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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

„Ich habe gearbeitet, liebe Tante.“

„Immer?“

„Fast immer.“

„Du bist in acht Wochen nicht bei mir gewesen! Dein letzter Besuch datiert vom dreiundzwanzigsten September.“

„Daß Sie sich so genau den Tag gemerkt haben, Tante –“

„Du willst wohl wieder geschmeichelt sein? Nichts da – mir ist gerade danach zu Muth! Wärst Du nicht heute endlich erschienen, dann hätte ich die Kanapé zu Dir geschickt und um Deinen Besuch bitten lassen, denn ich habe mit Dir zu reden. Das scheint Dich sehr in Erstaunen zu setzen, wie?“

„Gewiß, liebe Tante! Sie haben soviel junge und alte Freunde, die Ihnen näher stehen als ich –“

„Deine Schuld allein! Du hättest den Posten eines nahen Freundes sehr gut bei mir haben können, aber Du wolltest ja nicht. Schlugst alle meine Einladungen beharrlich aus, verschmähtest meine Gesellschaften –“

„Ich bin kein Tänzer, Tante, wenigstens kein leidenschaftlicher, ich passe auch nicht zu all den Offizieren –“

„Aha, nun kommt es! Sind Dir meine Lieutenants etwa nicht gut genug?“

„Bin ich es ihnen denn?“

„Du würdest es sein, wenn Du ein wenig entgegenkommender wärest!“

„Ich warte darauf, daß die Herren Militärs dies mir gegenüber sind!“

„Da kannst Du allerdings lange warten, mein guter Paul! Wie in aller Welt kannst Du verlangen, daß ein Offizier einem Civilisten entgegenkommt?“

„Liebe Tante, wir kommen vom Thema ab. Ich könnte Ihnen allerlei antworten, allein ich weiß, meine Ansichten würden Sie nicht in den Ihrigen irre machen und Ihnen persönlich keine Freude bereiten. Ich bin aber nicht hierhergekommen, um Ihnen unangenehme Dinge zu sagen. Sie wollten gern mit mir sprechen ...“

„Ja – über eine Sache, welche Du als gänzlich Unbefangener besser beurtheilen wirst als alle meine Adjutanten, die mehr oder weniger persönliches Interesse daran haben. Es betrifft meine Enkelin!“

„Soll sie sich verloben?“

„O ja, sie soll schon – wenn sie nur will! Das ist’s eben. Wie beurtheilst Du sie eigentlich?“

„Wenn ich offen sein darf – gar nicht, Tante. Ich habe sie meist nur in größerer Gesellschaft und äußerst flüchtig gesehen. Ich habe kein Studium aus ihr gemacht, ich kenne sie nicht!“

Die Generalin sah den Sprecher unwillig an. Konnte das ein Mann über ein reizendes junges Mädchen sagen?

„Du wirst doch einen Eindruck von ihr gewonnen haben! Du kennst sie seit fast sieben Jahren –“

„Ich habe sie oft gesehen, aber ich muß wieberholen: ich kenne sie nicht. Natürlich habe ich einen Eindruck von ihrer Persönlichkeit, ob sie jedoch eine Individualität ist, weiß ich nicht. Mir ist sie als eine lebhafte, übersprudelnd heitere und genußfähige Natur erschienen.“

„Genußfähig – das ist das Richtige!“ rief die Generalin, das Wort beifällig herausgreifend. „Das war sie, wie selten ein junges Mädchen! Es konnte ja nicht ausbleiben, daß die Kleine als einziges Kind, das sie war, und so früh schon elternlos, gehörig verwöhnt wurde; sie hörte von allen Seiten, sie sei eine Erbin, sei hübsch, begabt, liebenswürdig, und was weiß ich sonst noch alles! Ich habe immer gezittert, ihr könnte der Kopf verdreht werden. Aber nein, das geschah nicht. Ebenso, wie das kleine Ding von sechs Jahren sich über seine Puppe, seinen Weihnachtsbaum freute und ausgelassen vor Glück im Zimmer herumtanzte, genau in dem Maß konnte das erwachsene Mädchen über ein neues Ballkleid, über eine Schlittenfahrt, über einen hübschen Theaterabend jubeln. Nichts Blasiertes, nichts Uebersättigtes in ihr! Das sprühte und loderte nur so von Jugendübermuth und Lebenslust! Sie hat das von ihrer Mutter geerbt. Leider war diese nur keine Militärfrau – sie klagte oft über den Zwang, den der ganze Zuschnitt des in unseren Kreisen herrschenden Verkehrs ihr auferlegte, sie fügte sich gar nicht mit guter Art hinein – und auch hierin ist ihr bedauerlicher Weise die Kleine ähnlich. Wenn es nicht unerhört klänge, ich würde sagen, sie wage es zuweilem sogar mir gegenüber, sich über das Ceremoniell, das unter dem Militär herrschst und über die dort regierenden Standesrücksichten lustig zu machen!“

Die Excellenz sah den Neffen herausfordernd an und wünschte sichtlich eine kräftige Mißbilligung dieses Frevels. Seine Lippen zuckten ein wenig unter dem starken braunen Schnurrbart, aber er sagte nichts.

„Offen dürfte sie mir mit solchen Kindereien natürlich nicht kommen, ich würde das aufs strengste rügen – ich habe sie mehr im bloßen Verdacht damit als Tochter ihrer Mutter. Im ganzen konnte man mit der Kleinen zufrieden sein, sie wirbelte immer wie ein hübscher Schmetterling um mich herum –“

„Nun – und jetzt wirbelt sie nicht mehr?“

Die Generalin seufzte.

„Sie hat sich verändert, sie ist nicht mehr dieselbe wie früher. Vieles, was ihr bis vor kurzem noch die größte Freude bereitete, ist ihr jetzt gleichgültig, sie macht zuweilen Bemerkungen von einer Bitterkeit, die mich förmlich erschreckt – ich bitte Dich, dies harmlos frohe, glückliche, verwöhnte Kind, das jeder liebt und hätschelt, und Bitterkeit! Sie hat früher gar nicht gewußt, was das war, und jetzt spricht sie zuweilen in einem Ton, mit einem Gesichtsausdruck, daß es zum Erschrecken ist. Dann wieder eine fieberhafte Lustigkeit, ein Jagen nach Unterhaltung, ein Taumel von einem Vergnügen ins andere! Und immer, ob ich nun die Apathie oder die Aufregung rüge, dieselbe Antwort: ‚Ach, es ist ja doch alles eins, Großmama! Es ist ja alles gleichgültig – so oder so!‘ Was kann das zu bedeuten haben, Paul?“

Dem Professor war diese Auseinandersetzung ziemlich einerlei – was gingen ihn launenhafte junge Mädchen an?

„Nehmen wir an, sie hat sich verliebt!“ sagte er kaltblütig und strich sich den Bart.

„Verliebt? Paul, ist das ein Ausdruck, den man auf ein wohlerzogenes junges Mädchen, die Tochter aus gutem Hause, anwendet? Verlieben kann sich die nächste beste Mamsell – eine Freiin von Guttenberg thut so etwas nicht! Allerdings dachte auch ich, Annaliese hätte vielleicht ein ernstlicheres Interesse, aber –“

„Nun, aber?“

„Aber ich bitte Dich, wer kann es sein? Ich beobachte sie scharf; sie hat gegen all die jungen Herren dasselbe unbefangene offene Wesen, das eine tiefe Neigung durchaus ausschließt – und wenn sie eine Zeitlang jemand ein wenig vorzog, dann war es höchstens Steinhausen.“

„Wer ist Steinhausen, Tante?“

Die alte Excellenz sah ihren Neffen halb mitleidig, halb entrüstet an. „Ist es möglich, Paul, daß Du wirklich so wenig in der guten Gesellschaft bewandert bist, um nicht zu wissen, wer Steinhausen ist?“

„Auf die Gefahr, mir Ihr Wohlwollen zu verscherzen, verehrte Tante, muß ich bekennen: ich weiß nicht, wer Steinhausen ist!“

Die Generalin ließ das gestrickte Kamisol aus den Händen gleiten und setzte sich mit Würde zurecht. „Konstantin Werner von Steinhausen ist aus sehr alter und guter Familie – noch älter und besser als die der Guttenbergs, was nicht wenig sagen will. Der Vater war Generalmajor, wäre noch höher gekommen, starb aber verhältnißmäßig jung; ein Onkel war Gouverneur des Prinzen Gisbert, der Großvater Generalfeldmarschall. Die Steinhausens sind ausgezeichnete Soldaten und fähige Köpfe gewesen, ich weiß ihre ganze Stammtafel auswendig, sie ist hochinteressant und sehr rein, die ersten Geschlechter des Landes sind mit ihnen verschwägert. Ein Steinhausen, Ernst Eugen, hat eine Gräfin Neumark, sein Bruder sogar eine Fürstin Doßberg –“

„Und was ‚hat‘ nun der in Rede stehende Herr?“

„Der hat,“ fuhr die alte Aristokratin vollkommen ernst und unbeirrt fort, „die allergünstigsten Aussichten für die Zukunft. Mein alter Freund, Oberst von Heß, sagt, Steinhausen habe ganz das Zeug zum Generalstäbler; es dauert nicht lange, so wird er zum Generalstab abkommandiert. Er ist arm, aber das hat nichts auf sich, die gute Karriere ist ihm sicher. Ueberdies ein bildhübscher Mensch von den besten Manieren, vorzüglicher Gesellschafter und Tänzer – dichtet ganz reizend, ist ungemein beliebt bei allen Kameraden, die jungen Damen streiten sich um ihn –“

„Und Ihre Enkeltochter streitet nicht mit?“

„Sie schien ihn gern zu haben, bevorzugte ihn wenigstens vor den übrigen – und das ist kein Wunder; mit Steinhausen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 551. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_551.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2022)