedersehen, Emma!“

„Nein!“

Er sah sie an, aber sein Blick war machtlos. „Ich werde Dir morgen schreiben.“

„Ich nehme Briefe von fremder Hand nicht an.“

„Also dann – lebwohl!“

Sie horchte, wie sein Schritt im Flur verhallte; er zauderte nicht, es war sein gewöhnlicher beschwingter Gang. Dann schlug sie die Hände über das Gesicht und stöhnte: „Verlassen!“

Wenige Minuten später fuhr Leisewitz durch die hellerleuchteten, aber menschenleeren Straßen. Der Sturm beunruhigte die Pferde; zuweilen mußte das Gefährt fast halten, doch Leisewitz dachte nicht daran, auszusteigen und in die Arme der verlassenen Braut zurückzukehren. „Ich jage nach einem Phantom?“ sagte er. „Wie beschämt wird sie sein! Es ist gut so. Wir würden eins dem andern zur Geißel geworden sein. Ihr fehlt der Schwung, der göttliche Leichtsinn. – Nein, nein, Fräulein Emma, ich jage keinem Phantom nach, ich gehe sicher! Die Welt wird staunen!“

Das windumbrauste Schloß stand unter den gepeitschten Bäumen in allen Fenstern hell, festlich wie ein lächelnder goldbetreßter Marquis. Leisewitz sprang aus dem Wagen und eilte die Treppe hinauf. Die Bedienten in der Halle verbeugten sich tief – er war ja in höchster Gnade!

Prinzessin Erna war heute verführerisch schön, allerdings nicht ohne einige künstliche Nachhilfen, doch Leisewitz war an solche Kunst gewöhnt. Sie empfing ihn in ihrem Musikzimmer; wie während der letzten Wochen immer war nur Gräfin Casasola bei ihr.

„Der Sturm hat Sie nicht abgehalten, das ist hübsch von Ihnen,“ sagte Erna und ließ ihm ihre Hand zum Kuß.

„Der Sturm? Mich würde kein Erdbeben zurückhalten!“

„Wirklich?“

Er legte die ringgeschmückte Hand auf die Brust. Sie sah ihn durchbohrend an. Sie will in meinem Herzen lesen, dachte er. Ein Diener brachte Thee; sie plauderten über Politik, über das Theater. Der Diener ging.

„Seine Hoheit der Fürst kommt nicht?“ fragte Leisewitz.

„Nein,“ antwortete sie rasch. „Papa würde uns ja nicht stören, aber es wird auch sonst niemand, niemand angenommen. Wir sind heute ganz allein, ganz unter uns.“

Und dann sang er. Er sang heute weniger gut als sonst; der Auftritt mit Emma hatte doch auf seine Nerven gewirkt – und dann das Kommende! Doch die Prinzessin fand seinen Gesang wundervoll. Die Zeit verflog ihm. Eine Uhr schlug mit feinem Silberstimmchen Zehn.

„Wie die Zeit vergehst“ sagte Erna. „Und Ihre arme Braut verbringt die Abende allein?“

„Ich habe keine Braut mehr; wir haben die Verbindung gelöst.“

Erna setzte sich aufrecht. „Sie haben das arme Kind geopfert?!“ rief sie.

„Ich würde – würde“ – das Wort Emmas war noch in seinem Gehirn und entschlüpfte ihm – „würde meinem Phantom Eltern, Freunde . . . alles opfern.“

„Hat sie geweint?“

Er erinnerte sich jetzt und wunderte sich, daß Emma auf das gewöhnliche Rührmittel der Thränen verzichtet hatte. „Ja,“ sagte er leise.

„Es giebt nur eine Erklärung, eine Entschuldigung: Sie lieben sie nicht mehr, Ste lieben eine andere!“

Er schlug die Augen auf und nickte.

„O, ich merkte sofort an Ihrem Gesang, daß Sie heute etwas sehr Trauriges, ein großes Leid erlitten haben. Sie sangen nicht so feurig, sieghaft wie sonst –“

„Der größte Schmerz steht mir bevor. Meine Verhältnisse hier sind unerträglich. Ich ziehe Hoheit ins Vertrauen: ich muß fliehen.“

„Haben Sie Schulden?“ fragte Gräfin Livia trocken.

Leisewitz blickte sie entrüstet an. „Ich bitte –“

„Wie prosaisch Sie sind, Gräfin!“ sprach Erna. „Die ganze Stadt weiß: Herr Leisewitz wühlt in Gold. Sie verdienen nicht sein schönes Vertrauen!“

„So werde ich mit Euerer Hoheit Erlaubniß mich während der Beichte in mein Zimmer zurückziehen.“ Livia schlüpfte durch

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_544.jpg&oldid=- (Version vom 5.9.2022)