Seite:Die Gartenlaube (1893) 586.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

wenig ruhiger denke und nicht hinter jedem Menschen einen Mitgiftjäger wittere. Ach, Sie sehen ganz bankerott aus – fällt Ihnen denn nichts ein für mich?“

„Abgesehen davon – was würde Ihre Großmama sagen – unter welchem Vorwand wollten Sie –“

O, wenn sich nur die Hauptsache findet, um den Vorwand ist mir nicht bange, ich finde zehn für einen! Gleich meine Malerei! Meine Lehrer preisen mein Talent, und Großmama ist tief davon durchdrungen; auch ich war es bis vor einiger Zeit, aber jetzt – Sie wissen – kann nicht auch das der ,gut zahlenden jungen Dame aus den besten Kreisen‘ gelten, deren Name so hübsch Reklame macht, die dem Lehrer schon ein halbes Dutzend adliger Freundinnen zugeführt hat? Früher wäre ich auf etwas Derartiges nicht gekommen – ich bin eben klüger, wenn auch nicht glücklicher geworden! Nun, ich sage dann Großmama einfach, da und da gebe man vortrefflichen Malunterricht, weit besseren als hier, ich würde mich gern vervollkommnen, einige Kurse nehmen – und so weiter! Sie wäre mich ohnehin gern für diesen Winter los, sie sagte noch vorgestern zu mir, sie hoffte sehr auf meine Verlobung und Verheirathung; denn diese aufreibende Geselligkeit sei zuviel für ihre Jahre. Ueberdies erwartet sie in nächster Zeit Besuch, ihre Kousine Kunigunde Freifräulein von Wettersbach – ein stolzer Name, wie? – die bis zum Frühjahr bei ihr bleiben will und ihr sehr lieb ist. Die beiden haben tausend Jugenderinnerungen miteinander aufzufrischen und tausend Partien Bézique miteinander zu spielen – dabei bin ich ihnen nur im Weg, und Großmama fragte mich schon, wenn ihr Lieblingswunsch nicht in Erfüllung geht, ob ich dann nicht eine verheirathete Freundin in Wien besuchen und einige Monate bei ihr bleiben wolle. Sie sehen, sie kann mich entbehren. Und wenn Sie wüßten, wie unbehaglich mir hier zu Muth ist, wie schrecklich mich der Gedanke quält, überall diesen Steinhausen zu treffen und mich beständig feiern lassen zu müssen, und das alles ist Lug und Trug –“

„Halt, halt!“ Der Professor legte beschwichtigend seine kraftvolle warme Hand auf die kalte des Mädchens. „Hier gehen Sie zu weit! Alles Lug und Trug! Aber um Gotteswillen, das ist ja eine sträfliche Uebertreibung! Eine Erscheinung, ein Wesen wie Sie braucht doch wahrhaftig nicht nur durch seine Großmutter, seinen Namen und seine Börse zu wirken! Sie müssen sich ernstlich zusammennehmen, um diesen Gedanken nicht in sich zur fixen Idee ausarten zu lassen – schließlich ist der Lieutenant von Steinhausen kein Orakel.“

„In unseren Kreisen, gesellschaftlich, ist er eines, und so lange ich hier bleibe, werde ich auch meine fixe Idee nicht los! Ich will in andere Verhältnisse, unter andere Menschen – um jeden Preis, und wenn Sie mir nicht helfen, so muß ich es eben selbst thun, obgleich ich nicht ahne, wie!“

„Daß Sie Steinhausen hier nicht auf Schritt und Tritt begegnen wollen, finde ich am begreiflichsten, es käme immer zu unangenehmen Scenen – so oder so.“

„Sehen Sie!“

„Aber warum wollen Sie nicht zu der verheiratheten Freundin nach Wien reisen?“

„Mein Gott, die hat einen Oberlieutenant geheirathet – da säße ich erst recht im Militär, würde erst recht als junge Erbin von auswärts gefeiert werden! Sie hörten es doch, ich will inkognito sein!“

„Das ist romanhaft und abenteuerlich!“

„Warum in aller Welt? Will ich denn jemand einen Fallstrick legen, will ich Menschen belügen oder betrügen? Ich will bloß nicht sagen, daß ich Geld habe und aus altadliger Familie bin; ich will thun, als ob ich mir später meinen Unterhalt selbst verdienen müßte, sagen wir einmal durch Malen, und will sehen, ob mich trotzdem die Leute gern haben und sich um mich kümmern. Es ist ein Experiment, ja, das ist es! Gelingt es, so komme ich nach ein paar Monaten mit frischem Lebensmuth und heiterer Seelenstimmung hierher zurück – gelingt es nicht, so habe ich mich zu resignieren . . . warum lachen Sie?“

„Verzeihen Sie, Fräulein Annaliese, aber, aber – Sie – und Resignation!“ Gregory lachte herzhaft und er sah jung und hübsch aus, wenn er lachte.

„Pfui, wie unrecht von Ihnen! Und ich hatte so fest auf Ihren Rath, Ihren Beistand gerechnet –“

Hier öffnete sich, nach leisem Anklopfen, die Thür; Martin stand stramm neben der Portiere und meldete: „Excellenz lassen Baroneß und Herrn Professor zum Thee bitten.“

„Schön, Martin, wir kommen! Nun passen Sie bloß auf, welch feierlicher militärischer Geist sogar bei diesem harmlosen Kartenkränzchen herrscht! Gott, hab’ ich die ewigen Rücksichten und Formen satt! Auch bei den Damenkaffees: hier die Frau Oberst, da die Frau Major – aber beileibe nicht da die Frau Oberst und hier die Frau Major! Und dort die Hauptmannsfrauen erster und zweiter Klasse – und so eine arme kleine Sekondelieutenantsfrau darf gar nicht mitreden, trotzdem sie oft im kleinen Finger mehr Verstand hat als die berühmte Frau Oberst und Major in ihrem Kopf! Meine Mutter, die muß auch so ketzerische Gedanken gehabt haben wie ich, Großmama läßt das oft durchblicken und findet es empörend – ich weiß leider nichts von ihr, ich war zwei Jahre alt, als sie starb. Auf meinen Vater besinne ich mich sehr gut, er war ein richtiger Militär, stramm und schneidig – und ich bin ihm so gar nicht nachgerathen! Jetzt kommen Sie, mein Herr Gevatter . . . aber glauben Sie nicht, daß ich Ihnen mein Vertrauen für nichts und wieder nichts geschenkt habe! Ihren Beistand muß ich haben – ja, ich muß, muß, muß! Ich hoffe auf Sie. Bei Tisch haben Sie angestrengt und erfolgreich darüber nachzudenken, wie mein Wunsch zu erfüllen sein wird. Capito, Signore? Verstanden, mein Herr?“

Capire non e udire! Verstehen ist noch nicht Befolgen!“ entgegnete Paul achselzuckend und bot seinem anmuthigen Gegenüber den Arm zum Gang nach den Wohnzimmern seiner gestrengen Tante.

(Fortsetzung folgt.)

Hut und Halsbinde.

Von Dr. J. Herm. Baas.

Zu den merkwürdigsten und hygieinisch bedeutungsvollsten Ergebnissen der neueren medizinischen Forschung gehört die Lehre von der Entstehung, Erhaltung und Regelung der Körperwärme. Eingeleitet wurden diese Untersuchungen durch den berühmten französischen Chemiker Lavoisier im denkwürdigen Jahre 1789, welches dadurch zum Revolutionsjahr auch für die Physiologie wurde. Lavoisier lieferte damals den Beweis, daß alle Verbrennungen durch Sauerstoff bewirkt werden, und lehrte zugleich, auch die thierische Wärme beruhe auf Verbrennungsvorgängen, welche im Körper, und zwar in der Lunge und nur in der Lunge, durch den eingeathmeten Sauerstoff der Luft stattfänden. Das letztere war jedoch ein Irrthum, welchen der große Schöpfer der neueren Chemie nicht mehr berichtigen konnte, weil der sogenannte Wohlfahrtsausschuß trotz aller Bitten Lavoisiers um Aufschub der Hinrichtung wenigstens bis zur Beendigung seiner erneuten Untersuchungen, ihn als einen Feind der Freiheit und des Fortschritts im Jahre 1794 guillotinieren ließ, eine der schmachvollsten Unthaten, welche der an Greueln überreichen Revolution zur Last fallen. Jene Berichtigung geschah dann in der Folge durch den Nachweis, daß nicht in der Lunge allein, sondern auch im ganzen übrigen Körper und in allen Geweben desselben diejenigen chemischen Vorgänge sich abspielen, deren Endergebniß die Körperwärme ist.

Die Kohlen, welche die unsichtbare wärmespendende Flamme im Körper zu unterhalten bestimmt sind, nennen sich Speise und Trank. Diese beiden sind dasselbe für den Körperofen, was die gewöhnlichen Kohlen für den Zimmerofen sind.

Der Körperofen ist ein Selbstregulierofen von zwar allerältester, aber doch allervollkommenster Art; denn er hat die wunderbare Eigenschaft, daß die von ihm erzeugte Wärme unter normalen, aber auch noch zu einem Theil unter abnormen Verhältnissen nahezu immer die gleiche bleibt. Sie hält sich auf der Durchschnittshöhe von 36,5° bis 37,5° C. bei allen Rassen, unter allen Klimaten und zu allen Jahreszeiten. Durch körperliche und

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_586.jpg&oldid=- (Version vom 19.8.2022)