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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

mein Wille befreit. Unausgesprochen hatte ich die Nothwendigkeit der Umkehr tagelang in mir getragen wie eine Unmöglichkeit. Weltfern war mir die Heimath gewesen, und jetzt war sie nur einige Stunden weit, und es bedurfte nicht einmal des Ranzens und des Steckens. So mächtig ist oft ein einziges Wort – das Wort hat ja die Welt erlöst. –

Ganz gelassen, aber wieder gesund und frisch ging ich der Wohnung zu und theilte dem Herrn Giontini mit, daß ich nach Steiermark reisen würde. Er schaute mich ernsthaft an und sagte: „Gehen Sie mit Gott; ich sehe es ja, ich sehe es ja, Sie leiden!“

Auf herben Vorwurf war ich gefaßt gewesen, das gütige Wort erst hat mir den ganzen Himmel gegeben. Eine Stunde später war ich auf dem Eisenbahnzug, der gegen Steiermark ging.

Geradeswegs nach Krieglach wollte ich fahren, doch in Graz mußte ich aussteigen, um meinen Wohlthätern für die gute Absicht zu danken. Im übrigen wollte ich mich nicht mehr kümmern um die weite Welt, sondern daheim im Waldland still meine Tage verleben bis ans selige Ende.

Meine Angst vor den Grazer Wohlthätern wurde ebenfalls zu schanden. Doktor Svoboda sagte nur: „Gut, daß Sie wieder da sind!“ Peter Reininghaus erklärte mir kurz und schneidig, auch in Steiermark würde sich noch jemand finden, der einem Talente zur Ausbildung verhelfe, und mit der Rückfahrt in den Waldwinkel sei es nichts.

Also haben sie mich in Graz gehalten und gehoben. –

In meiner That- und Hoffnungslosigkeit wäre ich unter einem fremden Volke vergangen wie Alpenschnee auf dem Wüstenstaube. Albert Traegers schönes Gedicht in der „Gartenlaube“ hat mich aufgerüttelt, hat mir gezeigt, was zu thun war.

„Wenn du noch eine Heimath hast,
So nimm den Ranzen und den Stecken
Und wandre, wandre ohne Rast ….“

Nicht Steirer waren es, die meine Stütze und mein Hort gewesen; und doch hat dieses Land „eine eiserne Ketten an’s Herz mir angelegt“. –

Seit jener kritischen Zeit sind achtundzwanzig Jahre vergangen. Das Heimathland, welchem der Dichter mich damals zurückgegeben hat, habe ich seither nicht mehr aus den Augen gelassen, sondern habe mich mit beiden Händen an dasselbe geklammert, wie ein erschrecktes Kind sich festhält an den Rockfalten der Mutter. Dem Stamme und der Scholle treu in Lust und Leid, auch dir, mein lieber Leser, rathe ich es – wenn du noch eine Heimath hast!




Paolo Saviello.
Novellette von Wilhelm Berger.


Als ich mich nach Sicilien einschiffte, um dort Skizzen für künftige Bilder zu sammeln, wurde mir von einem vielgereisten Kunstgenossen der „Albergo centrale“ der Donna Maria Chiavelli zu Girgenti empfohlen. Daß ich deshalb von der leiblichen Pflege, die mir Donna Maria angedeihen lassen würde, keine hohen Erwartungen hegen dürfe, war mir recht wohl bewußt; kannte ich doch die primitiven Zustände in den Herbergen kleiner italienischer Städte hinreichend. Wenn mir von Donna Maria versichert wurde, sie sei eine wackere Frau und lasse es sich angelegen sein, ihren Gästen, deren sie nicht allzu viele habe, den Aufenthalt in ihrem Hause so angenehm wie möglich zu machen, so bildete ich mir darum nicht ein, ich würde in der Matratze meines Bettes etwas anderes finden als Hobelspäne oder zum Mittagessen andere Speisen vorgesetzt erhalten als gebratene Ziegenrippchen und Maccaroni al burro. Das war eben Landesbrauch, seit unvordenklichen Zeiten so gewesen und von den Reisenden heroisch erduldet worden. Aber Reinlichkeit, Freundlichkeit und billige Preise glaubte ich mir von Donna Maria versprechen zu dürfen. Und das war immerhin nicht wenig, wie jeder wissen wird, der sich abseits der großen Heerstraße in Italien bewegt hat.

Mit dem Dampfboot in dem winzigen Hafen von Girgenti angekommen, kletterte ich wohlgemuth zu der hochgelegenen Stadt empor, die Trümmer des alten Agrigent durchschreitend. Es war ein beschwerlicher Weg, und ich war nicht wenig froh, als mir endlich das Schild des „Albergo centrale“ entgegenwinkte. Kaum war ich eingetreten, als Donna Maria aus der Tiefe ihres Hauses hervorstürzte. Hübsch war sie nicht, die Götter können es bezeugen. Freilich hatte sie auch schon die Vierzig überschritten und somit ein Alter erreicht, in dem die sicilianischen Frauen ihre ohnehin mäßigen Ansprüche auf Schönheit endgültig aufgegeben haben. Doch schien sie gutmüthig und trug ihr Herz auf der Zunge. Schon während sie mich, einige Minuten nach meiner Ankunft, auf der tief ausgetretenen Steintreppe nach meinem Zimmer führte, vertraute sie mir an, daß sie seit zehn Jahren Witwe sei. Und kaum hatte sie mich in die kahle Kammer eintreten lassen, als sie wieder hinablief, um mir das Bildniß des Seligen zu holen, eine kolorierte Photographie auf Glas. Der verblichene Giuseppe Chiavelli mußte, nach diesem Bilde, ein ziemlich wüster Gesell gewesen sein, den ich keinem Mädchen zum Gatten empfohlen haben würde. Donna Maria versicherte mir indessen, er sei ein „gutes Närrchen“ gewesen und sie hätten miteinander gelebt wie ein Paar Turteltauben. Nur Kinderchen – ach, die seien ihnen leider nicht geschenkt worden; der fremde Herr könne sich wohl vorstellen, wie einsam es ihr manchmal gewesen sei in ihrem Witwenstande! Aber wieder heiraten – sie hätte es oft genug gekonnt, da das Haus ihr eigen sei – dazu habe sie sich doch nicht entschließen können. Wenn man es einmal so gut gehabt habe – hier brach sie ab und seufzte.

Inzwischen war mein Blick auf ein Bild gefallen, das, als einziger Schmuck, die Wände zierte. Es war ein roher Holzschnitt, augenscheinlich irgend einem billigen illustrierten Blatte entnommen und dann auf ein Stück Pappe geklebt. Er zeigte das Gesicht eines Mannes von etwa dreißig Jahren – kein übles Gesicht; neben wildem Trotz, finsterer Entschlossenheit war ein Zug von Weichheit darin – von Gemüth, hätte ich behaupten mögen. „Welchen Heiligen habt Ihr denn dort aufgehangen?“ fragte ich mit einiger Neugier.

„Ach Herr, der ist nur ein armes sündiges Menschenkind gewesen,“ erwiderte Donna Maria mit schwankender Stimme. „Gewesen!“ wiederholte sie und schauderte zusammen. „Heute morgen haben sie ihm in Catania das Leben genommen. Der unglückliche Paolo Saviello!“

Ich sah zu meiner Verwunderung aus den Augen Donna Marias einige Thränen rinnen. Um einen Banditen! Denn ein solcher war er doch ohne Zweifel, nach ihrer eigenen Aeußerung. „War dieser Mann vielleicht ein Verwandter von Euch?“ forschte ich.

„Er trug meinen Familiennamen,“ antwortete sie. „Von einem Zweige der Saviellos stammt er, der vor langen Jahren in Favara Wurzel geschlagen hat – in Favara, einem elenden Neste, ein halbes Dutzend Miglien von hier. Als junger Bursche ist er oft bei uns gewesen. Ein solch lieber herziger Mensch! Daß er so enden würde – niemand hätte es gedacht, lieber Herr!“ Und aufs neue flossen ihre Thränen.

Angenehm war mir die Entdeckung gerade nicht, daß ein Verwandter meiner Wirthin die Landstraßen Siciliens unsicher gemacht hatte, namentlich da sie dem Verbrecher mit unverkennbarer Theilnahme nachtrauerte. Aber was wollte ich machen? Ich befand mich eben in Sicilien, wo die Weiber von jeher eine liebenswürdige Voreingenommenheit für tüchtige Briganti gezeigt haben. Also zuckte ich die Achseln und ließ die Sache auf sich beruhen.

Während ich nachmittags mit meinem Skizzenbuch in den Ruinen umherwanderte, mußte ich doch häufiger an jenen Paolo Saviello denken, als mir eigentlich lieb war. Sein Gesicht hatte es mir angethan, glaub’ ich. So ganz alltäglich mochte sein Schicksal doch nicht sein; es lohnte sich vielleicht der Mühe, Donna Maria zum Plaudern zu bringen. Abends, nach eingenommenem Mahle – Ziegenrippen und Maccaroni, wie ich erwartet hatte – machte ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_591.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)