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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Schwertlilie.

Roman von Sophie Junghans.
(Schluß.)


Zu derselben Zeit, da im Kloster der Ursulinerinnen die neue Aebtissin gewählt wurde, trabten zwei Reiter von nordwärts am Hange des Heidenkopfes vorüber, in einem Hohlweg, der sie etwa zwei Büchsenschuß weit von der Herrenmühle auf die nach der Residenz Birkenfeld führende Landstraße brachte. Als sie diese Straße erreicht hatten, hielt der eine sekundenlang sein Roß an, wendete den Kopf links und schien gespannten Blickes die Dämmerung durchdringen zu wollen, die schon über dem Mühleugrund und dem alten Herrenhaus webte. Dann aber rückte er sich wieder im Sattel zurecht, griff in die Zügel und rechts ging es weiter, auf das Stadtthor von Birkenfeld zu.

Er war ein guter Reiter, dieser Reisende, so jung er war, denn selbst jetzt verleugnete sich die kräftige Anmuth seiner Haltung nicht völlig, da er allem Anschein nach todmüde auf einem abgejagten Gaule hing. Sein Genosse, klein und alt, zierte dagegen den Sattel nicht sonderlich: er hockte dem Pferde gar seltsam auf, schien aber weniger ermüdet als der Knabe neben ihm. Jetzt lobte er diesen: „Ihr habt brav ausgehalten, Junker, für ein so junges Blut, wie Ihr seid. Nun noch ein Viertelstündchen, dann sind wir bei dem Herrn von Nievern und da könnt’ Ihr Euch strecken, seit dreimal vierundzwanzig Stunden einmal wieder. Wahrlich, Ihr habt es verdient!“

„Ich schäme mich, daß ich so müde bin,“ meinte darauf Lutz und es lag allerdings wie ein schläfriges Behagen in den Blauaugen, mit denen er jetzt die wohlbekannte Umgebung grüßte. In Wahrheit schlief er schon halb, nach der übermäßigen Anspannung aller Kräfte bis vor kurzem, und fast wie ein im Traume Redender fuhr er fort: „Ihr, Strieger, müßt doch so was von einem Waldkobold sein. Ihr braucht kaum Speise und Trank, keinen Schlaf und keine Ruhe – Ihr seid über die Neunzig, wie Ihr selber sagt – ich glaube, es ist mit Euch nicht ganz richtig –“

„Ist das mein ganzer Dank?“ meinte der Alte. Aber er lachte in sich hinein bei den Worten, die ihm nicht weiter mißbehagten. Daß er kein Geist war, wußte er selber am besten. Weit weniger fehl wäre der gegangen, der ihn an Schärfe der Sinne, an fast unglaublicher Ausdauer der zähen Sehnen und Muskeln mit dem Gethier seiner Wälder, dem Fuchse oder kräftigen Luchs verglichen hätte. Jetzt, in diesem Augenblick witterte er in die neblige Abendluft und ließ die kleinen Funkelaugen scharf umherschweifen. Noch aber sah er nichts, er roch nur. Wer von dieser Seite nach der Stadt kam, gewahrte alsbald linker Hand vom Thore und hart hinter der Stadtmauer das vielgiebelige Haus der Ursulinerinnen. Heute war es schon zu dämmerig, um mehr als die undeutlichen Umrisse seiner Dächermasse zu erkennen. Sowie aber der Strieger diese im Auge hatte, sah er auch noch etwas und stutzte leicht. Das Bild des Klosters stand nicht grau in grau als ein ruhiger Schatten da, sondern schien sich zu bewegen. Das war aber eine Täuschung, erzeugt durch den Streifen schwarzen Qualms, welcher unausgesetzt aus einer seiner Essen quoll und Giebel und Dächer wallend umzog, von der dicken Luft erst niedergehalten, ehe er ins Weite zerfloß.

Da stieß der Strieger dem Pferde die Fersen unsanft in die Weichen und packte zugleich Lutzens Arm. „Seht dort – sieht es nicht aus, als wollte das Dohlennest, das Kloster mein’ ich, in Rauch aufgehen? Vielleicht ist Feuer ausgekommem –“

„Fast sieht es so aus,“ sagte Lutz, nicht ohne Antheil, doch noch ruhig genug. Da krächzte ihm der Alte ins Ohr: „Dort unter dem Dache, aus dem es gualmt, halten sie das Fräulein, die Polyxene – kommt mir nach, wenn Ihr könnt!“ und fort stob sein Pferd, dem er aufsaß wie eine Bremse. Halb toll vor Angst machte er das Thier; es ging mehr mit ihm durch, als daß es ihm gehorchte, aber doch kamen Mann und Roß richtig ins Stadtthor hinein, an dem Thorwart vorbei, der sich bekreuzte, und weiter, unter Reißen und Stoßen und Straucheln des Thieres bis vor das große Thor des Residenzschlosses, durch das eben eine schwere Karosse hereingerollt war. Dem wunderlichen Reiter aber, der nachwollte, legte der Wachtsoldat barsch die Hand an den Zügel. Ungehindert jedoch behielt er den in der Hand und behielt auch das Pferd, das an allen Gliedern bebte. Der Reiter war unter dem Thor durch – die Wache hielt dafür, es sei der Gottseibeiuns gewesen. Wenige Minuten später aber stob der Oberjägermeister wie von Furien gejagt die Treppe aus seinen Gemächern herunter. „Laßt wenden und kommt mir nach!“ rief er dem Herrn zu, der eben ein gelbes langes Gesicht mit pechschwarzem Zwickelbärtchen aus dem Kutschenfenster bog. „Euer Mündel, der Junker Lutz, lebt und ist hier – aber das Fräulein – jetzt steh' uns Gott bei, oder –“

Die letzten Worte verschlang schon der Hufschlag seines Braunen, der an der Stallthür bereit gestanden hatte. Nur Minuten vergingen, bis er das Kloster in Sicht hatte und zugleich noch einen Reiter, der etwa dreißig Schritte von der Pforte gehalten hatte und nun auf ihn zukam. Es war Ludwig von Leyen. Der brave Junge hatte noch einmal seiner Müdigkeit vergessen, da er begriffen, daß sein Bäschen in Gefahr schwebe, und hatte sich besonnen gleich nach dem Kloster gewendet, um derer zu harren, die der Strieger zur Hilfe herbeirufen würde. Sie reichten einander die Hände, aber flüchtig und sorgenvoll; kaum dachte Nievern daran, daß dies das Wiedersehen eines Totgeglaubten war; eine neue Todesangst verzehrte jetzt alles. „Euer Vormund kommt hinter mir; zu dem haltet Euch – zeigt Euch nirgends sonst,“ raunte er dem Junker zu. Seine Augen brannten, die feinen Nasenflügel bebten und mit heiserer Stimme setzte er hinzu: „Zu dem Gange, den ich jetzt thue, brauch’ ich keinen, ich habe, was noth thut“ – wobei er wie nebenher nach dem Griffe der Pistole fuhr, die ihm im Kollett steckte. Dem Knaben war dies alles später wie ein Traum, denn da er nun seiner Polyxene den Freund nahe wußte und doch unthätig harren sollte, übermannte ihn noch im Sattel der Schlaf. In der alten Karosse hatte er sich wiedergefunden, neben dem Oheim; wie er dahin gekommen war, wußte er nicht.

Indessen hatte der Oberjägermeister an der Klosterpforte die Glocke gerissen und die Minuten, welche vergingen, ehe der Schaffner herbeischlürfte, der heute hier Pförtnerdienste versehen mußte, waren die schlimmsten seines Lebens gewesen. „Euer Haus brennt, Mann,“ herrschte er den Alten an, der ihn anstierte und dann auch gleich zu jammern begann, daß er es längst gerochen aber der Gärtner, sein Genoß, habe ihm nicht glauben wollen. „Ich komme aus dem Schlosse der Frau Pfalzgräfin – bald wird die ganze Stadt auf den Beinen sein – hört Ihr, eben läutet der Thürmer Sturm,“ rief ihm Nievern in die Ohren.

Was nun kam, spielte sich rasch und wüst ab wie ein böser Traum. „Feuerjo – Feuerjo!“ durchhallte der unheimliche Ruf die Klostergänge – es war, als ob der gespenstige Feuerreiter hindurch schnaube – die Thüren des Refektoriums sprangen auf, die Nonnen kreischten verstört und in plötzlicher Todesangst durcheinander - keine zweifelte an der Schreckenskunde, hatten sie doch alle den brenzligen Geruch längst wahrgenommen! Der Mann aber, dessen hohe Gestalt, mit dem Schauer des Unirdischen umkleidet, manch einer von ihnen bis an ihr Lebensende im Traume vorkommen sollte, hatte eine unter ihnen gepackt, mit sicherem Griffe; seine Eisenfaust umklammerte, Schleier und Gewand mit zusammenpressend, ihre Kehle, während er hervorstieß: „Du hast Unheil im Sinne gehabt – den Schlüssel zu des Fräuleins Zelle, Weib, oder ich erwürge Dich hier auf der Stelle!“

„Die Schlüssel – hängen dort – laßt mich!“ keuchte sie. Aber er ließ sie nicht; er lockerte seinen Griff, schleifte sie mit an die Wand, auf die sie gedeutet hatte, raffte alles von Schlüsseln was dort hing, zusammen und dann ging es hinaus und hinauf – wie vom Geier ein Huhn wurde die Schwester davon gerissen von diesem Fürchterlichen – sie mußte mit, Treppen hinauf und Gänge hinunter, bis an jene Thür, welche die Nonne ihm einst erschlossen hatte. Fast von Sinnen, durchschüttelt und durchrüttelt wie vom Sturme des jüngsten Gerichtes, kostete sie durch, was sie für ihre letzten Augenblicke hielt. Gelogen hat sie diesmal nicht – die Riegel weichen, die Schlösser fliegen auf – ein erstickender Qualm dringt den beiden entgegen. Stöhnend wie ein todwunder Hirsch stürzt Nievern hinein; er ruft – keine Antwort; blind tappt er vorwärts nach dem Fenster zu, von welchem jetzt, da der Rauch durch die offene Thür Abzug findet, ein matter Schimmer des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 575. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_575.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2021)