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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

den Vorhang, der vor der einen Thür niederhing; zwei andere Thüren waren unverhangen und geschlossen. Sein Blick haftete an jenem Vorhang.

„Fürchten Sie keine Lauscher! Niemand wird uns stören. Fliehen Sie Ihrer Liebe wegen?“

„Ja.“

„Lieben Sie – ich kann es nicht glauben – lieben Sie hoffnungslos?“

„Ach, sie steht hoch über mir; dennoch, dennoch“ – seine Stimme klang leidenschaftlich, trotzdem er nur flüsterte – „dennoch hoffe ich, denn ich liebe sie glühend.“

„Und Sie thun recht damit.“

Nun war er doch betroffen. Er sah sie fragend an; ihre Augen glänzten sinnverwirrend. „Hoheit waren mit meinem Gesang unzufrieden – darf ich noch einmal singen? Mein letztes Lied oder – ach, mein Lied wird Ihnen alles sagen!“

Er ging an den Flügel und sang Heines Verse:

„Entflieh mit mir und sei mein Weib!“

Diesmal hatte seine Stimme ihren alten Zauber. Erna erlag ihm, ein Zittern ging durch ihren Körper, sie ließ sich auf das Kissen fallen und schluchzte. Da lag er ihr zu Füßen und sprach mit inbrünstigem Flehen:

„Ich soll für immer von Dir scheiden?
Unmöglich – Fieber – Wahnsinn –“

Sie richtete sich geisterhaft auf, er jedoch sah die Veränderung in ihren Zügen nicht, hörte nicht das Rascheln des Vorhangs. „Sprich!“ rief er,

„Scheiden ist Tod! Ich will ja leiden,
Doch leben, denn ich liebe Dich!“

Und er umschlang sie. Da fuhr sie wie eine Natter auf und schleuderte ihn mit einem Schrei von sich. Der gelle Ruf brachte den Taumelnden zur Besinnung. Er blickte um sich – der Fürst, der Arzt, die Gräfin eilten auf Erna zu. Sie war jetzt „Gorgonen gleich“; ihre Augen traten aus den Höhlen, bis in die Lippen bleich, hob sie die Arme nnb schrie: „Tötet ihn!“ Dann brach sie in den Armen des Vaters zusammen.

Doktor Walter wollte dem Fürsten die leichte Last abnehmen, doch der Fürst, der nur Augen für sein unglückliches Kind hatte, sagte: „Noch nicht! Zum letzten Mal lassen Sie mich für sie sorgen! Erna, mein Liebling – ah, ihr Herz schlägt!“

„Nur Erschöpfung, keine Ohnmacht; sie darf zunächst nur befreundete Gesichter sehen. Keine Gefahr, Hoheit! Ich bleibe in der Nähe.“

Der Fürst, ohne die Augen von dem Gesicht Ernas wegzuwenden, sagte kurz: „Ich rathe Herrn Leisewitz, seine Abreise zu beschleunigen!“ Dann schritt er mit seiner Last fest und aufrecht durch die Thür.

Leisewitz hatte sich unterdessen gesammelt. „Alles Wahn!“ sagte er und blickte trotzig die Zurückbleibenden an. Doktor Walter zeigte auf einen Stuhl, auf dem der Klapphut Siegfrieds lag. „Ihr Hut liegt dort, Herr Leisewitz!“

„In diese Falle haben Sie mich gelockt,“ versetzte Leisewitz, noch bleich, aber mit fester Stimme. „Ich könnte Genugthuung verlangen, allein Narren sind wir beide nicht, obwohl Sie mich nach dem Vorausgegangenen vielleicht dafür halten. Wie auf der Bühne so im Leben: dem besten Schauspieler kann einmal eine Rolle mißlingen. Was thut das! In ein paar Tagen schwimme ich auf dem Ocean; die Kabelnachricht von meiner bevorstehenden Ankunft wird die Millionenstadt drüben in fieberhafte Aufregung versetzen. Sie halten sich jedenfalls für eine Leuchte, Doktor, aber gehen Sie hinüber, und ich kann Sie versichern, New-York wird ruhig bleiben. Herr Geheimer Hofmedikus, leben Sie wohl!“ Und er verbeugte sich mit dem Anstand eines Dragonerrittmeisters vor der Gräfin und schritt mit dem Stolz eines Hidalgos hinaus.


10.0 Die Friedens-Symphonie.

Der Sturm heulte viele Tage lang durch die Straßen und trieb unendliches Gewölk über die Dächer. Es regnete abwechselnd grob und fein, aber immer. Trotz des abscheulichen Wetters machte Robert Lenz täglich den weiten Weg von seiner Herberge in der Vorstadt nach dem Schillerplatz. Die Nachricht von der plötzlichen Abreise des Sängers war ihm in einem höflichen Schreiben Aschaus mitgetheilt worden; ihr zufolge sehe sich Seine Excellenz leider gezwungen, dem Komponisten die Partitur der Oper Tasso, diese „geistvolle Arbeit“, dankend anbei zurückzustellen.

Anfangs ging Lenz einige Male vergebens; Herr und Fräulein Hagemann, hieß es, seien unpaß und ließen sich entschuldigen. Bald aber entschloß sich Fritz Hagemann, den außer Kummer und Aerger in der Einsamkeit auch die Langeweile plagte, seinen alten Bekannten zu empfangen. Ueber den heiklen Punkt, den Rückgang der Verlobung, verlor er nicht viel Worte. „Ich hätte mir keinen besseren Ausgang wünschen können – kreuzunglücklich würde mein Kind mit Leisewitz geworden sein – er leidet am Größenwahn. Aber was soll ich thun? Der ,Artushof‘ ist mir vorläufig verleidet, und nach Wörde mag ich erst recht nicht zurück. Mein einziger Trost ist die italienische Weinstube unten. Die Wirthin und ihre fünf Töchter leisten mir Gesellschaft. Die Mädels sprechen ungefähr so viel deutsch wie ich italienisch – das ist lehrreich. Wenn Sie mitkommen – und Sie müssen mitkommen – werden Sie sich wundern.“

Endlich wurde Lenz bei seiner Ankunft auch einmal von Emma empfangen; Hagemann, der im Zimmer nebenan seine Geschäftsbriefe erledigte, rief ihm durch die offene Thür seinen Willkomm zu. Robert, welcher nur der Hoffnung, nicht seiner Liebe entsagt hatte, dünkte die Verlassene in ihrer Blässe schöner denn je. Ihre erste Frage war nach dem Schicksal seiner Oper; sein Gleichmuth über die Ablehnung befremdete sie und sie machte ihm Vorwürfe.

„Was liegt daran?“ erwiderte er nach einem Seufzer. „Jetzt bewegt alle nur ein Gedanke: kommt der Friede endgültig zustande? Die Verhandlungen ziehen sich unheimlich in die Länge.“

Emma erröthete. Ueber ihrem eigenen Weh hatte sie die große Völkerfrage vergessen; sie fragte und Robert erzählte, was sich inzwischen ereignet hatte. Dabei wurde er warm und Emma konnte die Arbeit seiner Gedanken, das Spiel seiner Empfindungen verfolgen. So hatte sie ihm zu Anfang ihrer Bekanntschaft in Wörde oft gelauscht; so hatte sich damals in der Stimme, im Blick die verhaltene Gluth seiner Seele zuweilen verrathen. Zum ersten Mal seit der Trennung von Leisewitz fühlte sie sich wieder wohl und belebt. Und als ihr Robert schonend mittheilte, daß die heutigen Zeitungen die Nachricht von dem schweren Gemüthsleiden der Prinzessin, wenn auch in schonender Form, enthielten, da beklagte sie die Unglückliche aufrichtig und war sogar fähig, an Leisewitz ohne Zorn zu denken – fast auch ohne Schmerz.

Unterdessen hatte sich das Wetter geändert. Einem starken Schneefall folgte Frost; der Winter war da, doch ein wolkenloser Himmel machte ihn erträglich. Eines Abends saßen Vater und Tochter im wohlerleuchteten Zimmer in Erwartung ihres neugewonnenen Hausfreundes; Hagemann heute in ungeduldigem Harren, denn er hatte beschlossen, seine freiwillige Verbannung zu beendigen und an der Tafelrunde im „Artushof“ wieder theilzunehmen. Die große Nachricht war Robert Lenz im Laufe des Tages zugestellt worden; er sollte Papa Hagemann begleiten.

„Robert läßt auf sich warten.“

„Wenn er nur nicht erkrankt ist! Findest Du nicht, daß er leidend aussieht?“

„Ist mir nicht aufgefallen.“

„Ich fürchte, ich fürchte, Herr Lenz hat Sorgen.“

„Wohl möglich.“

„Wir müssen ihm helfen!“ rief Emma warm.

„Willst Du mir sagen, wie? Mit Geld? Auf welche Art? Er ist empfindlich wie eine Nachtigall und stolz! Ich habe Erfahrungen mit ihm gemacht.“

„Wieso?“

„Ich hatte doch damals in Wörde, als er plötzlich ausblieb, eine lange Unterredung mit ihm. Ein seltsamer Mensch! Eigentlich that er mir leid.“ Die gespannte Aufmerksamkeit Emmas beunruhigte Hagemann. „Alte Geschichten,“ sagte er verdrießlich. „Wie lang die Abende sind!“

Allein damit gab sich Emma nicht zufrieden – er mußte beichten. Obwohl er sich so kurz wie möglich faßte, wurde Emma doch tief bewegt; ihr Gesicht glühte. „Warum hast Du mir diese Liebe verheimlicht?“ sagte sie mit gepreßter Stimme.

„Durfte ich sein Vertrauen mißbrauchen? Und was wäre damit geändert worden?“

„Es wäre doch besser gewesen, es mir zu sagen.“

Hagemann stutzte. „Denkst Du etwa – o, Du kennst seinen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 546. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_546.jpg&oldid=- (Version vom 5.9.2022)