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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Ina sei eingeweiht – kurz, sie habe unter herzzerreißendem Schluchzen gesagt, sie sehe es ja ein. daß sie ihrer Liebe entsagen müsse, sie treffe nie mehr heimlich mit Konstantin zusammen, wechsle auch keine Briefe mehr mit ihm, und sie hatten einander das Wort gegeben, es solle alles aus sein, auch das Liebhaben und Treue halten. Das aber sei stärker als sie, als ihr guter Wille, sie habe Konstantin so über alle Maßen lieb und sei so grenzenlos unglücklich – und er sei das auch, denn er solle ja Annaliese von Guttenberg heirathen, und das sei ihr der schrecklichste Gedanke, denn nun dürfe sie ihn nicht einmal mehr im tiefsten Herzen lieb haben, nun sei auch das eine Sünde! – Zuerst sagte Steinhausen gar nichts auf diese Worte seiner Schwester und nachher sagte er auch nicht viel – er sprach ganz leise und gepreßt, als sei ihm der Hals zugeschnürt, ich hatte Mühe, ihn zu verstehen. Aber ich hörte doch ganz genug.

Ja, er hatte Erna leidenschaftlich geliebt, er liebte sie noch, er würde die Welt darum geben, sie die Seine zu nennen, aber es könne ja nicht sein, es sei unmöglich, undenkbar – es sei das größte Unglück seines Lebens, daß er sich damals im Frühjahr so weit habe hinreißen lassen, ihr seine Liebe zu gestehen und das Geständniß ihrer Gegenliebe zu empfangen. Wie elend er sich fühle, wie ihn das arme süße Geschöpf dauere, das könne er nicht sagen, aber es sei im Leben nicht daran zu denken, daß sie einander angehören könnten! Darum habe er ihr gesagt, es müsse alles aus sein und er müsse sich mit Annaliese von Guttenberg verloben, die sei eine reiche Erbin, sei die Enkeltochter der alten Excellenz und habe eine Menge von einflußreichen Verwandten, die ihm bei seinem Fortkommen sehr nützlich sein würden. Darum habe er jetzt der Annaliese auf Leben und Tod den Hof gemacht, darum wolle er sich mit ihr verloben, sobald wie irgend möglich; er müsse gewaltsam einen Strich ziehen unter die Vergangenheit. Als Ina bemerkte, eigentlich sei es doch auch ein Unrecht gegen Annaliese, mit der Liebe zu einer andern im Herzen um sie zu werben, entgegnete der Bruder, das werde sich schon machen, er habe ja nichts gegen das Mädchen, sie sei zwar sehr verwöhnt, alle Welt sage ihr Schmeicheleien und bewundere sie, weil sie doch nun einmal die Enkelin der berühmten alten Excellenz sei und mit ihrem vornehmen Namen ein schönes Vermögen verbinde – aber Annaliese sei ja sonst ein ganz hübsches pikantes Mädchen. er dürfe nur nicht daran denken, daß er anstatt Erna sie heirathen solle, denn dann könnte er sie hassen!

Das war es, was ich hörte!“

Annaliese lehnte sich ein wenig erschöpft gegen die Polster ihres Sessels und schwieg ein paar Augenblicke. Auch der Professor sagte kein Wort. –

„Wie ich endlich in meinen Zigeuneranzug hineingekommen bin, wie ich an dem Abend getanzt und deklamiert habe, das wissen die Götter – ich kann es nicht sagen! Unbändig lustig bin ich gewesen, es sollte doch um Gotteswillen keiner etwas merken! Das geschah auch nicht; es erfuhr keine Menschenseele, daß ich in dem kleinen Hinterzimmerchen gesteckt hatte, denn Meta flüsterte ich gleich zu, es nicht auszuplaudern, und außer ihr hatte mich niemand gesehen. Steinhausen behandelte ich so kordial, so kameradschaftlich, daß er etwas stutzig wurde und es nicht wagte, so ganz rasch die Verlobung in Scene zu setzen, wie er es sich wohl vorgenommen hatte – und auf diesem Standpuukt stehen wir noch heute, Mühe genug hat’s meinerseits gekostet. – Sie sehen unzufrieden aus, Herr Gevatter! Ihnen gefällt es nicht, daß ich horchte?“

„Nein,“ sagte Gregory ehrlich, „es gefällt mir wirklich nicht. Das Lauschen sollten Sie anderen überlassen! Und nachdem Sie es einmal gethan hatten, so mußten Sie wenigstens dem Lieutenant von Steinhausen offen bekennen, daß . . .“

„Sie kennen ihn nicht – er ist stolz wie Lucifer, er wäre außer sich, wüßte er, daß ich, gerade ich, sein Geheimniß kenne. Ich bereute es ja auch auf der Stelle, gelauscht zu haben – aber dann konnte ich es nicht mehr ungeschehen machen; was ich wußte, das wußte ich. Und als der erste Schreck, die erste Bestürzung überwunden war, da entdeckte ich eine Art von erleichtertem Aufathmen in meinem Innern. Ich sagte Ihnen schon, ich hatte für Steinhausen Wohlgefallen und Sympathie, aber keine Liebe, keine Leidenschaft, nicht einmal ein sehr starkes Interesse. Der Verstand hatte mir diktiert, seine Werbung anzunehmen. nicht aber mein Herz – im Gegentheil, dies Herz hatte mich zuweilen ganz ernstlich gewarnt. Nun konnte ich frei bleiben, und es wurde mir nicht schwer, diesen Entschluß zu fassen. Steinhausen und Erna thaten mir sehr leid – aber wie ihnen helfen? Abgesehen davon, daß ich meine geheime Mitwissenschaft nicht verrathen wollte ... ich konnte doch nicht plötzlich vor die arme Erna hintreten und sagen: ‚Hier sind sechzigtausend Mark, ich habe sie übrig und Du hast sie nicht – nun heirathe Deinen geliebten Konstantin!‘ – Die beiden würden das auch gar nicht annehmen! Da ich Ihnen aber alles ehrlich sagen will, so muß ich gleich gestehen, daß das Schicksal der beiden mich nur vorübergehend beschäftigte – ich selbst war mir die Hauptperson. Bis dahin hatte ich nicht gedacht, daß ich sehr viel Eigenliebe und Eitelkeit besaß, nun sah ich, es war doch eine ganz gehörige Portion davon vorhanden. Ich war ungeheuer betroffen, daß all die Liebenswürdigkeiten und Schmeicheleien, die ich genossen hatte, nicht meiner Person, sondern dem Stand und Rang meiner Großmutter, meinen hochstehenden militärischen Verwandten und meinem Vermögen galten. Steinhausen ist klug, ein guter Beobachter und in unseren Kreisen sehr bekannt – er muß das wissen! Von meinen etwaigen guten Eigenschaften, von meinem Charakter hatte er nichts gesagt, das zählt also nicht mit. Und ich habe ganz naiv bis dahin gedacht, daß man mich um meinetwillen gern habe und den anderen vorziehe! Meine Unbefangenheit, die, glaub’ ich, das Beste an mir war, meine harmlose Lebensfreude und Genußfähigkeit ist ganz dahin – ich habe sie bis heute noch nicht wiederfinden können, und was das Schlimmste ist, ich fürchte, sie wird sich überhaupt nie mehr zu mir zurückfinden. Daß ich auch jetzt oft ausgelassen lustig bin, ändert gar nichts, das ist eine Komödie, die ich mir selbst und den Leuten dann und wann vorführe – und hinterher ist mir doppelt elend zu Sinn! Früher, wenn ich in einem hübschen neuen Kleide auf einen Ball oder ins Theater kam, machte es mir Spaß, zu sehen, wie die Menschen mich wohlgefällig anschauten, wie die Offiziere mir entgegenstürmten, um einen Tanz zu erobern, wie ich immer einen kleinen Hofstaat um mich herum hatte. Jetzt muß ich denken: wärst Du nicht die Enkelin der alten Excellenz Guttenberg und eine Erbin, kein Mensch würde sich um Dich bekümmern, würde Dein Aussehen reizend, Deine Unterhaltung amüsant und Deinen Witz sprudelnd finden – Du säßest dort hinten in irgend einer verlorenen Ecke und wärst glücklich, wenn Dich der gutmüthige Lieutenant von Groß, der immer die armen Mauerblümchen auffordert, gelegentlich einmal zum Tanz holte! Alles ist in mir bitter, alles im Zwiespalt. Jede Freundlichkeit, die mir erwiesen wird – und ich will einräumen, daß manche echte darunter sein mag – bring’ ich sofort auf Rechnung meiner Großmama Excellenz, meines Onkels Divisionschef, meines Geldes – ich habe den Maßstab für die Menschen verloren, und so lange ich hier bin, finde ich auch keine Ruhe und keinen Frieden. Ich muß fort, ich muß Steinhausen aus dem Wege gehen, denn obgleich ich bis jetzt geschickt genug seinen Annäherungsversuchen, seinen Andeutungen und Aufmerksamkeiten ausgewichen bin, einmal wird er mich doch zu stellen wissen und mir seinen Heirathsantrag machen – und was soll dann werden? Wie soll ich ihm den Korb, den ich ihm geben muß, erklären? Deshalb will ich alles, alles hinter mir lassen, in eine Stadt gehen, wo mich keiner kennt, unter fremde Menschen, die nicht ahnen, wer meine Großmama und mein Onkel ist und daß ich Geld habe – und dann will ich sehen, ob ich Menschen finde, welche Annaliese Guttenberg schlechtweg gern haben und mich gelten lassen – um meinetwillen!

Gregory sah das aufgeregte junge Mädchen, das eine Pause eintreten lassen mußte, weil ihm der Athem ausgegangen war, theilnehmend, aber kopfschüttelnd an. „Und wohin wollten Sie?“ fragte er endlich.

„Das eben sollen Sie mir sagen!“

„Ich?“

„Sie! Wozu hätte ich denn Ihnen, und gerade nur Ihnen, die ganze Geschichte erzählt, als um Ihren Rath zu haben? Sie kennen doch ein gutes Stück von der Welt, Sie müssen doch Verbindungen haben, weit fort von hier, unter Leuten, die keine Ahnung von der Rang- und Quartierliste, von Kommißvermögen und sonstigen militärischen Dingen haben! Zu solchen Leuten möcht’ ich eine Zeitlang, bis Steinhausen von hier wegversetzt ist – es ist stark die Rede davon – und bis ich hoffentlich ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 584. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_584.jpg&oldid=- (Version vom 19.8.2022)