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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Die Explosion der Schießbaumwolle ist im Vergleich zu der des Schwarzpulvers ungleich gewaltiger. Ein Kilogramm Schwarzpulver liefert 270 Liter gasförmige Produkte, ein Kilogramm Schießbaumwolle verwandelt sich in 859 Liter Gase; dabei verbrennt ein Kilogramm Schwarzpulver in etwa 1/100 Sekunde und ein Kilogramm Schießbaumwolle in nur 1/50 000 bis 1/60 0000 Sekunde.

So besaß die Schießbaumwolle weitaus Kraft genug, um dem an sich schon leichteren Geschoß der kleinkalibrigen Gewehre die nöthige höhere Anfangsgeschwindigkeit zu geben, ja, sie besaß einen Ueberschuß an Kraft, der sich sogar nachtheilig erwies. Die Schießbaumwolle setzte das Geschoß durch einen einzigen Schlag in Bewegung. Das war ein Fehler, denn ein gutes Schießpulver soll das Geschoß erst langsam in die Züge des Laufes drängen und dann nach und nach seine Geschwindigkeit verstärken, es muß, allerdings im Bruchteile einer Sekunde, nach und nach verbrennen bis zu dem Augenblick, in dem die Kugel den Lauf des Gewehres verläßt. Es ergab sich also die Aufgabe, die Schießbaumwolle in ihrer Explosionswuth weiter zu zähmen, sie genau den Bedürfnissen einer Feuerwaffe anzupassen – und diese Aufgabe wurde glänzend gelöst. Auch hierin haben Wissenschaft und Industrie den Bedürfnissen des Heeres vorgearbeitet.

Unsere Leser kennen ohne Zweifel das Kollodium, das zum Ueberziehen kleiner Schnittwunden benutzt wird, oder das Celluloid, aus welchem Billardkugeln, Manschettenknöpfe und tausend Galanteriewaren bereitet werden. Beide sind Abarten gezähmter Schießbaumwolle. Eine schwach nitrierte Schießbaumwolle, in Aether und Alkohol gelöst, giebt das Kollodium; das festgewordene Kollodiumhäutchen verbrennt wohl, wenn wir es mit Feuer in Berührung bringen, aber es explodiert nicht. Eine Art Kollodium, mit Kampher vermischt, giebt das Celluloid. Auch das Celluloid verbrennt, wenn es mit Flammen oder einem glühenden Gegenstande in Berührung kommt, aber es explodiert nicht. Ein „Schwarzkünstler“, der amerikanische Buchdrucker Hyatt, erfand das Celluloid, als er einen Ersatz für die farbeauftragenden Leimwalzen finden wollte; er erfand damit zugleich das Prinzip, die Schießbaumwolle in eine hornähnliche Masse zu verwandeln, und ebnete der neuen Pulverfabrikation die Wege.

Es giebt viele Flüssigkeiten, welche die Schießbaumwolle auflösen und sie in eine gelatineartige Masse verwandeln. Je nachdem man dieser „Gelatine“ Kampfer oder andere unwirksame Zusätze beimengt, kann man die Explosionskraft der Masse beliebig abschwächen. Solange nun die Masse noch knetbar ist, kann man sie durch Pressen oder Zerschneiden in verschiedene Form bringen, und so macht man aus ihr in der That das neue rauchschwache Pulver. Gewöhnlich benutzt man jetzt für die Kanonenpulver kubische Körner, indem man die Masse durch Maschinen in kleine Würfel von 1 bis 4 mm Dicke verwandelt. Für Gewehre wird die Masse in kleine viereckige Blättchen geformt, indem man sie in dünne Tafeln auswalzt und dann mit Scheren zerschneidet. Nach dieser Operation läßt man das Lösungsmittel ganz verdunsten und es bleibt eine elastische, durchscheinende gummi- oder hornähnliche Masse zurück – das neue rauchschwache Pulver.

Alfred Nobel, der berühmte Dynamitfabrikant, ist sogar auf die Idee gekommen, die Schießbaumwolle in einem Sprengkörper, in Nitroglycerin, dem wirksamen Bestandteile des Dynamits, aufzulösen. Er stellte auf diesem Wege die sogenannte Sprenggelatine her, die in kürzester Zeit das Dynamit überflügelt hat. Aus viel Schießbaumwolle und wenig Nitroglycerin hat er dagegen eine Gelatine gewonnen, aus der ein ausgezeichnetes Kanonenpulver erzeugt werden kann – ein Pulver, das, wie umfangreiche bei Krupp und Gruson angestellte Schießversuche ergaben, geradezu das Ideal eines artilleristischen Treibmittels verwirklicht.

Da man nun diese Gelatine je nach Belieben stärker oder schwächer herstellen kann, so ist der Chemiker auch in der Lage, für ein bestimmtes Gewehr ein bestimmtes Pulver zusammenzusetzen. Sind ihm die Grundlagen gegeben, der Kammerraum des Gewehres, der Gasdruck und das Gewicht des Geschosses, so muß er imstande sein, ein Pulver zu konstruieren, das auf den Meter genau die Bedingungen erfüllt.

Allerdings sind dazu sehr umfangreiche Kenntnisse auf den schwierigsten und dunkelsten Gebieten der Chemie nöthig, und so stehen auch heute in den Kriegslaboratorien die ausgezeichneten wissenschaftlichen Kräfte aller Länder im Dienste der gewaltigen Rüstung, welche die Völker an der Neige des neunzehnten Jahrhunderts angelegt haben. C. F.     



BLÄTTER UND BLÜTHEN.


Das Andreas Hofer-Denkmal auf dem Berg Isel bei Innsbruck. (Zu dem Bilde S. 597.) „Gut Ding braucht Weile“ – sagt ein altes Wort, und wie es seinerzeit vieler Jahre bedurfte, bis die Gebeine des tiroler Nationalhelden eine Ruhestätte in der Heimath fanden, so hat es auch lange gedauert, bis endlich der Gedanke, dem Sandwirth Hofer auf dem Berg Isel ein würdiges Denkmal zu errichten, festen Fuß gewann und zur Ausführung gebracht werden konnte.

Der Urheber dieses Gedankens war der Innsbrucker Oberst und Kommandeur des Tiroler Kaiserjäger-Regiments, Alois von Knöpfler. Auf seine Anregung hin bildete sich im Jahre 1881 ein Ausschuß, der einen Aufruf mit der Bitte um freiwillige Beiträge für das Denkmal erließ. Ueberall, namentlich auch bei Bürgern und Bauern, fand der Aufruf Unterstützung. Nach einigen Jahren konnte Heinrich Natter, der Schöpfer des Denkmals für Walter von der Vogelweide in Bozen, mit der Herstellung der Hoferstatue beauftragt werden. Natter, der das Modell im August 1888 in Innsbruck ausstellte, übernahm die Verpflichtung, das Standbild sowie die sonstigen zum Denkmal nöthigen Bronzetheile in tadellosem Gusse für die Summe von 25000 Gulden an den Ausschuß zu übergeben.

Aber er sollte die Vollendung seines Werkes nicht mehr erleben. Am 13. April 1892 starb er zu Wien in der Vollkraft der Mannesjahre. Er war am 16. März 1844 zu Graun in Tirol geboren die ersten Anfangsgründe seiner Kunst hatte er sich bei Meister Pendl in Meran erworben. Gesundheitsrücksichten zwangen den jungen Bildhauer, nachdem er die Akademie bezogen hatte, längere Zeit in Riva und dann in Venedig seinen Aufenthalt zu nehmen. Der Krieg von 1866 führte ihn auf kurze Zeit zu den Fahnen. Nach Beendigung des Feldzuges finden wir Natter in München und endlich dauernd in Wien, wo er sich ein glückliches Heim gründete. Mit Ernst und Eifer nahm er sich all seiner Aufgaben an, vor allem aber derjenigen, welche die Gestaltung des Hofer-Denkmals ihm stellte. Wiederholt unternahm er Reisen nach Passeier, in Hofers Heimath, um dort an den markigen Volksgestalten sowie an mancherlei Ueberlieferungen aus dem Jahre 1809 seine Studien zu machen und Begeisterung zu schöpfen für das Bildniß, das sein letztes werden sollte.

Der Tod des Meisters hielt den Guß der Statue, der in Turbains Erzgießerei zu Wien schon begonnen hatte, nicht auf, und am 23. August des vorigen Jahres konnte das fertige Standbild vom Bahnhof in Innsbruck aus auf den Berg Isel übergeführt werden. Nun zeigte sich erst die Größe desselben im Verhältniß zu seiner Umgebung im richtigen Lichte, aber man mußte leider auch erkennen, daß der indeß vorbereitete Sockel für die riesige Figur bedeutend verstärkt und vergrößert werden müsse. Die Bildsäule mißt bis zur Fahnenspitze 5,6 Meter und hat ein Gewicht von 56 Centnern. Dieses Frühjahr endlich langte aus den Porphyrbrüchen von Branzoll bei Bozen der Hauptblock zur Verstärkung des Sockels in Innsbruck an, und nachdem der 180 Centner schwere Felskoloß nach wochenlangen Bemühungen und einem noch glücklich abgelaufenen Absturz auf den Berg Isel hinaufgeschafft worden war, konnte am 18. Mai Hofers Denkmal endgültig aufgestellt werden.

Dort prangt es nun im schönsten Bronzeguß, mitten im Waldesgrün der Höhe, an welcher „der Mann vom Land Tirol“ wiederholt die Landesfeinde schlug. Eine kraftstrotzende Bauerngestalt, steht der Sandwirth auf dem Piedestal, der Stadt zugewendet, auf welche die ausgestreckte Rechte wie im Kampf gebietend hinunterweist, während er mit der Linken die wallende Fahne Tirols schirmend an sich drückt. Er trägt die alte Volkstracht des Passeierthales, welche er getreulich beibehielt, auch als er zu Innsbruck in der Hofburg als Oberkommandant die Herrschaft des Landes führte. Das Denkmal wird von zwei mächtigen, flugbereiten Adlern flankiert, während vorn am Sockel eine von Eichenlaub und Kriegstrophäen umrahmte Bronzetafel den Wahlspruch weist: „Für Gott, Kaiser und Vaterland!“

Ende September wird die feierliche Enthüllung des Denkmals stattfinden, für welche schon jetzt große Vorbereitungen getroffen werden. Mit der Feier wird die Eröffnung des neuerbauten Landes-Hauptschießstandes verbunden sein, und so werden sich schon aus diesem Anlaß Tausende von Schützen mit ihren malerisch gekleideten Musikkapellen und den kriegsberühmten Sturmfahnen zum Feste in Innsbruck einfinden. Am Vormittag des 28. September wird in Gegenwart des Kaisers die Hülle von dem Denkmal fallen, dem dann eine Schar von Tirolern im Festgewande der alten Zeit die Huldigung des Landes darbringen wird. Mittags defiliert der große Zug der Schützenkompagnien und Kriegervereine vor der Kaiserburg, und nachmittags geht es hinab zum neuen Hauptschießstand, wo der Kaiser selbst das tiroler Fest- und Freischießen eröffnet. Eine Serenade des Tiroler und Vorarlberger Sängerbundes und die Aufführung des von Oberlieutenant Josef Kerausch verfaßten Andreas Hofer-Spieles im Innsbrucker Stadttheater schließen die Feier.

Es wird ein schöner Tag werden für Innsbruck, für das ganze Land, das sich selber ehrt, indem es in dem einen Helden zugleich allen seinen Freiheitskämpfern, dem ganzen Heldenthum seiner Vorfahren den Dank des Vaterlandes darbringt. J. C. Platter.     

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_611.jpg&oldid=- (Version vom 7.11.2022)