Seite:Die Gartenlaube (1893) 564.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


der persönlich den Oberbefehl führte, im November 1627 den Hebel ein. La Rochelle liegt im Hintergrund eines verhältnißmäßig schmalen Meerbusens. Durch einen ungeheuren Steinwall, der von beiden Ufern aus gleichzeitig vorgeschoben wurde, schloß Richelieu die Mündung dieses Meeresarmes gegen die offene See hin ab, und nunmehr war die Aushungerung der Feste nur noch eine Frage der Zeit.

Wohl eilte im Mai 1628 eine englische Flottille herbei, um Lebensmittel in die Stadt zu bringen. Aber sie vermochte den von starken Streitkräften vertheidigten Steinwall der Belagerer nicht mehr zu durchbrechen, und ebenso wenig gelang dies einem zweiten Geschwader, welches im September desselben Jahres erschien. Die Bewohner von La Rochelle, mit ihrem unerschütterlichen Bürgermeister Jean Guiton an der Spitze, leisteten das Menschenmögliche im Ertragen der fürchterlichen Hungersnoth, endlich aber war ihre Kraft doch erschöpft, und am 30. Oktober 1628 ergab sich die Stadt dem Kardinal. Die auf wenig Köpfe zusammengeschmolzene Besatzung erhielt durch die Gnade des Königs freien Abzug, die Festungswerke und die Stadtmauern wurden geschleift, die municipalen Vorrechte vernichtet und die städtischen Güter zu den königlichen Domänen geschlagen. Die Macht der Hugenotten war aufs tiefste erschüttert, das Königthum aber triumphierte nicht bloß über sie, sondern auch über die Engländer, die ihnen nicht mehr hatten helfen können.

Mitten in diese weltgeschichtliche Belagerung hinein versetzt uns das Bild von A. A. Lesrel. In dem prunkvollen Gemache eines vor den Mauern von La Rochelle gelegenen Schlosses sitzt der Kardinal, Staatsmann und Feldherr an einem mit Büchern, Karten und Zeichnungen bedeckten Tische. Seine Hand zieht mit der Feder einen Strich in den vor ihm liegenden Plan – vielleicht ist es die Linie, die der verhängnißvolle Steinwall nehmen soll. Aber seine Gedanken sind noch mit anderem beschäftigt. Ein mächtiges Schiffsmodell im Hintergrunde deutet darauf hin, daß er gleichzeitig auf eine Verstärkung der französischen Flotte bedacht ist, denn nur so darf er hoffen, dem seemächtigen England dauernd die Spitze zu bieten.

Praktische Anleitung zur häuslichen Buchführung und Wohlfahrtspflege nennt sich ein vortreffliches Büchlein von Adolf Mang (Emmendingen, Dölter), dessen Verdienst der Großherzog von Baden dadurch ehrte, daß er eine halbe Auflage zur unentgeltlichen Vertheilung an alle Mädchenschulen von Karlsruhe ankaufen ließ. Die für den Minder- und Wenigbemittelten so wichtige Kunst des richtigen Sparens und Eintheilens, des Schonens und Erhaltens wird hier klar und einleuchtend gelehrt, außerdem aber noch der ganze Kreis der Wirthschaftsführung einer eingehenden Besprechung unterzogen.

Hierin liegt das Hauptverdienst des Buches, das auch noch die Anweisung für das häusliche Budget und die Kassenführung enthält.

Angehende junge Ehepaare, die mit kleinem Gehalt die Gründung eines Hauswesens unternehmen, sollten sich dieses Buch anschaffen, sie werden daraus sofort erkennen, wie viel Verzicht auf Luxus, wie viel häusliche Arbeit durchaus nöthig ist, um ohne Einbuße durch das Jahr zu kommen. – n.     

Die Birke auf dem Kirchthurm in Aerzen


Hüpfende und kriechende Früchte. Als die ersten Weltumsegler unter Ferdinand Magalhães die Inseln des Stillen Oceans erreichten, fanden sie auf denselben eigenartige Blätter. Laut den Berichten Pigafettas, des Geschichtschreibers jener denkwürdigen Expedition, liefen dieselben, wenn sie vom Baume abfielen, auf der Erde fort. Wir wissen heute, daß jene Blätter wirkliche Thiere waren, blattähnliche Heuschrecken, die durch diese Aehnlichkeit gegen Nachstellungen geschützt sind. Die Thiere hatten somit nicht bloß ihre Feinde im Thierreiche, sondern auch die naturwissenschaftlich nicht geschulten Seefahrer des 16. Jahrhunderts getäuscht.

Später entdeckte man in Amerika hüpfende Früchte, die noch heute die Naturforscher besonders interessieren. Dieselben sind unter dem Namen der „springenden Bohnen“ von Mexiko bekannt und stammen aus der Nähe der Stadt Alamos im Staate Sonora.

Es sind rundliche, 8 bis 11 mm lange und 9 bis 12 mm breite Früchte der Sebastiania pavoniana, einer zur Familie der Euphorbiaceen gehörigen Pflanze.

Auf eine ebene Fläche gelegt, springen sie 3 bis 5 mm hoch, ja manchmal gelang es ihnen, auf den Rand eines Dessert-Tellers zu springen. Nimmt man eine solche Frucht zwischen die Finger so fühlt man in deren Innerem ein äußerst kräftiges Pochen. Es ist nicht schwierig, die Ursache dieses Pochens und Hüpfens aufzufinden. Schneidet man eine springende Bohne auf, so sieht man in deren hohlem ausgefressenen Innern eine Larve des mexikanischen Kleinschmetterlings Carpocapsa saltitans. Das Thierchen stützt sich mit den Bauchfüßen gegen die Wand der Bohne, zieht sich zusammen und schnellt sich plötzlich los, so daß der Kopf gegen die Wand anschlägt, wodurch die Bohne in eine hüpfende Bewegung versetzt wird.

In derselben Weise bringt ein anderes Insekt Früchte eines in den Steppen- und Wüstengebieten des Mittelmeeres wachsenden Tamariskenstrauches zum Hüpfen, wobei die Höhe der einzelnen Sprünge sogar 2 bis 3 cm beträgt. Auch eine Gallwespe, Neuroterus saltans, die auf Eichen lebt, erzeugt in ähnlicher Weise das Forthüpfen der vom Blatte losgelösten Eichengallen.

In allen diesen Fällen springen nicht die Pflanzentheile von selbst, sondern werden nur von den in ihrem Inneren eingeschlossenen Thieren fortgeschleudert. Es giebt aber wohl Früchte, die auch ohne fremdes Zuthun forthüpfen und fortkriechen, und diese Früchte sind durchaus nicht selten; wer Augen hat, der kann sie bei uns auf Feld und Wiese beobachten denn viele Gräser, Skabiosen und Korbblüthler bieten uns dieses Schauspiel. Die Grannen und Kelchzähne der Früchte derselben sind hygroskopisch: sie nehmen leicht Feuchtigkeit aus der Luft an, und indem sie bei wechselnder Witterung bald feuchter, bald trockener werden, strecken oder krümmen sie sich und versetzen dadurch die an ihnen haftende Frucht bald in hüpfende, bald in kriechende Bewegung. Weite Reisen können diese Früchte allerdings nicht unternehmen, sie legen aber doch Strecken von einigen Decimetern zurück, bis sie sich in eine Sackgasse verrennen und im Boden haften bleiben um in günstiger Jahreszeit zu keimen. Indem sie sich auf diese Weise vom Mutterstocke entfernen, tragen sie bei zur Verbreitung ihrer Art, dringen langsam aber stetig erobernd vor. *      

Die Birke auf dem Kirchthurm in Aerzen. (Mit Abbildung.) Einen luftigen Standort hat sich die Birke ausgesucht, die eine Merkwürdigkeit des Dörfchens Aerzen im hannoverschen Kreise Hameln bildet. In der Höhe von ungefähr 13 Metern wurzelt sie in den Sandsteinquadern des Kirchthurms, ihr Gipfel erhebt sich 23 Meter über den Boden. Seit 37 Jahren steht sie da oben in ihrer einsamen Höhe und wächst lustig fort, ohne daß ihr irgend eine künstliche Pflege zutheil wird.

Beethovenreliquien. Eine ebenso eigenartige als ergreifende Reliquie wurde in neuerer Zeit durch Verfügung des deutschen Kaisers aus der königl. Bibliothek zu Berlin dem Beethovenhause in Bonn überwiesen: die vier Gehörmaschinen nämlich, welche der Hofmechaniker Mälzl, der berühmte Erfinder des Metronoms, in den Jahren 1813 bis 1814 für den schwerhörigen Beethoven fertigte. Es sind plumpe und wunderlich anzusehende Hörrohre, aus Messingblech zusammengesetzt; und es befinden sich daran auch noch die Messingspangen und Seidenbänder, mit welchen der unglückliche Meister sich diesen ungenügenden Gehörersatz am Haupte befestigte.

Das Ohrenleiden Beethovens, für ihn das furchtbarste aller Schicksale, begann sehr früh. Schon im Jahre 1804, also in seinem 34. Lebensjahre, berichtet der ihm befreundete Herr von Breuning an einen Dritten: „Sie glauben nicht, welchen unbeschreiblichen, ich möchte sagen schrecklichen Eindruck die Abnahme des Gehörs auf ihn gemacht hat!“ Beethoven suchte trotzdem das unerbittliche Schicksal zu bekämpfen, so lange es anging, er stand in der Oper ans Proscenium gelehnt, um noch die Tonempfindung zu haben, er ließ sich ein starkes Klavier bauen, das heute noch erhalten ist, mit doppelten, weiter hinauf mit vierfachen Saiten – umsonst! Die unsichtbare Mauer legte sich dichter und dichter um sein Gehör und bald schon mußte er zum letzten und traurigsten Aushilfsmittel greifen, zu den gleichfalls noch erhaltenen „Konversationsheften“, vermittelst deren er sich mit seiner Umgebung verständigte. Selten wird wohl die Wehmuth über ein tieftragisches Schicksal stärker erregt werden als beim Anblick dieser Beethovenreliquien! Bn.     


Kleiner Briefkasten.

(Anfragen ohne vollständige Angabe von Namen und Wohnung werden nicht berücksichtigt.)

Politicus. Kartographische Darstellungen des Ergebnisses der letzten Reichstagswahlen liegen bereits mehrere vor. Ganz praktisch ist z. B. „Gustav Freytags Reichstagswahlkarte 1893 (G. Freytag u. Berndt, Magdeburg u. Wien). Die Namen der Abgeordneten sind in die Wahlbezirke eingeschrieben, ihre Parteistellung ist durch Farben kenntlich gemacht. Den verfügbaren freien Raum nehmen übersichtliche Zusammenstellungen der früheren Reichstagswahlen ein.

Somnium millitis. Schön gedacht, aber in der Form nicht zureichend.

10 Villach. Zum Lernen ist es nie zu spät, vollends nicht mit 35 Jahren. Ueber die Hilfsmittel sprechen Sie am besten einmal mit einem Lehrer.

Pegasus im Süden. Alle Hochachtung vor Ihrem Patriotismus, der Sie auch in weiter Ferne so enge mit der deutschen Heimath verknüpft. Ihr Gedicht hat uns gefreut, wenn wir es auch um formeller Anstände willen in der „Gartenlaube“ nicht veröffentlichen können.

Ausland. Jede Annoncenexpedition kann Ihnen die gewünschte Auskunft geben.


Inhalt: [ Verzeichnis der Beiträge in Heft 33/1893. ]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 564. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_564.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2023)